Vorwort
Der Verfasser [...] schrieb diese Betrachtungen auf besonderen Wunsch in deutscher Sprache. Da er es nicht gewohnt war, sich in deutscher Sprache auszudrücken, war es nötig, seine Arbeit in sprachlicher Hinsicht etwas umzugestalten; aber seine Ausdrucksweise wurde möglichst beibehalten.
Es ist dem geschätzten Verfasser nicht vergönnt gewesen, diese Betrachtungen über den Römerbrief bis zum letzten Kapitel durchzuführen. Zunehmende Schwäche und endlich sein Heimgang am 29. April 1882 setzten seiner reich gesegneten Tätigkeit ein Ziel, so dass die Betrachtungen nur bis etwa zur Mitte des zehnten Kapitels gehen. Die eigentliche Lehre des Briefes aber ist darin vollständig und ausführlich dargelegt, und so möge dieses Zeugnis aus der letzten Zeit der rastlosen Wirksamkeit des treuen Dieners des Herrn reich gesegnet sein für alle, die es lesen!
Seinen letzten Brief, den er an seine „geliebten Brüder“ im allgemeinen gerichtet hat, finden Sie hier.
Auch mag es für viele von Interesse sein, aus einer seiner früheren Mitteilungen den Entwicklungsgang seiner inneren Überzeugungen kennen zu lernen. Möge die Saat, die der liebe Heimgegangene während seines langen, dem Herrn und Seinem Dienst gewidmeten Lebens durch sein unermüdliches Zeugnis von der göttlichen Wahrheit ausgestreut hat, reiche Früchte tragen zur Verherrlichung des Herrn und zum Heil der Seelen!
Einleitung
Im Brief an die Römer werden die Christen als auf der Erde wandelnde und lebende Menschen betrachtet, die jedoch das Leben Christi und den Heiligen Geist besitzen, so dass sie in Christo sind. Ihre Sünden sind vergeben; sie sind gerechtfertigt durch das Werk Christi. Ihre Pflicht ist: ihre Leiber als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer darzustellen, indem sie verwandelt worden sind durch die Erneuerung ihres Sinnes, dass sie prüfen mögen, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist (Kap. 12, 1. 2).
Der Brief beginnt mit der Verantwortlichkeit des Menschen, er beweist, dass alle schuldig sind durch das, was sie getan haben, und stellt dann den Erfolg des Todes Christi vor in der Vergebung der Sünden und der Rechtfertigung des Gläubigen. Danach betrachtet er den Zustand des Menschen, in dem er sich durch die Sünde Adams befindet, und zeigt, wie er von der Kraft der Sünde befreit wird.
Von dem Ratschluss Gottes ist in diesem Brief nicht die Rede, es sei denn in 3 oder 4 Versen (im achten Kapitel) und hier nur, um zu beweisen, dass das Werk Seiner Gnade unveränderlich und, wenn es einmal zu eigen gemacht ist durch die Berufung der Gnade, es fest und sicher ist, und dass es fortgesetzt wird bis zur Herrlichkeit. Das Werk Christi ist vollbracht, und die, welche an Ihn glauben, werden Seinem Bilde gleichförmig sein. So steht alles sicher. Wenn wir das Leben Christi haben, so dass wir mit Ihm leiden, dann werden wir auch mit verherrlicht werden. Weiter ist in diesem Brief nichts über den Ratschluss Gottes enthalten. Wollen wir diesen kennen lernen, dann müssen wir uns dem Brief an die Epheser zuwenden, während uns der Brief an die Kolosser über das Leben eines im Glauben auferstandenen Menschen Aufschluss gibt. Im Brief an die Römer aber finden wir das Werk Gottes in Gnade zur Rechtfertigung der Gottlosen durch den Tod und die Auferstehung Christi, und ihre Annahme in Christo, indem die Gläubigen als in Ihm betrachtet werden.
Wie schon oben angedeutet ist, zerfällt die Lehre des Römerbriefes in zwei Teile. Der erste Teil bezieht sich auf die Sünden. Das Wegnehmen der Sünden und die Gnade Gottes, die sich darin entfaltet hat, bilden den Gegenstand der Betrachtung bis zum Ende des elften Verses des fünften Kapitels. Von da ab bis zum Ende des achten Kapitels wird der zweite Teil behandelt, nämlich die Sünde im Fleisch, unser Zustand, in dem wir uns durch die Sünde Adams befinden, sowie unsere Befreiung von diesem Zustand, und der neue Zustand in Christo. Als Anhang folgen dann drei Kapitel, um zu erklären, wie die Lehre von dem allgemeinen, sündhaften Zustand des Menschen und von der allgemeinen Versöhnung mit Gott durch den Glauben in Einklang gebracht werden kann mit den besonderen Verheißungen, die den Juden gegeben sind. Den Schluss bilden Ermahnungen und die Wiederholung von gewissen wichtigen Grundsätzen. Die Auseinandersetzung der Lehre von der Versöhnung des Menschen mit Gott durch den Glauben im ersten Teil des Briefes wird eingeleitet durch eine Vorrede, in der das Evangelium auf die Person Christi gegründet und als die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes dargestellt wird.
