Zuchtausübung setzt wahre Gottesfurcht voraus:
Praktische Lehren für das Volk Gottes aus
Richter 19-21
Einleitung
Das Buch der Richter stellt uns die Geschichte des Volkes Israel im Anschluss an den Tod Josuas und der Ältesten des Volkes dar bis zum Beginn der Geschichte des Königtums, die uns in den Büchern Samuel und Könige aufgeschrieben ist. In diesem Buch finden wir in einer Zeit, die uns vor allem den Niedergang aufzeigt, fünf Erweckungen unter 12 Richtern. Den negativen Höhepunkt – aber zugleich auch den allgemeinen Zustand (17,6; 18,1; 19,1;...) zeigt uns der letzte Vers des Buches: ”In jenen Tagen war kein König in Israel: Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen.”
Können wir diese in außerordentlich detaillierter Weise aufgeschriebenen Gedanken auf Christen anwenden? Die Bibel gibt dazu eine eindeutige Antwort: ”Denn alles, was zuvor geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben” (Römer 15,4). Nun mag man in diesen Kapiteln nicht in erster Linie eine Ermunterung sehen – es sei denn, man nimmt die Lehren zu Herzen, die uns der Geist Gottes hier aufgezeichnet hat. Gerade aber als moralische Belehrung kann uns dieser Abschnitt sehr wohl dienen. Und letztlich ist der oben zitierte letzte Vers des Buches doch zugleich ein Hoffnungsschimmer, weil er in gewisser Weise den kommenden König einführt.
Vergleiche
Oft ist die Zeit der Richter mit der Zeit der Christenheit nach dem Abschied der Apostel – gleichsam der Ältesten – verglichen worden. Und in der Tat ist auch die Zeit der Christen, wie uns das Gleichnis des Sämanns in Matthäus 13,24ff und auch die Sendschreiben in Offenbarung 2 und 3 deutlich machen, durch Niedergang charakterisiert. Aus diesem Grund geben uns die einzelnen Ereignisse im Buch der Richter auch wichtige praktische Belehrungen für die heutige Zeit.
Zugleich gibt es für uns etwas, was in der Zeit der Richter nur beschränkter Form existierte: das Wort des Herrn. Josua hatte dem Volk ein Vermächtnis hinterlassen, so auch unser Herr Jesus Christus. Er hat uns jedoch das Wort Gottes hinterlassen, das uns die ganze offenbarte Wahrheit vorstellt.
Ein Anhang im Buch der Richter: Kapitel 17-21
Das gilt auch für die letzten drei Kapitel des Buches der Richter, die zusammen mit den vorausgehenden Kapiteln 17 und 18 einen Anhang darstellen, in dem die in Israel existierende geistliche Verderbtheit auf der einen Seite, die sich in Götzendienst und die Gewalttätigkeit äußerte (Kapitel 17-18), sowie die moralische Verderbtheit und die mit ihr verbundene Gewalttätigkeit auf der anderen Seite (Kapitel 19-21) vor unsere Augen tritt. In den beiden erstgenannten Kapiteln werden uns die Wurzeln für alles Böse vorgestellt, das Abwenden von dem einzigen und wahren Herrn. Aus dieser Trennung kommen dann schlimme moralische und lehrmäßige Früchte hervor, denen wir in den letzten drei Kapiteln begegnen.
Unsere Herzen sind zu allem fähig
Sind nicht genau diese Wurzeln und Früchte die Eigenschaften unserer heutigen Zeit, der jetzigen Christenheit? Gott wünscht, dass wir uns von solch moralischem Abweichen und den Personen, die diese Kennzeichen tragen, zu Ihm hin absondern; denn Er ist heilig, also auch wir (1. Petrus 1,16)! Und so empfinden wir, dass diese Kapitel deshalb eine so lebendige Sprache für uns heute sprechen, weil sie unsere eigenen Herzen herausfordern. Alles das ist ja nicht nur in den Herzen von Ungläubigen möglich, sondern auch in unseren eigenen.
Gerade wenn man das Leben eines der treuesten Männer Gottes betrachtet – David – dann sieht man, wozu unsere Herzen fähig sind. Das demütigt uns sehr, führt zu echter Vorsicht in der Beurteilung eines solchen Abschnittes und anderer Personen, und legt das ganze Schwergewicht auf die moralischen Belehrungen dieser Kapitel. Gerade dadurch, dass die zugrunde liegenden Begebenheiten in einer seltenen Ausführlichkeit vor unsere Herzensaugen treten, wird die Wirkung noch verstärkt. Hier werden schlimme Dinge nicht einfach an der Oberfläche behandelt, wie es bei uns oft die Gefahr ist, sondern bis zu ihren Wurzeln zurückverfolgt.
Verfall beginnt schon am Anfang
Die Begebenheiten von Richter 17-21 spielten sich in der Anfangszeit des Buches ab, was unter anderem an der Erwähnung von Pinehas zu erkennen ist. Schon da war offenbar der Zustand des Volkes so niedrig. Wie viel mehr ist das Befinden des Volkes Gottes – in Seiner Verantwortung gesehen - dann am Ende einer solchen Epoche, wie wir sie auch jetzt in der Christenheit erleben, mit moralischen Verfall und auch Abfall verbunden!
Wie schon angedeutet umfasst die Belehrung dieser Kapitel das ganze Spektrum dessen, was ein Mensch und leider auch ein Gläubiger in seinen Sünden vollbringen kann: Verdorbenheit und Gewalttat (1. Mose 6,11), wobei Verdorbenheit Götzendienst und Sittenlosigkeit ist. Während sich die ersten beiden Kapitel vorwiegend auf das Verhältnis des Menschen zu Gott beziehen (also sozusagen die erste Gesetzestafel vom Sinai), betreffen die letzten drei Kapitel vor allem das Verhältnis der Menschen untereinander (also die zweite Gesetzestafel). Darüber hinaus gibt es viele weitere Parallelen zwischen den beiden Geschichten – es sei nur auf die Rolle der Leviten, von Bethlehem-Juda und des Gebirges Ephraim, hingewiesen.
Überblick über Richter 19-21
Wenn man nun die letzten drei Kapitel näher betrachtet, wird man feststellen, dass sie uns in bezug auf unsere heutige Zeit (Kapitel 19) und insbesondere für Versammlungsentscheidungen (Kapitel 20-21) wichtige Lektionen lehren. Kapitel 19 beschreibt uns das Übel, das in Israel vorgekommen ist. Kapitel 20 spricht davon, wie man mit diesem Übel handelt, und Kapitel 21 führt uns die Folgen dieses Handelns mit dem Übel vor Augen. Zunächst sei kurz der Inhalt der drei für unser Thema relevanten Kapitel.
In Kapitel 19 finden wir die Ursache für das Unheil. Ein levitischer Mann läuft hinter seiner Kebsfrau her, die ihn in Hurerei verlassen hat und zu ihrem Vater zurückgekehrt ist. Von seinem ”Schwiegervater” wird er ins Haus aufgenommen und gedrängt, mit ihm über die Maßen zu speisen und zu trinken – ja, sich zu betrinken. Da er offenbar ein eher willensschwacher Mann ist, lässt er sich mehrfach bedrängen, den geplanten Abschied aufzuschieben.
Schließlich ”schafft er es doch noch” wegzugehen, muss aber aufgrund der schon späten Abreisezeit eine Übernachtung in Gibea (Benjamin) in Kauf nehmen. Nachdem er dort eine ganze Weile warten muss, findet sich schließlich doch noch ein alter Mann, übrigens kein Benjaminiter, der ihn und seine Kebsfrau für die Nacht ins Haus aufnimmt. Am Abend stellt sich heraus, dass die Männer aus Gibea-Benjamin nicht besser sind als die gottlosen Männer Sodom und Gomorras. Sie begehren eine homosexuelle Beziehung zu dem Leviten. Dies kann zwar verhindert werden, aber nur dadurch, dass der Levit seine Kebsfrau auf die Straße führt, die von den Männern der Stadt mehrfach misshandelt wird – und dadurch stirbt. Der levitische Mann nimmt nun seine tote Kebsfrau mit nach Hause, zerstückelt sie in 12 Teile und sendet je ein Stück an alle Stämme Israels.
