Saul – die anderen
Es gibt als Beispiel dafür nicht nur Adam und Eva, sondern noch eine andere biblische Person, die man anführen kann: Saul. Er und sein Volk waren dafür verantwortlich, dass von den Feinden des Volkes, den Amalekitern, im Gegensatz zu Gottes ausdrücklichem Auftrag sowohl der König als auch Tiere verschont worden waren (1. Sam 15,9). Als Saul dann triumphierend Samuel empfing, sprach dieser in prophetischer Strenge ein Gerichtsurteil über Saul aus.
Was war die Antwort Sauls: „Aber das Volk hat von der Beute genommen“ (1. Sam 15,21). Wer war der König des Volkes? Wer hatte das alles zugelassen und sogar bewirkt? Das war Saul. Aber er war nicht willens, Buße zu tun und seine Sünde zu bekennen. Es ist immer leichter, auf die Schuld und das Versagen der anderen hinzuweisen.
Psychotherapie
Leider gibt es für das Abschieben von Schuld ein „Paradebeispiel“. Und das ist die Psychotherapie (besonders, wenn sie auf tiefenpsychologischen Grundlagen basiert). Wenn jüngere oder ältere Menschen, die in eine seelische Krise geraten sind, zu einem Therapeuten gehen, wird ihre gesamte Vergangenheit durchgearbeitet und durchgeforstet. Das ist an sich auch nicht verkehrt. Denn Probleme stecken oft in der jüngeren Vergangenheit. Man weiß beispielsweise, dass die Ursache von Panikattacken bis zu neun Monate zurückliegt. Und natürlich haben die Lesenserfahrungen einen Einfluss auf unsere Gemütslage.
Aber dann kommt die häufig gezogene Schlussfolgerung: Der „Patient“ soll lernen, dass sein Problem an den strengen Eltern liegt; an der strengen Versammlung (Gemeinde); an … Kann ein Christ, der Schlimmes erfahren hat, nur dann glücklich leben, wenn er die ganze Vergangenheit aufgerollt und mit Schuldigen versehen hat? Mit Sicherheit nicht! Im Wort Gottes finden wir manche, die viel Böses erlebt haben. Waren sie erst dann innerlich stabil, wenn sie alle Schuldigen identifiziert und benannt hatten? Mit Sicherheit nicht. Zuweilen wird heute betroffenen Kranken dann auch noch eine schwere Sünde suggeriert, die an ihnen vollzogen worden sei, bis hin zum Kindesmissbrauch.
Strafbar
In den USA machen sich Therapeuten übrigens strafbar, wenn sie Patienten eine solche „Lösung“ suggerieren wie Missbrauch. Denn wir wissen heute, wie manipulierbar unser Gedächtnis ist und dass es Dinge als „erlebt“ benennt und verteidigt, die nachweislich nie stattgefunden haben (können), die uns aber nach und nach als möglich in unserem Leben vorgestellt worden sind. Das ist insofern tragisch, als dadurch die wirklichen Fälle von zum Teil schweren Straftaten teilweise dann nicht mehr für wahr empfunden werden, weil so viel Missbrauch mit dem Missbrauch getrieben wurde. Manchmal werden Träume als Anker für Dinge genommen, die mit allem Möglichen zu tun haben können, nicht zuletzt mit Filmen, Zeitungs- und Internetartikeln usw. Natürlich auch (!) mit eigenen Lebenserfahrungen.
Liegt das Problem vielleicht an mir selbst?
Natürlich ist es wahr, dass erfahrenes Leid wie Mobbing, Gewalttat, seelische Verletzungen usw. einen enormen Einfluss auf uns, unsere Gefühle, unsere Konstitution, unser Leben hat. Aber es gibt genauso viele andere Ursachen für seelische Krisen. Wenn ich auf einmal entdecke, dass mein Leben überhaupt nicht mit meinem Bekenntnis nach außen hin (vielleicht sogar mit meiner Fassade) übereinstimmt, dann kann das dazu führen, dass ich Schuldgefühle habe und sie als große Last empfinde. Wenn ich mich dann vielleicht noch in einem (scheinbar) sehr geistlichen Umfeld bewege, kann das sogar zu echten Lebenskrisen führen.
Wenn wir mit Menschen zu tun haben, die mit einer inneren Krise zu tun haben, ist große Vorsicht geboten, nicht vorschnell ein Wort ins Gedächtnis zu rufen, das wie ein Blitzableiter alle meine „Probleme“ erklären kann, könnte, scheinbar erklärt. Es kann die richtige Lösung sein. Was aber, wenn dann unschuldige Menschen beschuldigt werden, das Problem in Wirklichkeit aber bei mir liegt? Wenn die Gläubigen am Ort wegen ihres Verhaltens schuld sind (und wir sind nicht vollkommen); wenn die Eltern wegen ihrer Erziehung verantwortlich gemacht werden (und als Eltern sind wir alles andere als vollkommen); wenn Einzelpersonen ein bestimmtes Verhalten zugeordnet wird (was sie womöglich nie so getan haben)?
Unterscheiden
Leider ist es außerordentlich schwierig, zu unterscheiden. Denn natürlich gibt es Ursachen in Versammlung, im Elternhaus und im Verhalten Einzelner. Es gibt sogar Straftaten, wie wir wissen, die von Gläubigen genauso verübt werden wie von Ungläubigen. Was aber, wenn die Lebenskrise auf dem eigenen Leben basiert? Darüber mit jemand ins ernsthafte Gespräch zu kommen, verlangt großen Mut, Einfühlungsvermögen und zugleich Konsequenz.
Hirten und Seelsorger
Hirten und Seelsorger befinden sich in einer äußerst schwierigen Situation. Denn sie nehmen in solche Gespräche immer ihre eigene Lebenswelt, auch ihre eigenen Erfahrungen mit. Wer selbst Opfer war (oder solche Empfindungen hat), steht in Gefahr, jeden Leidenden als ein solches Opfer zu sehen und sich vorschnell mit diesem zu solidarisieren. Das hilft in der Therapie übrigens nicht.
Wer mehrere Fälle erlebt hat, wo sich herausgestellt hat, dass erste Thesen oder Vermutungen sich im Nachhinein nicht als wahr herausgestellt haben, steht in Gefahr, zunächst immer skeptisch bis ablehnend zu sein. Und was, wenn das Opfer doch Opfer ist? Dann zerstöre ich noch mehr, denn das Opfer wird überhaupt kein Vertrauen mehr fassen zu Menschen.
Opfer und Täter weisen beide eine solche Fülle ans Komplexitäten auf, dass sich jeder Hirte, Seelsorger und Therapeut immer wieder selbst kritisch hinterfragen muss.
David
Nur wer offen ist, dass der Gott jedem etwas zu sagen hat, auch Leidenden, was auch immer die Ursache sein mag, wird zu einem guten Ergebnis kommen. In den Psalmen lesen wir, wie Gott mit David (als „Opfer“) in solchen Situationen ans Ziel kam. Wenn ich persönlich diesem Wirken Gottes (vielleicht auch durch seine Instrumente) ausweiche oder wenn wir als solche, die helfen wollen, diesen Punkt nicht erkennen, kann großer Schaden entstehen.
In der Bibel haben viele Lebenskrisen übrigens mit einer Lektion Gottes für die betroffene Person(engruppe) zu tun. Nicht in erster Linie mit anderen.
Quelle: bibelpraxis.de/a3524.html