So sehen wir denn in diesem Brief, wie Gott uns mit vollkommener Gnade entgegengekommen ist, als wir nach unserer menschlichen Verantwortlichkeit und nach der Gerechtigkeit Gottes ganz verloren waren; wie Er aus lauter Gnade uns Errettung und ewiges Leben bereitet hat, als wir von Ihm entfernt waren durch die Sünde, ja, als wir dem Fleische nach in Feindschaft gegen Ihn waren,
Bevor wir indessen zur näheren Betrachtung der Lehre des Briefes, der Ordnung und des Inhalts der verschiedenen Teile übergehen, müssen wir noch einige Worte über die Person des Apostels sagen. Er war nie in Rom gewesen, war aber, mit göttlicher Autorität bekleidet, Apostel aller Nationen. Daher konnte er an die Römer schreiben, obgleich er nicht das Mittel zu ihrer Bekehrung gewesen war. Einige kannte er wohl, da sich in Rom, als dem Mittelpunkt der Welt, Personen aus allen Ländern zusammenfanden. Dies aber gibt dem Brief einen ganz besonderen Charakter, verschieden von dem Charakter der meisten anderen Briefe. Es ist mehr ein Traktat, als ein von dem Apostel an eine von ihm selbst gegründete Versammlung gerichteter Brief. Die persönlichen Verhältnisse fehlen darin, um der bestimmten Lehre Platz zu lassen. Am Ende des Briefes grüßt Paulus wohl viele Bekannte, und im Briefanfang ist er bemüht, mit den Christen in Rom eine Herzensverbindung zu schließen; dennoch ist sein Apostelamt vor allem die Grundlage seiner Mitteilungen an die Gläubigen in Rom. Kein Apostel hat die Versammlung in Rom gegründet. Paulus war noch nicht dort gewesen, und wenn Petrus später hingekommen ist, um sein Leben zu opfern als Zeuge für den Herrn, so hatte er doch bis dahin mit Rom nichts zu tun gehabt, er war der Apostel der Beschneidung.
Kapitel 1 und 2
Paulus beginnt den Brief mit einem Hinweis auf sein Amt. Er war Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, abgesondert zum Evangelium Gottes. Das ist, sozusagen, sein Titel. Er diente dem Herrn, war dazu berufen und abgesondert, und zwar in ganz besonderer Weise. Er hatte nicht zu den Begleitern des Herrn auf der Erde gehört; er kannte Ihn nicht. Im Gegenteil war er der heftigste Feind des Namens Jesu auf der Erde gewesen. Er wollte diese neue Lehre (den Glauben an Jesum) aus der Mitte Israels ausrotten und alle ihre Anhänger strafen. Dazu wurde ihm aber vom Herrn, der sich ihm in Herrlichkeit offenbarte, der Weg versperrt, und nun wurde diese Herrlichkeit selbst der Ausgangspunkt seiner Tätigkeit. Sie war der glänzendste Beweis, dass das Werk der Versöhnung vollbracht war, da Der, Der für die Sünden gelitten hatte, Sich jetzt in der Herrlichkeit befand; und nicht allein das, sondern die verfolgten Christen wurden von dem Herrn anerkannt, nicht als Jünger, sondern als vereinigt mit Ihm, dem verherrlichten Menschen, dem Sohn Gottes im Himmel. So wurde Paulus in ganz besonderer Weise berufen. Aber er war auch in besonderer Weise abgesondert.
Die Offenbarung des Herrn in Herrlichkeit sonderte ihn zunächst von dem Judentum ab; doch nicht, um jetzt zum Heidentum überzugehen, sondern er wurde, indem er den Christus in der göttlichen Herrlichkeit als Herrn anerkannte (Apg 26, 17), „herausgenommen aus dem Volk und den Nationen“, und er wurde von dem verherrlichten Menschen, dem Herrn der Herrlichkeit, in die Welt gesandt, um die vollbrachte Erlösung zu verkündigen und alle, die an Ihn glauben, von der Sünde zu befreien und die Juden vom Joch des Gesetzes. Daher kannte er von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch, selbst den Herrn Jesum nicht — d. h. nicht wie die fleischlichen Juden Ihn hier in der Welt haben wollten: als Sohn Davids — obgleich er völlig anerkannte, dass Er als solcher gekommen war und dass Er ein vollkommenes Anrecht auf diesen Titel hatte. Aber der Herr ist als Sohn Davids verworfen worden, und jetzt sollte alles lauter Gnade werden, sowohl für die Juden als auch für die Heiden, da die Juden jedes Anrecht an die Verheißungen verloren hatten durch die Verwerfung Dessen, in Dem sie ihre Erfüllung finden sollten. Sicher wird Gott Seine Verheißungen wahr machen, doch jetzt ist alles aus lauter Gnade, und zwar durch den Auferstandenen, den Paulus in Herrlichkeit gesehen hatte. Dieser Punkt wird in den späteren Kapiteln des Briefes klar dargelegt.
Zum besseren Verständnis des Briefes mag es gut sein zu bemerken, dass Paulus, obgleich die Verherrlichung des Herrn Jesus der Ausgangspunkt und die Grundlage seines Dienstes war, doch in der Lehre dieses Briefes nicht weiter geht als bis zur Auferstehung des Herrn. Wohl ist die Stellung des Herrn in der Herrlichkeit vorausgesetzt, und in den wenigen Versen, in denen die Reihenfolge des Ratschlusses Gottes vorgestellt wird, fehlt auch die Herrlichkeit der Kinder Gottes nicht; es ist ein Teil dieses Ratschlusses, dass die Auserwählten dem Bild Seines Sohnes gleichförmig sein sollen. Wenn der Apostel aber von der Grundlage des Heils spricht, wie man gerechtfertigt und errettet wird, so geht er nicht weiter als bis zur Auferstehung des Herrn. Denn das, was Christus für uns erworben hat, ist etwas anderes als die Antwort auf die Frage: wie kann ein Sünder von Gott angenommen werden, und wie tritt er ein in den Zustand eines Erben Gottes? Im Römerbrief haben wir eben diesen Zustand des Erben, als in Christo fähig gemacht, vor Gott zu stehen und mit Christo als Mensch zu erben, der Gerechtigkeit nach, als neuer, lebendiger, von Gott angenommener Mensch. Die Herrlichkeit und die Erbschaft selbst aber werden bloß kurz erwähnt. Sobald Christus als gestorbener Mensch auferstand, war der Mensch in einen ganz neuen Zustand gebracht: lebendig gemacht nach der Kraft des Geistes und der Auferstehung. Das Werk, durch das die Sünde beseitigt wurde, war vollbracht, unsere Sünden waren getragen und getilgt durch den Tod, Gott war da verherrlicht, wo die Sünde war; die Kraft dessen, der die Macht des Todes hatte, war, wie der Tod selbst, zunichte gemacht. Ein neuer, unsterblicher Mensch war vorhanden. Ich spreche hier nicht von der Person Christi, von dem, was Er Seiner Natur nach war, sondern von der neuen Stellung der Menschen, in welche sie durch die Auferstehung des Menschen Jesus Christus gebracht sind: von dem Menschen in seinem neuen Zustande nach den Ratschlüssen Gottes. Wir sehen darin den Beweis, dass das vollbrachte Werk Christi angenommen ist nach der Gerechtigkeit Gottes, sowie das Muster, wenn auch noch nicht der Herrlichkeit, so doch des Grundzustandes aller Gläubigen in Christo. Sie befinden sich, sozusagen, jenseits des Todes, der Kraft Satans, der Sünde, des Gerichts Gottes, weil Gott in Christo völlig verherrlicht worden ist; sie stehen in der Gunst Gottes nach der Gerechtigkeit. Das ist die Tragweite der Auferstehung Christi, als Grundlehre dieses Briefes, indem Sein Tod als Grundlage Seiner Auferstehung und dessen Wertes dargestellt wird: „Christus, der gestorben, ja noch mehr, der auch auf erweckt ist“.