In Kapitel 20 lesen wir dann, dass sich angesichts dieser grauenhaften Tat das ganze Volk wie ein Mann nach Mizpa versammelt, 400.000 Mann Fußvolk, die das Schwert ziehen, um zu beraten, und den Stamm Benjamin, in dessen Mitte das Gräuel verübt wurde, zur Rede zu stellen. Einmütig kommt man zum Urteil, dass der Stamm Benjamin die Männer von Gibea, die für diese Freveltat verantwortlich waren, herausgeben soll, damit man an ihnen Gericht üben könne. Benjamin will jedoch nicht auf dieses Urteil hören und stellt sich – inklusive der 700 Männer von Gibea – mit 26.700 Kriegsleuten gegen den Rest Israels auf.
Nach zwei vergeblichen Kämpfen gegen Benjamin, in denen insgesamt 40.000 israelitische Kriegsleute fallen, wird Benjamin beim drittenmal vollständig geschlagen, indem insgesamt 26.100 Mann von ihnen im Kampf sterben. Nur 600 Männer können sich in eine Felsenkluft flüchten und überleben.
In Kapitel 21 lesen wir schließlich, dass sich die elf Stämme zwei Dinge geschworen haben, nämlich zum einen, den Benjaminitern aufgrund der in ihrer Mitte geschehenen Übeltat und der fehlenden Buße keine ihrer Töchter zu Frauen zu geben, und zum anderen, dass ein Stamm, der nicht zum Kampf nach Mizpa hinaufkommen würde, getötet werden müsse. Da jetzt aber von Benjamin durch den Krieg keine Frau übrig geblieben ist, befindet sich das Volk in einer großen Schwierigkeit. Weil nun aus der Familie Jabes-Gilead aus Israel niemand mit in den Streit gezogen war, wurden alle Männer und Frauen von Jabes-Gilead getötet, bis auf die Töchter, die noch keinen Mann gehabt hatten. Diese 400 gibt man den 600 Männern aus Benjamin zu Frauen. Zudem gestattet man den Benjaminitern, dass sie, wenn das Volk nach Jerusalem zu dem Laubhüttenfest ziehen würde, junge Mädchen rauben dürften, um sie sich zu Frauen zu nehmen. Letztlich endet dann dieses Kapitel mit der bereits zitierten Bemerkung, dass in jener Zeit jeder das tat, was recht war in seinen Augen.
Kapitel 19: Sünde führt häufig zu vermehrter Sünde
Das Volk ohne König und Autorität
(Vers 1) Diese drei Kapitel werden von einer Aussage eingerahmt, die heißt: ”Und es geschah in jenen Tagen, als kein König in Israel war...” Bereits in 5. Mose 17,14 hatte Gott Mose deutlich gemacht, dass das Volk, wenn es im Land Kanaan sein würde, einen König begehren würde. Zur Zeit der Richter war es jedoch noch nicht so weit. Nun mag man dies als gutes Zeichen ansehen, vor allem, wenn man bedenkt, in welcher Weise Samuel dann auf das Begehren des Volkes in 1. Samuel 8 reagiert. Dieser Eindruck stimmt allerdings nur auf den ersten Blick optimistisch. Denn anstatt sich in allem durch Gott führen und richten zu lassen, tat das Volk das, was ihm selbst gefiel.
Nicht der HERR war in der Praxis seines Lebens der König, sondern das eigene Herz. Aus diesem Grund finden wir am Ende dieser Geschichte und des gesamten Buches auch die Ergänzung: ”Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen” (Richter 21,25). Das war in der Tat das Kennzeichen des ganzes Volkes. Er galt einerseits für jeden einzelnen der Israeliten, indem man sich nicht nach dem Gesetz des HERRN richtete, sondern den eigenen fleischlichen und götzendienerischen Ideen folgte, wie man vor allem auch in den beiden vorangehenden Kapiteln sehen kann. Andererseits galt dieser Ausspruch auch für das Volk als Ganzes, denn es versagte mehrfach darin, Gott zu befragen. Anstatt dessen tat es, was es selbst für richtig hielt.
Nun mag man fragen, warum der Schlusssatz des gesamten Buches, dass jeder tat, was er wollte, nicht auch in Verbindung mit dem ersten Vers des Kapitels zitiert wird. Die Antwort mag darin bestehen, dass genau die jetzt folgenden drei Kapitel die ausführliche Beschreibung dessen sind, was in diesem traurigen Satz zusammengefasst wird: Ein jeder tut, war recht ist in seinen Augen.
Auch die Christen stehen heute in Gefahr, diesen Maximen zu folgen. Nur das persönliche und gemeinsame Gebet, das Lesen und Befolgen des Wortes Gottes und das ständige Fragen nach der Leitung des Heiligen Geistes, sowohl im persönlichen wie im gemeinsamen Leben können uns vor solchem Versagen und Niedergang bewahren.
Laxheit kann Gott nicht gutheißen
Die Geschichte des Leviten und seiner Kebsfrau, soll uns offenbar vorstellen, mit welcher Laxheit man in Israel mit den Geboten des HERRN umging. Jeder tat eben, was recht in seinen eigenen Augen war. Würde man das nicht irgendwie in Übereinstimmung mit den Gedanken des Herrn bringen können? Und wenn auch die hervorgehobene Klasse der Leviten, die eigentlich ein Beispiel sein sollte, auf eine solche Art und Weise mit den Anweisungen des HERRN umging, dann mochte das ”einfache” Volk sich an diesem Beispiel orientieren. Mehr als einmal lesen wir in den Büchern Mose, dass die Leviten dem HERRN gehörten (z.B. 4. Mose ,12). Gott hatte sie anstelle des Erstgeborenen in Israel genommen und ausgewählt (4. Mose ,41), so dass sie Vorbilder für den Rest des Volkes hätten sein sollen. Anstatt dessen sehen wir jedoch ihr Versagen in geistlichen Fragen (Richter 17-18) und in moralischen Fragen (Richter 19-21).
Wie leicht orientiert man sich auch heute an den ”Laxheiten” derjenigen, die als Vorbilder versagen, anstatt sich allein an dem Wort Gottes auszurichten.
Es ist erstaunlich, dass ein Levit, der besondere Aufgaben für den HERRN erfüllen durfte, und dessen Vorväter durch wahre Absonderung ausgezeichnet waren (2. Mose 32), sich eine Kebsfrau nimmt, offenbar neben seiner ”eigentlichen” Frau, die ihm anscheinend nicht ausreichte. Vielweiberei war von Anfang an zum Schaden (Matthäus 19,4-5) , und es gibt wohl kein Beispiel in der Schrift, das diesen Zustand nicht mit Nöten verbindet. Hier ist er der Anlass – nicht die Ursache – für einen Bürgerkrieg in Israel.
Jeder Gläubige ist in der geistlichen Übertragung des Levitendienstes Diener des Herrn. Satan kann alles, was bei uns nicht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Wortes Gottes ist, zum Anlass nehmen, Zwiespalt unter die Geschwister zu bringen, oder zumindest uns von der alleinigen Nachfolge des Herrn abzubringen. Dazu gehören ebenfalls nicht geordnete Familienverhältnisse, vor allem auch nicht gelöste und nicht bereinigte Schwierigkeiten in der Ehe von Gläubigen. Ausdrücklich heißt es übrigens für einen Ältesten in Titus 1,6: ”Der Mann EINER Frau”.
In Hebräer 13,4 heißt es zudem: ”Die Ehe sei geehrt in allem.” Daraus erkennen wir deutlich, dass ein Zusammenleben außerhalb der Bande der Ehe von Gott abgelehnt wird. In alttestamentlichen Zeiten hat Er das bei Seinen Knechten zum Teil ertragen, auch wenn Er es an keiner Stelle guthieß. Im Neuen Testament lehnt Gott die Vielehe jedoch als Ehebruch vollständig ab.
Zudem ist es interessant, dass der Levit sich – soll man sagen ”aufs Geratewohl”? – eine Nebenfrau aus Bethlehem-Juda nimmt. Gab es unter den Leviten nicht genügend ”passende” Frauen? Sicher, wir wollen nicht spekulieren, aber es hat den Anschein, dass dieser Mann alles andere als geistlich war, sondern möglicherweise ”zufälligen” Bekanntschaften, die ihm gut gefielen, zum Opfer fiel, weil seine Sinne angesprochen wurden.
Darüber hinaus fragt man sich bei dieser Begebenheit, warum sich der Levit ”an der äußersten Seite des Gebirges Ephraim aufhielt”. Hatte er dort vielleicht gar nicht seinen eigentlichen Wohnsitz? Jedenfalls lesen wir nichts davon, dass er dort regelrecht ”wohnte”. Möglicherweise ist das eine Erklärung dafür, dass wir nie von seiner eigentlichen Frau lesen. Gerade aber im Hinblick darauf, dass er Levit war, möchte man fragen, ob er wirklich im Auftrag des Herrn handelte.
Gott hasst Hurerei
(Vers 2) Die Kebsfrau beging Ehebruch und Hurerei. Das steht im unmittelbaren Widerspruch zum Gesetz Gottes (z.B. 5. Mose 22,22). Daher kann auf einer solchen Handlung kein Segen ruhen, nein, sie verlangte die Todesstrafe. In diesem Fall ist es sogar so, dass diese Frau später genau durch die Sünde umkommt, die sie hier selbst begangen hat, indem andere mit ihr Hurerei treiben und sie misshandeln. Sie muss somit die Früchte ihrer eigenen Sünde auf eine schreckliche Art und Weise kosten.
Es ist in der Gnadenzeit selten so, dass Gott uns eine derart scharfe Antwort auf unser Fehlverhalten gibt. Dennoch sollten wir uns immer bewusst sein, dass Gott uns Gläubige sieht und in Seinen Regierungswegen, selbst wenn sie indirekter Natur sind, richtet und läutert. Natürlich hat Gott dem Glaubenden auch eine nach der Bekehrung begangene Sünde grundsätzlich (”de jure”) bereits vergeben – wiewohl das niemals die Freiheit zum Sündigen eröffnet. Wenn der Gläubige dann seine Sünde bekennt, wird sie auch tatsächlich (”de facto”) vergeben und der Genuss der Gemeinschaft ist wiederhergestellt (1. Johannes 1,9).
Teilweise muss aber auch der Gläubige an den Folgen der Sünde länger tragen, denken wir beispielsweise an eine von Gott nicht für gut geachtete Eheschließung, etc. Vergebung bedeutet eben nicht, dass alle Konsequenzen aus einer Sünde beseitigt sind. Auch für den Gläubigen gilt nach wie vor, dass der Mensch erntet, was er gesät hat (Galater 6,7).
Mit Erstaunen stellt man fest, dass diese Frau nun zu ihrem Vater zurückkehrt. Hatte sie Angst vor ihrem Mann? War sie von ihm enttäuscht? Waren alle ihre Pläne gescheitert? Offenbar war sie durch ihr eigenes Fehlverhalten oder auch durch ihre Enttäuschung über den Leviten nicht mehr bereit, zu ihm zurückzukehren. Um so mehr fällt auf, dass wir an keiner Stelle dieser Begebenheit davon lesen, dass sie von ihrem Mann zur Rede gestellt wird bzw. dass er sie dem Gericht des HERRN übergibt.
Genauso interessant ist, dass hier das Bleiben der Frau in dem Haus ihres Vaters auf die Zeit von 4 Monaten beschränkt und festgeschrieben wird. Sollte es ein Hinweis darauf sein, dass Gott ihr in Seiner unumschränkten Gnade die Möglichkeit zur Buße über ihr Tun geben wollte, bevor sie tatsächlich das Gericht ereilen würde? Gott lässt sich nie ungestraft spotten! Ohne Buße wird Er Sein Gericht zu Seiner Zeit ausführen, wenn der Mensch darin versagt, im Selbstgericht Buße zu tun.
Der Herr sucht unser Herz und das Gewissen
(Vers 3) Wir wissen nicht, warum der Levit so an dieser Frau hängt, die ihn hintergangen hat, dass er relativ schnell hinter ihr herläuft, um sie erneut in sein Haus zu bringen. Von seiner ”eigentlichen” Frau lesen wird jedenfalls überhaupt nichts. Offenbar war er stärker durch seine Gefühle als durch das Beobachten des Gesetzes, des Wortes Gottes, bestimmt. Unser Herr wünscht, dass wir uns in allem, auch in unseren Gefühlen und Emotionen, durch Sein Wort leiten lassen.
Der Levit redet zum Herzen seiner Kebsfrau. Besser wäre gewesen, zu ihrem Gewissen zu reden, um sie zur Umkehr und Buße über ihre Sünden zu bringen. Allerdings muss man berücksichtigen, dass es in der Hebräischen Sprache kein spezielles Wort für ”Gewissen” gibt. Das Wort ”Herz” wird dafür als Synonym benutzt. Daher wäre es möglich, dass der Levit tatsächlich auch zum Gewissen seiner Kebsfrau gesprochen hat. Der weitere Verlauf der Geschichte lässt jedoch darauf nicht schließen. Vielmehr hat man den Eindruck, dass es um die Zuneigungen der Frau ging, um ihre Emotionen, die er wieder für sich gewinnen wollte.
Während das Herz im allgemeinen stärker von den Gefühlen und Zuneigungen zu sprechen scheint (Sprüche 3,5; 4,23; 23,26), ist das Gewissen der Sitz der Erkenntnis des Guten und Bösen (1. Mose 3,5.7; Apostelgeschichte 24,16). Wir dürfen aus diesem Unterschied zwischen dem Herzen und dem Gewissen für uns lernen.
Wie leicht wollen wir das vergessen machen, was zuerst bereinigt werden müsste – in unserem eigenen Herzen oder in dem von Personen, die der Herr uns in unseren Familien oder in der Versammlung Gottes anvertraut hat. Nicht wirklich bereinigte Sünden in diesen Privatsphären führen sehr leicht zu negativen Folgen auch unter Geschwistern. Bedauerlicherweise gibt es davon manche Beispiele.
Vielleicht darf man an dieser Stelle auch die Frage stellen, warum der Levit diese Frau nunmehr nicht ”standesgemäß” heiratet. Angesichts der Tatsache, dass wir in diesem Bericht nie etwas von seiner eigentlichen Frau lesen, kommt eine solche Frage unmittelbar auf. Hätte der Levit nicht manchen Fehler verhindern können und aus alten Fehlern lernen können, wenn er nunmehr eine solche Konsequenz auf sich genommen hätte?
Gemeinschaft mit Sünde oder Sündern verunreinigt
Zugleich stellt sich bei dieser Geschichte die Frage, ob sich der Levit nicht dadurch, dass er in dem Haus dieser Frau einkehrt, die sich durch Hurerei befleckt hatte, ebenfalls verunreinigt. Wie leicht übersehen wir, dass Kontakt mit dem Bösen verunreinigt, vor allem dann, wenn wir es uns wie dieser Mann dabei auch noch bequem machen. Diese Bequemlichkeit kann sehr schnell, wie wir aus der Geschichte Davids lernen, zu einem Fallstrick werden. Sie wird häufig dadurch ausgelöst, dass wir uns zu einer falschen Zeit am falschen Platz aufhalten.
So auch dieser Levit. Er gehört eigentlich zu denen, die neben den Priestern, die auch Leviten waren, in der unmittelbaren Nähe Gottes dienten. Dennoch lesen wir an dieser Stelle, eigentlich in der ganzen Geschichte des Leviten kein Wort davon, dass er Gott einmal befragt hätte, welchen Weg er gehen soll. Auch daraus lernen wir, dass wir nicht nur zu Gott kommen dürfen, sondern dass Er es von uns erwartet und erwarten kann, vor jedem Schritt nach Seinem Willen zu fragen.
Man kann sich gut vorstellen, dass der Vater der Kebsfrau froh war, dass ihr Mann wieder kam, um sie zurückzuholen. So wurde die Ehre seiner Tochter wiederhergestellt, und auch er als Vater, der vielleicht durch die Hurerei einen schlechten Ruf erhielt, konnte aufatmen.
So ist es häufig in dieser Welt. Solange die Gläubigen bestimmten Interessen der Weltmenschen nützlich sind, nimmt man sie gerne ins Haus auf. In gewisser Hinsicht kann man sich eben mit Gläubigen schmücken. Das jedoch heißt nicht, dass nicht bei der nächstbesten Gelegenheit die Feindschaft der Welt wieder ihren Ausdruck findet. Ein Gläubiger lebt nur dann sicher, wenn er sich von der Welt trennt – allerdings muss er dann Ablehnung und Verachtung in Kauf nehmen.
Salz der Erde
Diese Verse erinnern uns an Matthäus 5,13: ”Ihr seid das Salz der Erde; wenn aber das Salz kraftlos geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden.” Dieser Levit glich dem kraftlosen Salz. Er war ohne Kraft, das Böse innerlich und äußerlich zu verurteilen. Vielmehr machte er sich – mindestens äußerlich – eins mit denjenigen, die Sünde auf sich geladen hatten. Dadurch war er in dieser Hinsicht zu nichts anderem tauglich, als ”hinausgeworfen zu werden”. Um so bemerkenswerter ist es, dass gerade dieser Mann der Zeuge wird, auf den sich das ganze Volk verlässt und der damit den Bürgerkrieg in Israel zumindest mittelbar auslöst.