So wurde Paulus berufen und abgesondert von allen Menschen, um die frohe Botschaft Gottes, die Botschaft von diesem Werk Seiner Liebe zu verkündigen. Dieses Evangelium war schon in den Weissagungen der Propheten in den Heiligen Schriften verheißen worden. Jetzt aber war die Verkündigung keine Verheißung mehr. Wohl besitzen wir köstliche Verheißungen für den Weg, den wir durch diese Welt zu gehen haben; das Evangelium selbst aber ist keine Verheißung. Vielmehr ist es die Erfüllung der Verheißungen Gottes, soweit sie sich auf die Menschwerdung des Herrn, die Vollbringung Seines Werkes, Seine Auferstehung (1. Petr 1,11.12) und (obgleich dieser Gegenstand nicht im Römerbrief behandelt wird) auf Seine Verherrlichung beziehen. Es ist hier zu beachten, dass die „Heiligen Schriften“ die Verheißungen Gottes sind, und die Propheten, durch die sie gegeben wurden, die Propheten Gottes.
Worin besteht nun diese frohe Botschaft? Sie bezieht sich auf den Sohn Gottes, auf Jesum Christum, unseren Herrn. Die Person Christi ist der Hauptgegenstand des Evangeliums; es verkündigt, dass Er in die Welt gekommen ist. Doch haben wir hier zweierlei:
- Erstens, die Verheißungen sind erfüllt, indem Er Sohn Davids ist dem Fleische nach;
- zweitens, Er wurde als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geist der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung.
Das sind die zwei großen vollendeten Tatsachen, die für den Menschen den Wert des Kommens des Herrn in diese Welt ausmachen. Die Verheißungen sind erfüllt worden: der Sohn Davids war da. Die Juden wollten Ihn nicht annehmen und haben dadurch das Ergebnis der Verheißungen verloren; die Verheißungen selbst aber sind erfüllt worden, insofern der Herr gekommen ist. Dann aber ist die Kraft Gottes geoffenbart worden, indem der Herr, nachdem Er Sich dem Tod unterworfen hatte, durch Auferstehung als Sohn Gottes erwiesen worden ist. Obwohl in Seiner Auferstehung der stärkste Beweis von der Kraft Gottes gegeben worden ist, sehen wir doch schon in der Auferstehung des Lazarus einen Beweis dieser göttlichen Kraft, sowie auch später in der Auferstehung aller Heiligen. „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, auf dass der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde“ (Joh 12, 4). Er war und ist die Auferstehung und das Leben. Die Auferstehungskraft ist der Beweis, dass Er Sohn Gottes ist. Dies ist nicht eine Erfüllung der Verheißungen, sondern die Kraft Gottes, da, wo der Tod als Folge der Sünde eingetreten war.
Hinsichtlich des Ausdrucks: „dem Geiste der Heiligkeit nach“, bemerke ich, dass der Heilige Geist, sozusagen, die wirkende Kraft ist in der Auferstehung, wie in allem, was von Gott erschaffen oder getan ist. So sagt Petrus in Bezug auf die Auferstehung des Herrn: „getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist“ (1. Petr 3, 18); und von den Gläubigen wird gesagt: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesum aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christum aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes“ (Röm 8, 11).
Warum aber heißt es: „dem Geiste der Heiligkeit nach?“ Weil der Heilige Geist gleichsam die wirkende Kraft Gottes ist, um alles Ihm Wohlgefällige in der Menschheit hervorzubringen. Diese Kraft ist natürlich immer in Gott; durch sie hat Er die Welt erschaffen, durch sie hat er in den Werkzeugen des Alten Testaments und in den Propheten gewirkt. Jetzt aber war Er in der Menschheit (dem Leben) Christi und in der Hervorbringung der neuen Gestalt der Menschheit wirksam gewesen nach dieser göttlichen Kraft. Die Propheten redeten, was ihnen gegeben war, und damit war die göttliche Eingebung zu Ende; auch war das, was sie redeten, nicht für sie. Johannes der Täufer war erfüllt mit dem Heiligen Geist von Mutterleib an. Aber Christus war, Seiner Menschheit nach, vom Heiligen Geist geboren; Sein Leben, obgleich in allen Stücken menschlich, war der Ausdruck der Kraft des Heiligen Geistes. Er trieb die Dämonen aus durch den Heiligen Geist, Seine Worte waren Geist und Leben. Die Fülle der Gottheit wohnte in Ihm leibhaftig. Seine Menschheit aber war der Ausdruck des Göttlichen durch den Heiligen Geist, in Liebe, in Kraft und besonders in Heiligkeit. Er war der Heilige Gottes. Durch den ewigen Geist hat Er Sich ohne Flecken Gott geopfert. In allem diente Er Seinem Vater; Sein Dienst aber war die vollkommene Darstellung des Göttlichen, des Vaters Selbst, inmitten der Menschen, und zwar indem Er, Seiner Menschheit nach, in jedem Augenblick, durch den Geist, der Gottheit entsprach und ihr Abglanz und Ausdruck war, ohne Fehler und ohne Makel. Alle Opfer im Alten Testament sind Vorbilder von Christo; aber in dieser Beziehung ist das Speisopfer das entsprechende, treffende Vorbild: ungesäuertes Feinmehl, mit Öl vermengt, mit Öl gesalbt, in Stücke zerteilt und Öl darauf gegossen. Welch ein treffendes Vorbild auf die Menschheit Christi, die ihrer Beschaffenheit nach vom Geist und mit dem Geist gesalbt war, von der jedes Stück charakterisiert war durch den ausgegossenen Geist und in welcher der ganze Weihrauch Seiner Gnaden Gott geopfert war, als ein duftender Wohlgeruch! So sollte Er durch das Feuer geprüft werden, im Tode, um zu beweisen, dass alles lieblicher Geruch war und nichts anderes.