Wir lernen aus diesem Punkt, dass wir nur dadurch, dass wir uns als für den Herrn Abgesonderte verhalten, wahrhaftig Salz der Erde sein können. Nicht die Mentalität von ”Schwamm drüber”, sondern das Bewusstsein, dass Gott heilig und gerecht ist, lässt uns wahre Zeugen sein. Zudem warnt uns der Geist Gottes davor, aufgrund menschlicher Neigungen Männer zu vertrauenswürdigen Zeugen zu machen, die in ihrer Lebenspraxis durch Weltförmigkeit und Unheiligkeit auffallen, anstatt auch an dieser Stelle biblische Maßstäbe anzuwenden.
Eine andere Seite ist, dass in dem Verhalten des Vaters dieser Kebsfrau jedes Anzeichen eines gebeugten Geistes fehlt. Hätte er nicht allen Grund gehabt, sich für seine Tochter zu schämen? Das jedoch scheint ihm gar nicht in den Sinn zu kommen. Vielmehr überspielt er alle solche Empfindungen.
Wie leicht stehen auch wir als Eltern in der Gefahr, unsere Kinder zu decken bzw. jeden Anlass zu suchen, die eigenen Nöte zu überspielen – anstatt uns zu demütigen und zu beugen, da es doch wieder ”einigermaßen gut” gegangen ist, jedenfalls besser, als wir gedacht hätten.
Man wird beim Lesen des Endes des dritten Verses unwillkürlich an das Gleichnis des sogenannten verlorenen Sohnes (Lukas 15) erinnert. Aber welch ein Unterschied zwischen diesen beiden Vätern. Derjenige in Lukas 15 steht in Seiner ganzen moralischen Würde vor uns, in der Er auf seinen Sohn zugeht, nachdem in dessen Gesicht bereits Zeichen der Buße zu lesen sind. Jener in Richter 19 dagegen ist nur von fleischlichen Beweggründen beseelt, um sich und seine Familie ins rechte Licht zu rücken.
Wahre Freude ist nüchtern
(Vers 4-8) Es hat den Anschein, als ob im Haus des ”Schwiegervaters” des Leviten ein regel-rechtes Gelage stattfand. Das mag oberflächlich betrachtet eine Art von Freude sein. In Wirklichkeit handelt es sich bei einem Gelage aber um eine ausgelassene, überschäumende Art von Fröhlichkeit und Lustigkeit, die aus dem Fleisch und nicht aus dem Geist kommt (Galater 5,19). Auch andere Gelage der Schrift, denken wir nur an Belsazar (Daniel 5), Herodes (Matthäus 14) oder Ahasveros (Esther 1), hatten üble Folgen. Hier in Richter 19 werden diese noch nicht unmittelbar sichtbar, aber sie würden kommen.
Als Gläubige dürfen wir uns freuen, auch mit unseren Mitgeschwistern; wenn wir nicht, wer denn dann? Aber doch gilt für den Christen, dass er immer Herr seiner Sinne und besonnen (Titus 2) bleiben muss.
Es ist im übrigen interessant, dass man das Wort Gelage – und damit den Gedanken aus Richter 19 – in Galater 5 wiederfindet. Dort wird ”Gelage und dergleichen” in Verbindung mit ”Hurerei, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft” etc. aufgeführt. Dadurch erhält man einen gewissen Eindruck, welches Urteil Gott über diese Dinge ausspricht.
Wir sahen schon, dass der Levit einen äußerst schwachen Willen hat, denn sein Schwiegervater hat keine Mühe, ihn mehrmals von seinen Plänen der Abreise abzubringen. Gott hat kein Gefallen an dem Eigenwillen des Menschen. Dennoch sollte ein Christ grundsätzlich ”mannhaft” sein, und nicht willenlos (Sprüche 7). Das dürfen wir auch den Worten des Apostels Paulus entnehmen, der in 1. Korinther 16,13 den Korinthern zuruft: ”Wacht, steht fest im Glauben; seid mannhaft, seid stark!”
Zugleich sticht der Vergleich dieses Mannes mit dem Knecht Abrahams ins Auge. Dieser wollte nicht bleiben, nachdem Rebekka zur Hochzeit mit Isaak eingewilligt hatte, sondern umgehend aufbrechen, um seinem Herrn die Braut zuzuführen und entsprechend der Aufträge Abrahams zu handeln. Dieser Levit dagegen hatte offenbar keine Aufgaben und konnte sich so bereitwillig über eine längere Zeit ”arbeitslos” im Hause seines ”Schwiegervaters” aufhalten.
Gläubige dürfen durch Dienst gekennzeichnet sein
Wenn Gott Gläubigen eine Überzeugung schenkt, dann erwartet er, dass wir nach dieser handeln. In dieser Hinsicht ist der Unterschied zwischen dem Leviten und seinen Vorfahren, die sich angesichts der Verehrung des goldenen Kalbes sofort auf die Seite Moses stellten, sehr auffallend (2. Mose 32,26). Jene hatten damals eine entschiedene Haltung eingenommen, als es um die Ehre des HERRN ging. Sie zögerten nicht lange, sondern wählten unmittelbar die Seite des HERRN – und wurden so fähig, hervorragende Dienste für Gott und das Volk auszuführen.
Ihre eigentliche Aufgabe war es zu dienen. Dieser Levit jedoch fällt dadurch auf, dass er sich bedienen lässt. Wer als Diener eine solche Haltung einnimmt, kann sicher sein, dass Verfall und Sünde vor der Tür lagern. Das sehen wir in extremem Ausmaß bei Gehasi, dem Diener Elisas, aber auch zuweilen bei treuen Dienern wie David und Gideon.
Man hat fast den Eindruck, als wäre der Schwiegervater darauf bedacht, den Leviten länger in seinem Haus zu behalten, damit allen sichtbar würde, dass sich seine Tochter wieder auf guten Wegen befindet.
Ein in den Wegen des Herrn geübter Gläubiger sollte diese egoistischen und weltlichen Interessen erkennen, die hier der Schwiegervater offenbart, und daraus seine Konsequenzen ziehen. Ein weltlicher Gläubiger jedoch ist so im Garn Satans verfangen, dass er nicht mehr merkt, wie dieser mit ihm spielt. Schlimm ist auch, dass ein solcher Gläubiger häufig in dem Moment, wo er bei einem anderen Böses entdeckt, um so schärfer re-agiert und jenen verurteilt (vgl. 1. Mose 38,24; Richter 20,8; ...). Möglicherweise erkennt er unbewusst die eigenen Fehler und versucht, diese durch eine scheinbar geistliche Reaktion zu überspielen.
Der Mensch – der Gläubige – ist verantwortlich
Fünf Tage verbrachte der Levit somit im Hause seines Schwiegervaters. Das wird uns ausdrücklich mitgeteilt. Daher scheint der Geist Gottes uns auch eine moralische Belehrung aus dieser Tatsache geben zu wollen. Die Zahl ”5” hat mit der menschlichen Verantwortung zu tun. Der Mensch hat Hände und Füße, die aus jeweils fünf Fingern bzw. Zehen bestehen. In Markus 6,40 lässt der Herr Jesus die Volksmenge auch in Gruppen von je 50 (und 100) Personen lagern.
So, wie wir mit unseren Händen vor unserem Schöpfer Gott verantwortlich sind, das zu tun, was Seinem Willen entspricht, sind wir mit unseren Füßen verantwortlich, die Wege zu beschreiten, die Er will. Genauso offenbarte der Herr Jesus Seine Schöpfermacht, indem Er die Brote und Fische vervielfältigte und die Menschen unter Verantwortung stellte, Ihn als Schöpfer und Herrn anzuerkennen. In ähnlicher Weise prüfte Gott auch diesen Leviten in seiner Verantwortung vor dem Schöpfer, der ihm eigentlich nur eine Frau gegeben hatte, und in bezug auf sein Verhalten zu seiner falschen Verbindung mit dieser Frau. Aber der Levit versagte – wie auch wir so oft – und lädt damit die Folgen dieses Versagens auf sich und sogar auf das ganze Volk.
Es ist auch erstaunlich, dass es in diesen Versen um den Schwiegervater und seinen Schwiegersohn, nicht aber um den Leviten und seine Frau geht. Soll uns, bevor das große Übel in Gibea passiert, ein Gemälde von diesem Leviten gemalt werden, um uns seine Gesinnung deutlich vor die Herzen zu stellen? Natürlich sollten wir die Sünde der Kebsfrau erkennen, aber sie steht letztlich nicht im Mittelpunkt dieser Geschehnisse.
Der Herr sucht Hingabe, nicht Trägheit
(Vers 9-10) Die fehlende Aktivität, die sich schon in den Versen 4-8 abzeichnete, setzt sich auch am tatsächlichen Abschiedstag fort. Im Gegensatz zu Abraham, der sich des Morgens früh aufmachte (1. Mose 22), oder zu Mose, der verschiedene Plagen am frühen Morgen einleitete (2. Mose 7-11), lässt es der Levit auch am Abreisetag äußerst gemächlich angehen. Letztlich wird das sogar zu einer Ursache für das bevorstehende Übel, da er nun nicht innerhalb eines Tages sein eigenes Haus erreichen kann. Wir lernen daraus, dass Gott Gemütlichkeit (in bezug auf anstehende Aktivität), Faulheit und Trägheit nicht segnet.
Gerade der frühe Morgen, sei es, dass wir ihn auf die Jugendzeit eines Menschenlebens oder auf den tatsächlichen Morgen eines Tages beziehen, sollte der Beginn unserer geistlichen Aktivität sein. ”Ein wenig Schlaf, ein wenig Schlummer, ein wenig Händefalten, um auszuruhen – und deine Armut kommt herangeschritten, und deine Not wie ein gewappneter Mann” (Sprüche 24,34). Auch für uns ist es wichtig, den richtigen Augenblick für unsere Aktivitäten, unser ”Aufbrechen” zu erkennen. So mancher Fehler hätte vielleicht vermieden werden können, wenn wir die Zeit des Herrn erkannt und danach gehandelt hätten.
Moralische Nacht in Israel
Häufig finden wir in der Schrift, dass äußere Bedingungen eine unmissverständliche Symbolik in sich tragen. Ein Beispiel dafür ist die Nacht, in die Judas ging, als er das Abendessen mit dem Herrn Jesus und den Jüngern verließ, um endgültig ein Feind Jesu zu werden. Auch in seinem Herzen wurde es da endgültig Nacht, und sein Ziel, sein ewiger Bestimmungsort, wurde dadurch gleichsam die ewige Nacht, in ewiger Gottesferne.
Hier bei dem Leviten lesen wir davon, dass er aufbricht, als ”der Tag sinkt” und damit die ersten Schatten fielen. Es wurde also bereits Abend – und dieser Abend spricht symbolisch von dem Abend, der für ihn selbst zuallererst, aber auch ganz buchstäblich für seine Kebsfrau und für die ganze Nation Israel anbrach.
Inneres und Äußeres müssen gleichgewichtig sein
(Vers 11-14) Es fällt auf, dass der Levit seine Reise für die Übernachtung nicht in einer kanaanitischen Stadt wie z.B. Jebus, dem damals noch zukünftigen Jerusalem unterbrechen will. Dies wirkt auf den ersten Blick sehr fromm. Es ist allerdings zu bedenken, dass diese Form äußerer Absonderung in keinem Verhältnis zu seinem sonstigen Verhalten und moralischen Zustand steht. Seine nationale Zugehörigkeit und möglicherweise ein damit einhergehender Stolz scheinen ihm wichtiger als der moralische Zustand seiner Familie und das Wohl des Volkes Gottes zu sein.
Es ist gut und richtig, nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich auf der Seite des verworfenen Herrn zu stehen. Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, als habe die innere Seite nicht den gleichen Wert wie die äußere. Sie muss der äußeren sogar vorausgehen, sonst würde es sich um Heuchelei handeln. Der Herr wünscht unser Herz und unser Äußeres.
Versagen von Anfang an
Zugleich zeigen uns diese Verse natürlich auch, dass der Stamm Benjamin versäumt hat, die Stadt Jebus einzunehmen. Erst unter David wird sie für das Volk Israel überwunden und zu Zion, der Stadt Davids.
Wie leicht versäumen auch wir es, mit Energie die himmlischen und geistlichen Segnungen praktisch in Besitz zu nehmen, die der Herr uns geschenkt hat. Leider sind wir so leicht damit zufrieden, Christen zu sein, die Zusammenkünfte zu besuchen und äußerlich keinen Anstoß zu geben. Jerusalem gibt uns an dieser Stelle die Belehrung, dass wir persönlich Energie, Zeit und Fleiß aufzuwenden haben, wenn wir den Gedanken des Herrn entsprechen und das in Anspruch nehmen wollen, was Er uns zugedacht hat.
Eine gewisse Tragik liegt in diesem Zusammenhang auf Benjamin, Jebus (oder Jerusalem) und der hier geschilderten Geschichte. Gerade dieser Stamm, der auf so einmalige Weise versagt, ist es, der als erster Stamm den König über Israel stellen wird.
Aber zur Geschichte in Richter 19 passt, dass die Stadt, die Gott sich für den Tempel, die Bundeslade und den König erwählt hat, von diesem ersten König nicht gesucht wurde, auch wenn sie gerade in dem Gebiet lag, das von ihm regiert und besetzt werden sollte. Hieran sieht man, dass der Mensch, wenn er unter Verantwortung gestellt wird, von Anfang an vollkommen versagt.
Geistliche Energie ist für die Inbesitznahme geistlicher Segnungen nötig
Man kann auch kaum verstehen, dass niemand unter dem Volk Gottes oder in dem Stamm Benjamin aufsteht, um einmal vorzustellen, dass man immer noch mitten unter nicht-jüdischen Heiden wohnt. Das scheint überhaupt niemanden zu interessieren, obwohl Gott das Volk angewiesen und angespornt hatte, das ganze Land in Besitz zu nehmen. Die Prioritäten des Volkes lagen einfach auf anderen Gebieten, die aber für das Herz Gottes bei weitem nicht diese Wichtigkeit besaßen.
Auch bei uns kann es leicht so sein, dass ”heidnische” Dinge den Platz in unseren Herzen einnehmen, den eigentlich das Wort Gottes, die himmlischen Segnungen und vor allem die Person unseres Heilands und Herrn einnehmen sollte.
Wie leicht verlieren wir uns in Karriereplänen, die uns in der Welt groß machen, nicht aber die Person unseres Herrn in unserem Leben, oder in unseren Hobbys, die unsere ganze ”Freizeit” auffressen, die uns in Wirklichkeit nur von dem Herrn geliehen worden ist, um für Ihn tätig zu sein. Vielleicht mag mancher nun denken, dass dies vollständig von den Realitäten abgehoben ist. Tatsache ist jedoch, dass alles, was wir sind, besitzen oder können, ein Geschenk des Herrn ist, was uns aber - wie die Pfunde in Lukas 19 - nur anvertraut bzw. geliehen worden ist, um es für Ihn zu benutzen.
Natürlich hat jeder von uns seine normalen Pflichten zu erledigen. Viele haben auch eine Familie. Tatsächlich wäre es auch nicht nur unnüchtern, sondern sogar unbiblisch zu meinen, dass diese vernachlässigt werden muss, um dem Herrn zu dienen. Am besten dienen wir Ihm, wenn wir alles, unsere Arbeit und auch unsere Tätigkeiten in der Familie für den Herrn ausführen, denn jeder Dienst ist nach Kolosser 3,17 ein Dienst für den Herrn. Dann werden wir schon das rechte Maß finden, wo wir im engeren Sinn in Seinem Werk auf Seinem Weinberg mitarbeiten. Einerseits möchte Er uns ein ausgewogenes Urteil über diese Dinge schenken, andererseits sucht Er unser ganzes Herz, das bereit ist, auch Zeit für Ihn einzusetzen.
In Gibea-Benjamin geht nunmehr tatsächlich die Sonne unter. Wie schon gesagt spielen solche Naturereignisse in der Schrift häufig eine symbolische Rolle. Gibea steht hier gleichsam für das Volk Israel, das in diesem Moment zwar noch nicht für immer, aber doch für eine ganze Zeit in moralischer Finsternis leben würde. Letztlich ist das auch ein Bild dessen, was heute für dieses Volk Israel noch Realität ist: Finsternis und Zerstreuung, bis der König wiederkommen wird, der Herr Jesus, ihr Messias.
Gott redet – hört der Mensch?
(Vers 15-21) Es ist bemerkenswert, dass die sonst so sprichwörtliche Gastfreundschaft in Israel diesmal ausbleibt. Ob das nicht dem Leviten hätte zu denken geben sollen?