Schließlich erwies sich die größte und vollendete Kraft des Heiligen Geistes in der Auferstehung des Herrn. Getötet nach dem Fleisch, ist Er durch den Geist auferweckt worden. Der Geist, der in göttlicher Kraft in Seiner Geburt und in Seinem ganzen Leben wirksam war, durch den Er Sich am Ende Selbst Gott opferte, hat Seine ganze Kraft erwiesen im Lebendigmachen des gestorbenen Jesus. Wohl ist es wahr, dass Er auferstanden ist aus den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters; auch, dass Er Seinen Leib, den Tempel Gottes, Selbst aufgerichtet hat (Joh 2, 19); der Heilige Geist aber ist es, der unmittelbar wirksam gewesen ist in Seiner Auferstehung (1. Petr 3, 18). Auch der Leib des Auferstandenen ist ein geistiger Leib.
So war der Mensch durch die Auferstehung, in der Person Christi, in einen ganz neuen Zustand gebracht: jenseits des Todes, der Sünde, des Gerichts und der Kraft Satans, und so war Christus als Sohn Gottes erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Auferstehung. Dieser Geist war die Kraft der Heiligkeit Sein Leben lang (denn „durch den ewigen Geist hat er sich selbst ohne Flecken Gott geopfert“), und diesem Geist nach ist Er als Sohn Gottes erwiesen und durch Ihn Selbst auf der Erde gerechtfertigt worden. Als alles vollbracht war für die Herrlichkeit Gottes durch einen Menschen, der Gottes Sohn war, und dieser als Mensch Seinen vollkommenen Gehorsam und Seine Liebe zu Seinem Vater an den Tag gelegt hatte, ist der Mensch nach dem Wert dieses vollbrachten Werkes und nach der lebendig machenden Kraft des Heiligen Geistes in eine ganz neue Stellung eingetreten, in der Person des Sohnes Gottes, so dass wir durch den Glauben angenommen und Söhne sind. Christus, der als Sohn Davids die Erfüllung der alten Verheißungen war, aber auf Erden verworfen wurde, trat, nachdem Er das Ihm vom Vater anvertraute Werk vollendet hatte, jenseits des Todes, den Er als die Frucht der Sünde erduldete, als Auferstandener in die Stellung des zweiten Menschen, des letzten Adam ein.
So finden wir hier in der Person Christi die zwei Hauptpunkte der Wege Gottes dargestellt: die Erfüllung der Verheißung (obgleich die Juden durch Seine Verwerfung jedes Anrecht daran verloren haben) und die Offenbarung des Sohnes Gottes, als solcher erwiesen nach der lebendig machenden Kraft des Heiligen Geistes in einem auferstandenen Menschen. Die Kraft Gottes ist also erwiesen, nicht in der Erfüllung einer Verheißung, sondern in dem gegenwärtigen Leben und der Stellung des zweiten Menschen, in Verbindung mit einer vollbrachten Erlösung. Hier aber ist die göttliche Macht des Lebens und die durch die Auferstehung hervorgebrachte neue Stellung besonders in Verbindung gebracht mit dem Verhältnis des in diese Stellung versetzten Menschen zu Gott, jedoch in der Person des Herrn Selbst, in Macht.
Wie köstlich ist der Gedanke, dass der ewige Sohn Gottes, Mensch geworden, diese neue Stellung, von der wir gesprochen haben, eingenommen hat, und zwar als Muster und Erstgeborener unter vielen Brüdern, die Ihm völlig gleich sein werden, nach der Lebenskraft des Heiligen Geistes und in der Herrlichkeit selbst! „Denn sowohl der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“ (Hebr 2, 11). Von der Herrlichkeit ist hier wohl nicht die Rede, aber der Herr konnte nach Seiner Auferstehung, als alles vollbracht war, (vorher nicht) sagen: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20, 17).
Der Gegenstand des Evangeliums, wozu Paulus abgesondert war, ist also Jesus Christus, unser Herr, als Sohn Davids zur Erfüllung der Verheißungen, und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Totenauferstehung. Wohl redet der Apostel in diesem Brief von der Gerechtigkeit und setzt alles klar und völlig auseinander; der hauptsächliche Gegenstand aber, den er vor seinen Augen hat, ist die Person Christi Selbst und was Er ist, als Erfüllung der Verheißungen und als Gottes Sohn in Kraft und in Auferstehung, das, was der Heilige Geist darstellt als den Gegenstand Gottes selbst im Evangelium. Von Ihm, als dem schon Verherrlichten, hatte Paulus Gnade und Apostelamt empfangen, um einen jeden unter allen Nationen zum Glaubensgehorsam zu bringen in Seinem Namen. Unter diesen befanden sich auch die Römer. Er schreibt ihnen nicht als Versammlung, wie er es gewöhnlich tat, wenn er an eine von ihm gegründete Versammlung schrieb, sondern er richtet seinen Brief an alle Geliebten Gottes, berufenen Heiligen, die in Rom sind. Als Apostel der Nationen kann er allen mit der Autorität Christi schreiben.
Er wünscht in seinen Briefen immer Gnade und Frieden von dem Vater und von dem Herrn Jesu Christo. Wir beachten diese Namen oft zu wenig. In dem einen finden wir Gott Selbst als Vater, gekannt als solcher in Gnade; in dem anderen den verherrlichten Menschen, den Sohn Gottes, Der eingesetzt ist (und zwar amtlich) in den Vorsitz des Hauses und Volkes Gottes. Mit dem einen stehen die Kinder in Verbindung, mit dem anderen die Diener.