Gibt es uns zu denken, wenn das, was der Herr uns in Seinem Wort von Seiten der Mitgläubigen eigentlich zugedacht hat, nicht geschieht? Es ist ebenso leicht wie gefährlich, dann zuallererst oder sogar allein die Schuld bei anderen zu suchen – die in dieser Geschichte ja tatsächlich existiert – ohne zu verstehen, dass der Herr uns selbst eine Lektion erteilen möchte.
Als Levit stand diesem Mann jede erdenkliche Unterstützung zu (5. Mose 12,19).
Wie versorgen wir die Diener des Herrn, die in einer Zeit auf die Fürsorge des Herrn und der Seinen angewiesen sind, in der immer weniger Christen bereit sind, auf der Seite des verworfenen Herrn zu stehen und die ganze im Wort Gottes offenbarte Wahrheit zu praktizieren und anzuwenden? Es ist leicht einsichtig, dass es in einer solchen Zeit dementsprechend weniger Gläubige gibt, die Unterstützung leisten. Um so schöner, wenn es dann solche gibt, die die Nöte sehen und ihnen entsprechen.
Wir sehen an diesen Versen auch, wie die Gastfreundschaft, die Gesinnung der Gemeinschaft in Israel gelitten hat. Man ist geneigt anzunehmen, dass diesem Mann in Jebus, der Stadt der Welt, dergleichen nicht widerfahren wäre.
Auch wir sind nicht davor gefeit, einer solchen Unterkühlung anheim zu fallen. Wenn das Herz sich von dem Herrn entfernt, dann werden auch die Gefühle, die Er hervorrufen würde, ausbleiben. Wenn wir jedoch den Herrn Jesus vor uns stellen, dann werden wir auch mit Freuden Gastfreundschaft üben – sogar Fremden gegenüber –, wie wir es von einem Gajus (2. Johannes) lernen können.
Der Herr segnet jeden Dienst für Ihn
Zu guter Letzt ist es jemand, der selbst eigentlich ein Fremdling in diesem Dorf ist, der sich um den Mann kümmert und ihm den jüdischen Gruß des HERRN, ”Friede”, den wir später auch in den Briefen des Neuen Testamentes wiederfinden, entbietet.
Wie häufig werden wir von solchen, die als Fremdlinge – als Menschen dieser Welt – errettet werden, überrascht und belehrt, wie wir uns eigentlich verhalten müssten. So manches Mal kann solch vorbildliches Verhalten dazu führen, dass wir uns schämen.
Und es fällt auf, dass es sich bei dem Helfenden um einen alten Mann handelt. Wenn es um die Energie der Gastfreundschaft handelt, sollte man meinen, dass sie von jungen Leuten leichter geleistet werden könnte. Tatsächlich aber kommt hier ein alter Mann, der gewiss von der Arbeit ermüdet war, um die Fremden aufzunehmen. Das war sicherlich eine von Gott geschätzte Tat. Sie spricht aber ernst in bezug auf das, was von jungen Menschen geleistet werden könnte.
Fußwaschung
Am Ende des 21. Verses ist dann die Rede davon, dass sich sowohl der alte Mann aus dem Gebirge Ephraim wie auch der Levit mit den Seinigen ”ihre Füße wuschen”. Diese Sitte aus dem Orient ist zunächst nicht weiter auffallend. Abraham (1. Mose 18,4), Lot (1. Mose 19,2) und auch Abigail (1. Samuel 25,41) kannte diese Sitte der Höflichkeit. Dies zeigt, dass es sich zuerst um eine Handlung der Demut, der Höflichkeit und zur Sauberkeit und Erfrischung handelte.
In diesem Vorgang liegt jedoch auch eine geistliche Bedeutung, die uns der Herr Jesus in Johannes 13 vor Augen und Herzen führt und die im Blick auf die weiteren Geschehnisse hier in Richter 19-21 von Bedeutung sind – leider in negativer Hinsicht.
Der Herr führt Seinen Jüngern in Johannes 13 vor Augen, dass angesichts Seines Weggehens aus dieser Welt zum Vater (Vers 1), Seiner Liebe zu den Seinen (Vers 1), der Feindschaft des Teufels und seiner Instrumente (Vers 2), sowie der gewaltigen Tatsache, dass der Vater Ihm, dem Herrn Jesus, alles in die Hände gegeben hatte, Er selbst einen Dienst der Fußwaschung an den Seinen, an allen Gläubigen ausüben würde, der zugleich aber auch eine gängige Praxis unter den Gläubigen sein sollte. Das Aufstehen Jesu damals (Vers 3-4) symbolisiert sozusagen Sein Hingehen zum Vater in den Himmel nach vollbrachtem Werk auf Golgatha. Von dort aus würde Er – und heute tut Er es ständig, denn Er lebt auch als Mensch zur Rechten des Vaters in der Herrlichkeit – die Füße der Jünger waschen, weil sie sich durch ihren Wandel durch diese Welt, die einer Wüste gleicht, ihre Füße beschmutzen würden.
Das spricht direkt zu uns. Weil wir uns so leicht angesichts dieser Christus- und damit auch uns feindlichen Welt durch Sünde verunreinigen, wäscht uns der Herr Jesus die Füße, um uns in den Genuss der göttlichen Gemeinschaft mit Ihm selbst und dem Vater wieder zurückzubringen. Es handelt sich dabei um Sein Wirken vor allem als Sachwalter, das uns in 1. Johannes 2,1-2 vorgestellt wird und sich darauf bezieht, dass ein Gläubiger, der ewiges Leben besitzt, gesündigt hat. Wenn Er diesen Dienst nicht ausführte, dann würden wir immer in unseren Sünden verharren und Christus sowie Seine Interessen vollständig aus den Augen verlieren.
Das Wasser ist dabei ein Bild des Wortes Gottes, dass der Herr Jesus in der Kraft des Heiligen Geistes auf uns und unser Leben anwendet, auf unseren Wandel, wovon die Füße sprechen, die gewaschen werden (vgl. Johannes 7,38-39). Einen solchen Dienst nun dürfen wir als Gläubige auch untereinander ausüben, wie der Herr Jesus in Johannes 13,15 klar macht – er ist sogar notwendig, damit die reinigende Kraft des Wortes Gottes immer wieder neu auf unseren Lebenswandel angewandt wird.
Warum sind diese Gedanken nun auch in bezug auf die Begebenheit in Richter 19-21 so wichtig? Die Fußwaschung beinhaltet auch den Gedanken, dass ein Gläubiger durch das Wort Gottes zum Selbstgericht geführt wird. Er erkennt sich selbst durch den Spiegel des Wortes Gottes und tut alles hinweg, was hinderlich ist, die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn zu genießen. Dadurch ist er auch in der Lage, die Gedanken Gottes zu erkennen und zu genießen– denn das ist Gemeinschaft – und sie in der richtigen Weise anzuwenden.
Wenn wir jedoch in unserem Verhältnis zu dem Herrn Jesus und auch untereinander eine solche Fußwaschung nicht kennen, dann ist die Gefahr groß, dass wir – wie in Richter 19-21 – ohne einen Auftrag des Herrn handeln und ein Urteil aussprechen und vollführen, dass so bzw. in dieser Art und Weise nicht in Übereinstimmung mit den Gedanken des Herrn ist. Zugleich sind wir dann anfälliger, einen eigenen Weg in dieser Welt zu gehen, dem Gott seine Zustimmung verweigern muss. Nur das glasklare Wasser des Wortes Gottes – zunächst auf uns selbst angewandt, wird hier zu einem klaren Blick führen.
Freundschaft der Welt ist Feindschaft gegen Gott
(Vers 22) Auch hier hat man nun wieder den Eindruck, dass ein eher üppiges Mahl eingenommen wird, so dass man es sich ”gut gehen ließ”.
Wenn wir als Gläubige ein Leben ohne unseren Herrn führen und uns behaglich in dieser Welt niederlassen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir auch von den moralischen Gräueln, die uns umgeben und die diese Welt charakterisieren, angegriffen werden.
Natürlich stellt sich hier die Frage, wie dieser alte Mann vom Gebirge Ephraim, der in Gibea wohnte, sich in einer solch gottlosen Stadt niederlassen konnte, obgleich ihm wohl als einzigem eine gewisse Gottesfurcht zugeschrieben werden kann. Das erinnert uns an die Begebenheit in 1. Mose 19,4-5, in der zwei Engel Lot in Sodom besuchen und das gleiche erleben. Auch Lot führte ein Leben in dieser Welt, ohne sich von ihr gottgemäß wie Abraham abzusondern. Das Schlimme ist nun hier, dass die schrecklichen moralischen Zustände der heidnischen Welt auch unter dem Volk Gottes, Israel, um sich gefressen haben.