Der Apostel hätte die Christen in Rom gern früher gesehen, war daran aber von Satan verhindert worden; denn das Werk des Herrn wird immer betrieben in Gegenwart des Feindes, der seinen Fortschritt zu hemmen sucht, sei es durch Verfolgungen, oder dadurch, dass er in den Versammlungen Übel erweckt, mit denen der Arbeiter sich beschäftigen muss, sei es durch Irrlehren, die die Zeit des Arbeiters in Anspruch nehmen, oder sei es durch allerlei andere Listen. Es ist wichtig für den Arbeiter, dies zu beachten; er lernt dadurch seine Abhängigkeit kennen und verstehen, dass die Kraft und Wirksamkeit des Herrn durchaus notwendig sind. Deshalb flehte Paulus allezeit in seinen Gebeten, indem er Gott dankte für den Glauben der Römer, von dem in der ganzen Welt gesprochen wurde, dass Gott ihm einen Weg zu ihnen öffnen möchte. Er verlangte, zu ihnen zu kommen, um ihnen zu ihrer Befestigung etwas geistliche Gabe mitzuteilen, zugleich aber nimmt er in Liebe seinen Platz unter ihnen, indem er sagt: „das ist aber, mit euch getröstet zu werden in eurer Mitte, ein jeder durch den Glauben, der in dem anderen ist, sowohl euren als meinen“. Er war Apostel und sollte in Liebe handeln; so ließ er sich denn als Apostel herab zu den Schwächsten, um sie zu dem göttlichen Vertrauen emporzuheben.
Oft hatte er vorgehabt, zu ihnen zu kommen, um auch unter ihnen einige Frucht zu haben. Er war schuldig, die Gnade Gottes allen Nationen zu bringen; ebenso war er bereitwillig, so weit es von ihm abhing, auch denen, die in Rom waren, das Evangelium zu predigen. Wie oft ist er besorgt, sich passend auszudrücken! Griechen konnte er sie nicht nennen, Barbaren auch wohl nicht, denn das würde für die Bewohner des kaiserlichen Rom eine Beleidigung gewesen sein. So denkt er an alles, um allen nützlich zu sein.
Dies führt den Apostel zu der Lehre des Briefes. Er war bereit, denen in Rom zu predigen, weil er sich des Evangeliums nicht schämte, „denn“, sagt er, „es ist Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden“. Kraft der Menschen ist es nicht, dies erklärt er nachher noch deutlicher und ausführlicher, selbst nicht zur Erwerbung der menschlichen Gerechtigkeit. Es ist ein heiliges, ein gerechtes Heil, aber ein Heil von Gott, durch Gottes Kraft, und zwar deshalb, weil die Gerechtigkeit Gottes darin geoffenbart ist, im Gegensatz zu der menschlichen Gerechtigkeit. Es ist die Gerechtigkeit Gottes Selbst, deren wir teilhaftig werden durch den Glauben: Seine Gerechtigkeit auf dem Grundsatz des Glaubens. Alles ist da schon vollkommen, ehe wir noch daran glauben; wir bekommen durch den Glauben Teil daran. Diese Gerechtigkeit ist nicht durch Menschenwerke, nicht durch das Gesetz, denn sonst wäre sie nur für die Juden, weil diese allein das Gesetz hatten. Sie ist vielmehr gültig für alle Menschen, weil sie durch den Glauben ist, und so haben auch die Nationen, wenn sie glauben, Teil daran.
Es wird vielleicht von Nutzen sein, einige Worte über die Bedeutung des Ausdrucks: „Gerechtigkeit Gottes“ zu sagen. Obwohl er ganz einfach ist, herrscht doch über ihn viel Missverständnis. In der lutherischen Übersetzung ist stattdessen gesagt: „Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. Nun ist aber die menschliche Gerechtigkeit nach dem Gesetz gültig vor Gott. Er findet eine solche zwar nirgends, aber sie „gilt“ vor Gott. Sie ist jedoch nicht die Gerechtigkeit Gottes, wenn sie auch noch so vollkommen wäre. In Joh 16, 10 sehen wir, worin die Gerechtigkeit Gottes sich erwiesen hat, nämlich darin, dass Gott Christum zu Seiner Rechten gesetzt hat, in Seine eigene Herrlichkeit, weil Christus Ihn vollkommen verherrlicht hat. Darin besteht die Gerechtigkeit, dass der Vater den Menschen Christus in Seine eigene Herrlichkeit erhoben hat, in die Herrlichkeit, die Er bei Ihm hatte, ehe die Welt war. Und Gott, als gerechter Gott, hat Ihn verherrlicht, weil Er in Christo auf dem Kreuze verherrlicht worden ist (Joh 17, 5; 13, 31. 32). In der oben angeführten Stelle (Joh 16, 10) sagt der Herr: Der Geist wird „die Welt überführen von Gerechtigkeit, weil ich zu meinem Vater gehe und ihr mich nicht mehr sehet“. Die Welt hat Ihn, als gekommen in Gnade, für immer verloren, indem sie Ihn verworfen hat; aber Gott hat Ihn aufgenommen und verherrlicht. Wenn der Herr in Joh 17, 25 von der Welt redet, so sagt Er: „Gerechter Vater“, in seiner Fürbitte für die Seinen (V. 11) dagegen: „Heiliger Vater“. So liegt also der Beweis von der Gerechtigkeit Gottes darin, dass Er Christum verherrlicht hat. Als Gott in Christo in der Welt war, musste die Welt Ihn annehmen oder verwerfen. Sie hat Ihn verworfen und ist dadurch gerichtet; sie wird Ihn auch nicht mehr sehen, bis Er kommt in Gericht. Christus aber hat als Mensch Gott vollkommen verherrlicht in allem, was Er ist, und Gott hat Ihn nach Seiner Gerechtigkeit verherrlicht. Das Evangelium nun verkündigt diese Gerechtigkeit Gottes, nämlich dass Christus in dem, was Er für uns getan hat, Gott verherrlicht hat und daher als Mensch verherrlicht ist und, mit göttlicher Herrlichkeit bekleidet, zur Rechten Gottes sitzt, und ferner, dass unsere Stellung vor Gott die Folge ist von dem, was Christus getan hat. Unsere Rechtfertigung und Verherrlichung ist ein Teil der Gerechtigkeit Gottes, weil das, was Christus getan hat, um Gott zu verherrlichen, für uns getan worden ist. Wir sind die Gerechtigkeit Gottes in Ihm (2. Kor 5, 21). Christus würde die Frucht Seines Werkes verlieren, wenn wir nicht bei Ihm in der Herrlichkeit sein würden, als die Frucht der Mühsal Seiner Seele, nachdem Er alles, was in Gott ist, verherrlicht hat, obwohl wir in uns selbst durchaus unwürdig sind.
Der Apostel erklärt dann, warum eine solche Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit Gottes Selbst, nötig war, wenn ein Mensch errettet werden sollte. Menschliche Gerechtigkeit war auf der Erde nicht zu finden, und doch war Gerechtigkeit nötig. Da es nun aber Gottes Gerechtigkeit ist, und zwar nicht durch unsere Werke, so muss sie uns durch den Glauben zugerechnet werden, auf dem Grundsatz des Glaubens; denn wenn die Werke des Menschen etwas dazu beitrügen, so wäre es nicht Gottes Gerechtigkeit. Wenn aber der Mensch durch den Glauben dieser Gerechtigkeit teilhaftig wird, so hatten die Gläubigen aus den Nationen ebenso Teil daran, wie die Juden.
So sehen wir denn als zweiten Hauptgegenstand des Briefes, nachdem der erste, die Person Christi, in den Vordergrund gestellt ist, die Gerechtigkeit Gottes, dargestellt auf dem Grundsatz des Glaubens, so dass sie für alle ist und durch den Glauben angenommen und also der Seele zugeeignet wird. Was diese Gerechtigkeit nötig machte, ist die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen, indem der Zorn Gottes geoffenbart worden ist über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen. Hinsichtlich der Heiden gibt der Apostel zwei Beweggründe des Zornes an:
1.) das Zeugnis der Schöpfung (V. 19. 20) und
2.) dass sie Gott nicht in Erkenntnis festhalten wollten, als sie Ihn kannten, sondern die Abgötterei vorzogen (V. 21—24).
Die unsichtbaren Dinge von Ihm werden geschaut, nämlich Seine ewige Kraft und Göttlichkeit, von der Schöpfung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen, so dass das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist — also dass sie keine Entschuldigung haben. Das will nicht sagen, dass sie Gott Seiner Natur nach kennen, sondern dass sie Ihn als Schöpfer hätten kennen sollen. Wenn man nicht blind ist, sieht man einen Schöpfer in der Schöpfung.
Aber Gott hatte sich nicht allein als Schöpfer geoffenbart. Noah kannte Ihn nicht nur als solchen, sondern auch als einen Gott, mit Dem der Mensch als ein verantwortliches Wesen es zu tun hatte, als einen Gott, der die Welt für ihre Bosheit gerichtet hatte, der acht gab auf das Tun der Menschen, und der die Ungerechtigkeit und Gewalttat nicht wollte. Beim Turmbau zu Babel hatten sie Ihn als einen Gott kennen gelernt. Der sie zerstreut hatte, weil sie in ihrer eigenen Weisheit unabhängig und in ihrer eigenen Kraft mächtig werden wollten. Als einen solchen Gott aber wollten die Heiden Ihn nicht in Erkenntnis haben oder Ihn anerkennen; sie machten sich selbst Götter, so wie der Mensch sie machen konnte: Götter, die ihre Leidenschaften begünstigten. Und statt den wahrhaftigen Gott zu verherrlichen oder Ihm dankbar zu sein, verfielen sie in die Finsternis ihrer eigenen Herzen; „indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes von einem verweslichen Menschen und von Vögeln und vierfüßigen und kriechenden Tieren“. Und weil sie die Herrlichkeit Gottes nicht aufrecht erhalten wollten, sondern sie nach ihren Gelüsten aufgaben, hat Gott sie diesen Gelüsten preisgegeben; Er hat sie dahingegeben zu schändlichen Leidenschaften, worin sie das, was der Ehrbarkeit der Menschheit geziemte, verlassen haben. Und nicht nur haben sie, erfüllt mit aller Gottlosigkeit und geleitet durch ihre Leidenschaften, selbst solches getan, sondern haben auch in kalter Bosheit ihr Wohlgefallen an denen gefunden, die es taten. Wohl gab es einige, die diese schändlichen Wege richteten (Kap. 2,1); sie taten aber dasselbe und deshalb verurteilten sie sich selbst und fielen dem gerechten Gericht Gottes anheim, indem sie auch den Reichtum Seiner Güte und Geduld verachteten und nicht wahrnahmen, dass diese Güte sie zur Buße leitete. Anstatt dieser Leitung zu folgen, häuften sie sich selbst mit störrigem und unbußfertigem Herzen Zorn auf am Tag des Zorns.