Das schlägt eine Brücke zum Neuen Testament. Dort werden die Charakterzüge der heidnischen Welt vollständig in Römer 1,28-32 und die Charakterzüge einer gefallenen und Christuslosen Christenheit als zum Teil noch schlimmer in 2. Timotheus 3,1-5 aufgeführt. Wenn das Volk Gottes fällt, dann tritt ein moralischer Zustand zutage, der leider häufig noch tiefer ist als der der gottlosen Welt. Auch wir gehören zu der Christenheit; möge der Herr uns vor solchem Fallen bewahren!
Im übrigen finden wir diesen alten Mann in der späteren Geschichte mit keinem Wort mehr erwähnt. Ist er mit den Männern aus Gibea umgekommen? – Wobei wir überzeugt sein dürfen, dass der Herr die Treue dieses Mannes, die er in dieser Begebenheit hinsichtlich der Gastfreundschaft unter Beweis stellte, belohnen wird.
Wir brauchen uns jedoch nicht zu wundern, wenn auch wir als Gläubige unter zeitliches Gericht fallen, wenn wir uns mit der Welt äußerlich oder innerlich eins machen. Manches Mal, wenn der Herr Jesus ein plötzliches Warnsignal gibt, z.B. durch Katastrophen an bestimmten weltlichen Orten – denken wir an Diskotheken, Kinos, Theatern, etc. – fragt man sich: Ob wohl unter denjenigen, die dadurch gestorben sind, auch Gläubige waren? Der Herr schenke uns aber, dass wir nicht so sehr aus Angst oder aus Gesetzlichkeit als vielmehr aus Liebe zu Ihm alles das ablegen (Kolosser 3,5-11), was nicht in Übereinstimmung mit Ihm ist, um zusammen mit denen, die Seinen Namen aus reinem Herzen anrufen (2. Timotheus 2,22), Ihm zur Verfügung zu stehen.
Biblische Absonderung ist die beste Predigt
Wir können gut verstehen, dass der alte Mann seine Gäste nicht auf dem Platz im Freien übernachten lassen wollte. Hier wäre die Gefahr zu groß gewesen, dass sie sofort bedrängt worden wären. Aber er hatte angesichts dieses Bösen keine Konsequenz für sein eigenes Leben gezogen und verwirklichte keine Heiligung für Gott. Die Freundschaft dieser Welt ist Feindschaft wider Gott (Jakobus 4,4). Es ist schlimmer, die Bosheit der Welt zu erkennen, und dennoch nicht mit ihr zu brechen, als in dieser Bosheit zu leben, ohne sich dessen bewusst zu sein, denn die Verantwortung vor Gott wächst, je größer die Erkenntnis eines Menschen ist.
Ein Abraham beweist, dass er durch seine Absonderung mehr für Sodom und die dort wohnenden Gläubigen tun kann als Lot. Auch heute sind alle Aktivitäten einer ”Freundschafts-Evangelisation” nicht in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes, da sie die – wenn auch vorübergehende – Freundschaft mit dieser Welt voraussetzen. Eine in Demut, Liebe und Gottesfurcht durchgeführte persönliche Evangelisation, in der wir allein schon durch unseren Lebenswandel predigen, ist dagegen unserem Herrn wohlgefällig und wird Frucht für Ihn hervorbringen.
Das galt auch für Mose, der lieber die Schmach Christus tragen wollte, als in der Welt Ägyptens groß zu werden. Gerade durch diese Treue und Absonderung von der Welt war er ein nützliches Werkzeug in der Hand Gottes, um zur Errettung des Volkes beitragen zu können.
Das menschliche Herz (auch des Gläubigen) ist zu allem fähig
(Vers 23-27) Die hier beschriebene Begebenheit ist dermaßen widerlich, dass man nicht über sie sprechen wollte, stünde sie nicht in dem Wort Gottes. Wir lernen, wozu das menschliche Herz in der Lage sind.
Und auch wir, die wir an den Herrn Jesus glauben, besitzen das gleiche Fleisch und sind fähig, solche Dinge zu tun, wenn wir uns nicht von unserem Sachwalter und Hohenpriester im Himmel, Jesus Christus, bewahren lassen.
Man sieht an dieser Begebenheit auch, dass Satan es geschafft hat, viele Menschen und besonders Männer in die Gewalt ihrer Sexualität zu bringen. Es gibt auch in der Bibel zu diesem Thema außerordentlich viele Beispiele von Gläubigen, die unter dieses Urteil fallen – natürlich nicht für ihr ganzes Leben, aber doch zeitweise. Denken wir nur an die Geschichte Davids mit Bathseba, oder an seinen Sohn Salomo, an Simson, Gideon, etc.
Es wäre unnüchtern, dieses Problem nicht auch in der heutigen Zeit zu sehen, die durch eine große Reizüberflutung in allen Medien auffällt. Schenke uns der Herr, dass jeder von uns – und hier sind besonders die Männer angesprochen – wachsam in bezug auf sein eigenes Fleisch und die eigenen Augen ist.
Vermeintlich ”kleine” Sünden (”Bauernopfer”) wiegen ”große” Sünden niemals auf
Zugleich werfen diese Verse ein Licht auf die beiden beteiligten Männer. Es ist nicht zu verstehen, dass der alte Mann seine Tochter für Misshandlungen und Vergewaltigungen anbietet – man kann eine Wahrheit wie die der Gastfreundschaft auch einseitig und zu stark betonen, denn diese hat ihre Grenzen. Gott kann nicht gutheißen, wenn wir Böses tun, um Schlimmeres zu verhindern. Noch so gut gemeinte ”Bauernopfer” bleiben Unrecht, wenn sie Sünden darstellen.
Andererseits scheint der Levit lediglich körperliche (und damit die niedrigste Form der) Liebe für seine Kebsfrau zu empfinden. Anders können wir nicht erklären, dass er diese so leicht opfert. Er selbst ist dafür verantwortlich, dass er in diese Situation gekommen ist, und wälzt die Folgen auf seine Frau ab. Von einem Gebet zu Gott bzw. dem HERRN lesen wir in diesem Zusammenhang und in dem ganzen Kapitel – wie gesagt - überhaupt nichts.
Auch wir gleichen oft diesem Leviten, indem wir mit eigenen Überlegungen aus Situationen herauskommen wollen, in die wir durch unsere eigenen Fehler hineingeraten sind. Und wie leicht lassen wir andere leiden und im Stich, um nur selber verschont zu bleiben.
Diesem Leviten ging es nur um sein eigenes Leben. Er erkannte offenbar ”messerscharf”, dass dieses in Gefahr war. Um sich selbst zu retten, war er bereit, auf alles mögliche zu verzichten, sogar auf das Beste, was ihm zu dieser Zeit ”zur Verfügung stand”, was er besaß: seine Kebsfrau.
Es fällt uns auch die Missachtung des Leviten für seine Frau auf, die für ihn anscheinend nur ein Gebrauchsgegenstand war. Wie schrecklich, wenn sich Männer auf eine solche Weise mit Frauen abgeben und an ihnen versündigen. Dem Mann ist seine Frau als Hilfe seinesgleichen gegeben, dass er sie pflege und ihr Ehre gebe. Wer dem entgegen handelt, widersteht zugleich Gott, der dem Mann eine Frau nicht gegeben hat, um mit ihr nach eigenem Gutdünken zu handeln, sondern um sie zu lieben und als Geschenk des Herrn zu bewahren.
An diesen Versen lernen wir auch, dass man eine ”große” Sünde nicht durch eine vermeintlich ”kleinere” Sünde aufwiegen oder verhindern kann. War es recht, dass der alte Mann auch noch seine Tochter anbot? Natürlich wollte der alte Mann zu Recht die Freveltat seiner Stadtgenossen verhindern – aber wie konnte er das eine Übel mit dem der nicht weniger schlimmen Hurerei auslöschen? Er und der Levit hätten viel mehr zu dem HERRN um einen Ausweg flehen sollen. Sie hätten sicher sein können, dass Er einen solchen gefunden hätte – denken wir nur an Lot und seine Geschichte.
Wir können die ganze Haltung des Leviten in dieser Begebenheit nur dadurch erklären, dass bereits zuvor Schritte in seinem Leben eingetreten waren, die einen Keil zwischen ihn und seinen Herrn getrieben haben. Das war nur möglich, weil er zuvor schon Schritte des Ungehorsams und der Leichtfertigkeit unternommen hatte. So erlaubte Gott diesen Fortschritt im Bösen, um die Wurzel von Unmoral und falscher Gesinnung in Israel ans Licht zu stellen. Wenn es im Kleinen angefangen hat, dann wird man nach weiterem Fortschritt gar nicht mehr empfinden, dass etwas nicht mehr stimmt.
Moralischer Verfall ist beinahe unaufhaltsam
Wenn das Volk Gottes so sehr von den moralischen Grundsätzen des Wortes Gottes abgekommen ist, dann versucht es praktisch immer, sich auf eine eigenen Weise zu helfen. Das jedoch führt zu weiterem Unheil.
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass der alte Mann den Männern der Stadt nicht nur seine Tochter anbietet, sondern auch hinzufügt: ”Schwächt sie und tut mit ihnen, was gut ist in euren Augen.” Wie tief muss ein solcher Mann moralisch gefallen sein, dass er seinen Nachbarn anbietet, mit seiner Tochter zu tun, was sie wollen. Hatte er keine Verantwortung für seine Familie, die der HERR ihm anvertraut hatte? War er auch öffentlich schon dafür, dass jeder tun kann, was er will?
Es ist andererseits nahezu unmenschlich, dass dieser Levit in der Nacht schlafen konnte, wo er wissen musste, dass seine Frau schrecklich litt. Wie sehr kann ein Mensch, auch ein Gläubiger, sein Gewissen wie mit einem Brenneisen gehärtet haben (1. Timotheus 4,2), so dass er wie auch ein Jona (Jona 1,5) trotz schlimmster Stürme in der Lage ist, in aller Ruhe zu schlafen. In welch einem Kontrast steht beispielsweise ein Mann wie Mose zu diesem Leviten hier. Als das Volk Hurerei trieb, z.B. in 4. Mose 25, handelte er in einem heiligen Zorn, dort im Auftrag Gottes. Oder auch Pinehas, der in der Begebenheit in Richter 20 wieder auftritt, mit welch einer Entschlossenheit und Treue steht er für die Rechte des Herrn ein, um Seiner Heiligkeit genüge zu tun (4. Mose 25,7-8).
Auch heute sucht der Herr solche, die so auf Seiner Seite stehen, um Seine Heiligkeit unter dem Volk Gottes aufrecht zu erhalten und zugleich für das Volk einzutreten, damit es nicht aufgerieben wird.
(Vers 28-29) Nicht so jedoch dieser Levit. Fast wie ein Tier fordert er seine Frau am Morgen auf, nachdem er ”ausgeschlafen” hat, sich zu erheben. Erst danach merkt er, dass sie durch die Misshandlungen umgekommen ist. Sie kam – wie gesagt – gleichsam an den Folgen ihrer eigenen Sünden um, und - diesen Eindruck hat man - ohne wirklich Buße über ihr eigenes Handeln getan zu haben. Auch hier trifft den Leviten eine Mitverantwortung, weil er es schuldhaft unterlassen hatte, sie auf diese Sünden hinzuweisen und zu dem HERRN zurückzuführen. Aber wie hätte er es tun können, wo sein eigener Zustand so gottlos war!
Hierdurch wird die Aufmerksamkeit noch einmal auf die Ehemänner und Familienväter gerichtet. Wir sind für das verantwortlich, was in unseren Häusern vor sich geht, und haben in dieser Hinsicht einmal vor dem Richterstuhl Rechenschaft abzulegen, sei es im Guten oder im Bösen, denn nach 2. Korinther 5,10 werden die Gläubigen dort offenbar werden. Der Levit jedenfalls hat in diesem Punkt versagt, wie wir dem Urteil Gottes über ihn entnehmen können.
Sicherlich hätte der Levit gedemütigt sein müssen bis in den Staub – in dem seine Kebsfrau dort vor ihm lag – als er die arme Frau dort auf dem Boden sah. Anstatt dessen jedoch forderte er sie auf, sich zu erheben. Er realisierte in diesem Moment noch nicht, dass sie tot war. Aber selbst wenn sie nicht tot gewesen wäre, wäre er einer herzenslosen Härte schuldig gewesen.
Gott ist Schöpfer des menschlichen Körpers
Neben aller berechtigten Empörung über die schreckliche Tat der Männer in Gibea erscheint es doch nicht weniger scheußlich, dass der Levit nunmehr seine Frau in zwölf Teile zerstückelt und an alle Stämme in Israel sendet. Diese überzogene Tat, die natürlich in keiner Weise das Übel Gibeas geringer macht, ist wie eine Einleitung für die überzogene Reaktion, die dann von dem ganzen Volk Israel in dem 20. Kapitel an den Tag gelegt wird.
Auch hier muss man sich wieder fragen, aus welchen Motiven heraus der Levit handelt. Ist es wirklich ein Einstehen für die Ehre Gottes, oder ist es verletzter Stolz? Hätte er nicht, anstatt diesen Aufschrei in Israel zu inszenieren, seine eigene Schuld erkennen und Buße darüber tun sollen? Anstelle dessen entschied er sich, offenbar aus Rache, diese schreckliche Sache auf eine mindestens genauso schreckliche Art und Weise in Israel – und darüber hinaus – bekannt zu machen.
Auch die Abscheu gegenüber tatsächlich Bösem bedeutet keineswegs immer, dass sie aus lauteren Beweggründen hervorkommt. Wie leicht ist es die eigene Ehre, die uns zu solchen sichtbaren spektakulären Taten bringt!
Der Levit konnte sich mit dieser Handlung auf kein Gebot berufen. Man hätte annehmen sollen, dass gerade er als Levit zunächst Gott befragt. Davon jedoch finden wir erneut nichts. Sein eigener Impuls ist es, der ihn leitet. Zu anderer Gelegenheit sehen wir, dass ein solches ”Zerstückeln” durchaus nach den Gedanken Gottes sein konnte. Als Samuel zu Saul kam, nachdem dieser bereits kurz nach seiner Salbung zum König versagt hatte, musste er in heiligem Zorn vor Gott den König der Amalekiter, Agag, zerstückeln (1. Samuel 15,33). Hier war tatsächlich jemand, der für die Ehre Gottes stritt.
Normalerweise aber ist ein solches Zerstückeln absolut im Widerspruch zu den Gedanken Gottes, der will, dass ein Toter begraben wird. Das finden wir unter anderem dadurch belegt, dass Er selber einen Mose begrub. Dieser Levit hatte jedoch offenbar überhaupt keine Ehrfurcht vor dem geschaffenen Werk Gottes, dem Körper, wenn auch die Person tatsächlich schon gestorben war.
Der Gestorbene – der Herr Jesus
Es ist bedenkenswert, dass der Geist Gottes bei unserem gestorbenen Herrn nicht einfach von dem Körper, dem Leib spricht, sondern von dem ”Leib Jesu” (Lukas 23,52; Johannes 20,12), dem ”Leib des Herrn Jesus” (Lukas 24,3). Auch Maria Magdalene spricht – in Ehrfurcht sei es gesagt - nicht einfach von einem ”Körper”, der aus dem Grab verschwunden ist, sondern von ”meinem Herrn” (Johannes 20,13).
Besonders beeindruckend ist der Vers in Johannes 19,42. An dieser Stelle heißt es: ”Dorthin nun, wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus.” Es ist also gar keine Rede von dem ”Leib”, sondern dieser wird vollständig mit der Person identifiziert. Auch bei dem gestorbenen Heiland handelte es sich um ”Jesus”, um Seine heilige und herrliche Person.
Die Augen des Schöpfers und der Menschen sehen einen Gläubigen
Dieser Levit jedoch gibt erst ”den Körper” seiner Kebsfrau diesen begierigen Männern hin und dann zerschneidet er selbst auch noch den jetzt in der Tat leblosen Körper seiner Frau und entehrt ihn dadurch ein zweites Mal.
Das, was wir daraus für uns lernen können, ist, dass auch ein schon gestorbener menschlicher Körper auf ein Werk Gottes zurückzuführen ist, und daher mit Anstand und Ehrfurcht zu behandeln ist. Das gilt im übrigen für alle Menschen, auch solche, die in der Gosse sitzen und vor denen man an und für sich kaum einen Respekt haben würde. Aber auch sie sind Geschöpfe Gottes und haben – wenn auch kaum noch sichtbar – etwas von S
Quelle: bibelpraxis.de/a204.html