Der Apostel kommt jetzt zu einem wichtigen Grundsatz, der zwar einfach ist, aber ein helles Licht über die ganze Sache verbreitet: nachdem Gott jetzt geoffenbart ist, handelt Er nach dem Tun der Menschen. Am Tage des Gerichts wird Er jedem nach seinen Werken vergelten, sei er Jude oder Grieche; denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott. Wohl hat Er, zur Prüfung des Menschen und zur Erhaltung der Wahrheit, dass nur ein Gott ist, Sich ein Volk auserwählt und nahe an Sich gebracht; aber im Grunde gab es keinen Unterschied unter den Menschen. Alle waren ihrer Natur nach Sünder, und alle hatten gesündigt. Wir sehen auch, dass Gott Seinem Volk gegenüber, obgleich Er ihm ein Gesetz gegeben hatte, immer hinter dem Vorhang blieb, ohne Sich zu offenbaren. Jetzt aber ist der Vorhang zerrissen, und der Mensch, zuerst der Jude und dann der Grieche, muss vor Ihm offenbar werden, ein jeder nach dem, was er in seinem Wandel und was er in Wirklichkeit seinem moralischen Zustand gemäß ist; und hierbei kommt es nicht in Betracht, ob er seiner Stellung nach Jude oder Grieche ist. Gott berücksichtigt, Seiner Gerechtigkeit nach, nur das Licht, das einer besitzt. Wenn der Apostel von denen spricht, die Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen, so setzt er dabei das Christentum voraus; denn die Kenntnis jener Dinge hängt von einer Offenbarung ab. Die also dies mit Ausharren in guten Werken suchen, denen wird Gott ewiges Leben vergelten, ohne einen Unterschied zwischen Juden und Griechen zu machen. Gott will die Wirklichkeit des göttlichen Lebens, nicht die Form einer Einrichtung. Die, welche der Wahrheit ungehorsam, der Ungerechtigkeit aber gehorsam sind, haben Grimm und Zorn zu erwarten. „Drangsal und Angst über jede Seele eines Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl des Juden zuerst als auch des Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem, der das Gute wirkt, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen“. Alle werden gerichtet werden, ein jeder nach seinen Werken, ohne Ansehen der Person, jeder aber nach dem Licht, das er besessen hat. „So viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden... an dem Tag, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird… durch Jesum Christum“. Denn nicht die Hörer des Gesetzes, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt. Wenn einer aus den Nationen das tut, was das Gesetz fordert, so wird er angenommen und hat den Vorzug vor dem, der das Gesetz besitzt und es nicht beobachtet. Es handelt sich, wie gesagt, nachdem Gott geoffenbart ist, nicht mehr um äußere Verhältnisse, nach welchen die einen „nahe“, die anderen „ferne“ sind, sondern um das, was gerecht ist in den Augen Gottes.
In Wirklichkeit tat einer aus den Nationen, der nach dem Geist wandelte in der Liebe, das was das Gesetz forderte; während der Jude, der das Gesetz hatte und in der Sünde wandelte, nicht von Gott angenommen werden konnte. Es handelt sich jetzt nicht mehr um äußere Verhältnisse zu Gott, um Seine Verwaltung der Welt und die Regierung Gottes auf der Erde, sondern um den Zustand der Seele vor Gott und um den Tag des Gerichts, wo das Verborgene des Herzens ans Licht gebracht und der Mensch nach seinen Werken gerichtet werden wird.
Nachdem der Apostel diese großen und wichtigen Grundsätze klar hingestellt hat, geht er dazu über, den wirklichen Zustand der Juden zu beschreiben, wie er dies im ersten Kapitel in Bezug auf die Nationen getan hat. Die Juden rühmten sich des Gesetzes und der Vorrechte, die sie besaßen; sie kannten den Willen Gottes und waren fähig, die Unwissenden zu belehren, ja sie rühmten sich sogar Gottes. Aber belehrten sie sich auch selbst? Im Gegenteil, sie taten alles, was sie andere mit Weisheit lehrten, nicht zu tun. Sie entehrten Gott, weil sie Seinen Namen trugen. Durch sie wurde der eine wahre Gott unter den Heiden gelästert, wie geschrieben stand. Sie besaßen Vorrechte; wenn aber das Gesetz, mit dem diese Vorrechte verbunden waren, gebrochen wurde, dann wurde ihre Beschneidung zur Vorhaut. Und die Nationen, wenn sie das Gesetz beobachteten, verurteilten die, welche, Buchstaben und Beschneidung besitzend, das Gesetz übertraten. Denn nicht der war ein wahrhaftiger Jude, der es äußerlich war, sondern der, dessen Herz beschnitten, der ein Jude war im Herzen und im Geiste, nicht im Buchstaben, dessen Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist.
Kapitel 3
Der Apostel beginnt jetzt, die Juden auf ihrem eigenen Boden anzugreifen. Ihr Vorzug war groß, der Nutzen der Beschneidung war „viel, in jeder Hinsicht“, besonders deshalb, weil ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut waren. Der Apostel glaubte dies wirklich und mit Recht. Es handelt sich in dieser Hinsicht nicht darum, ob sie alle persönlich bekehrt waren; sie genossen die Vorrechte des Volkes Gottes, die sonst nirgendwo gefunden wurden, und wenn sie untreu waren, konnte ihre Untreue doch die Treue Gottes nicht aufheben. (Ebenso verhält es sich jetzt mit der bekennenden Christenheit). Die Verheißungen Gottes werden durch Seine Treue dem Volke Israel erfüllt werden, obwohl es jedes Anrecht darauf verloren hat. Doch davon redet der Apostel erst später (in Kapitel 11).
Aber, könnte man sagen, dann lässt ja die Untreue des Menschen die unfehlbare Treue Gottes nur um so glänzender hervortreten! Und hebt nicht diese Tatsache, dass die Untreue des Menschen die Treue Gottes in noch hellerem Lichte erscheinen lässt, das Recht Gottes auf, den Menschen zu richten? Keineswegs; denn nach diesem Grundsatz könnte Er niemanden richten, weil auch die Bosheit der Nationen Seine Treue in ein klareres Licht stellt. Die Juden sind ebenso verantwortlich für ihre Untreue wie die anderen; und dass diese gerichtet werden würden, bezweifelte der Jude nicht. Trotz ihrer Vorrechte sind also auch die Juden dem Gericht Gottes verfallen.
Der Apostel lässt sich nicht herab, eine Antwort zu geben auf die boshafte Äußerung etlicher: „Lasst uns das Böse tun, auf dass das Gute komme!“ und sagt bloß: „deren Gericht gerecht ist“. Die Christen wurden nämlich von der Welt angeklagt, als ob sie so sprächen. Die Gnade ist immer ein Gegenstand der Anklage, so lange die Seele nicht von der Sünde überführt ist; sobald aber das Gewissen zum Bewusstsein der Sünde kommt, wird die Gnade ein Gegenstand herzlicher Dankbarkeit. Wenn nun der Jude solche Vorrechte hatte, war er dann nicht besser als die aus den Nationen? Keineswegs. Der Apostel hatte schon bewiesen, dass beide, der Jude wie der Heide, der Sünde überführt waren. Und jetzt führt er eine ganze Anzahl von Stellen an, um zu beweisen, dass die Juden in ihren eigenen Schriften als solche betrachtet werden, die unter der Sündenschuld und unter der Kraft der Sünde stehen. Hinsichtlich der Heiden konnte hierüber kein Zweifel sein; sie waren ganz von Gott entfernt, waren in Abgötterei und Götzendienst versunken, beteten die Götzen an und lebten in Gesetzlosigkeit. Der Jude dachte von sich aber ganz anders. Er war nahe gebracht und aller Vorrechte teilhaftig geworden. Der Apostel selbst hatte es als das größte Vorrecht der Juden anerkannt, dass ihnen das Wort Gottes, die Aussprüche Gottes, anvertraut seien. Was aber sagten nun diese Aussprüche, die sich auf die Juden bezogen, und deren sie sich rühmten, als ihnen allein gehörig? Sie sagten: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer“. Eine ganze Reihe von Stellen aus den Psalmen und aus Jesajas, die der Apostel anführt, beweisen den in allen Beziehungen durchaus sündhaften Zustand derer, von denen die Rede ist. Und dass von den Juden die Rede ist, müssen diese nach ihrem allgemeinen Grundsatz selber zugeben, denn: „wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz sind“. So ist denn jeder Mund verstopft und die ganze Welt schuldig vor Gott. Die Nationen sind ganz ohne Gott; die Juden aber sind von dem Worte Gottes selbst, dessen sie sich rühmen, verurteilt. Durch Gesetzeswerke also kann kein Fleisch vor dem Angesicht Gottes gerechtfertigt werden, „denn durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“. Das Gesetz, das man als Regel der Gerechtigkeit annahm, bewies, dass der Mensch ein Sünder war; es überführte und verdammte ihn, und zwar ausdrücklich in seinem Gewissen, und brachte zugleich das Bewusstsein hervor, dass die Sünde in ihm sei.
Nachdem der Apostel auf diese Weise bewiesen hat, dass alle Menschen sündhaft sind, kommt er wieder auf das zurück, was er schon in Vers 17 von Kapitel 1 als Grundsatz des Evangeliums hingestellt hat, nämlich die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes. Alles, was von Vers 18 des ersten bis Vers 21 des dritten Kapitels gesagt ist, bildet einen Zwischensatz, um zu beweisen, dass eine Gerechtigkeit Gottes notwendig ist, weil es in der Menschheit keine Gerechtigkeit gibt.
Nachdem dies geschehen ist, geht der Apostel auf diese Gerechtigkeit Gottes und ihre Anwendung auf die Menschen näher ein. Diese Gerechtigkeit steht nicht in Beziehung zum Gesetz, das nur die vollkommene Richtschnur für die Menschen war. Gott kann aber Seine Gerechtigkeit nicht nach dem Maßstab der menschlichen Gerechtigkeit oder ihrer Verantwortlichkeit messen. Nach diesem Maßstab richtet Er die Menschen, die das Gesetz gehabt haben. Seine Gerechtigkeit muss nach Seiner eigenen Natur gemessen werden, und Seine Natur offenbart sich in dem, was Er tut. Er muss Sich Selbst verherrlichen, das ist offenbaren; denn bei Gott ist Seine Offenbarung auch Seine Verherrlichung. Wenn Er richtet, so richtet Er die Menschen nach ihrer menschlichen Verantwortlichkeit; wenn Er tätig ist, so ist Er es nach Seiner eigenen Natur. Das Gesetz weiß nichts von dieser Natur. Es sagt, dass wir Gott lieben sollen; aber was ist Er? Das Gesetz ist dem Menschen und seinem Verhältnis zu Gott angepasst. Die Gerechtigkeit Gottes steht ganz und gar außerhalb der Frage des Gesetzes, selbst jedes Gesetzes, was für ein Gesetz es auch sein möge; es sei denn, dass die Natur Gottes Selbst als solches angesehen wird. Er ist ein Gesetz für Sich Selbst, vollkommen in Seiner Natur. Seine Gerechtigkeit ist jetzt erwiesen in dem, was Er mit der Person Christi getan hat, indem Er Ihn infolge Seines vollbrachten Werkes zu Seiner Rechten gesetzt hat. Das Gesetz und die Propheten haben Zeugnis davon gegeben. Die Gerechtigkeit Gottes Selbst ist ausgeübt worden in der Annahme und Verherrlichung Christi um Seines Werkes willen. Und an dieser Annahme haben auch wir teil durch den Glauben, weil Er dieses Werk für uns getan hat. Eben weil es die Gerechtigkeit Gottes ist, gegründet auf das Werk Christi, indem Er für alle gestorben ist, bezieht sie sich auf die ganze Welt und auf alle Menschen: alle, die an Christum glauben, ob Juden oder Heiden, haben teil daran und auch teil an allen Vorrechten, welche die Folge davon sind. Wäre es menschliche Gerechtigkeit, so müsste sie nach dem Gesetz sein, und wäre sie nach dem Gesetz, so würden nur die Juden teil daran haben, weil nur sie das Gesetz hatten. Da es aber die Gerechtigkeit Gottes ist, so ist sie für alle geoffenbart, und die Gerechtigkeit ist allen, die da glauben, zugerechnet. So ist also die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Christum Jesum für alle Sünder geoffenbart; sie ruht auf allen, die an Ihn glauben. „Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist“.
Alle Menschen befinden sich also von Natur in demselben Zustand, weil sie alle gleich sind in der Sünde; ebenso aber ist auch die Gnade gleich für alle, weil die Gerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit und für alle Gläubige dieselbe ist, und infolgedessen stehen alle Gläubige, in dieser Gerechtigkeit angenommen, auf demselben Boden vor Gott. Gott hat Jesum Christum öffentlich dargestellt als Gnadenstuhl durch den Glauben an Sein Blut, und hat dadurch Seine Gerechtigkeit erwiesen in Betreff der Sünden der Heiligen des Alten Testaments, die Er in Seiner Nachsicht hatte hingehen lassen. Jetzt aber ist Seine Gerechtigkeit in diesem Hingehenlassen erwiesen, indem Christus für sie gestorben ist; auf Grund dieses Versöhnungstodes, den Gott vor Seinen Augen hatte, konnte Er jene Sünden hingehen lassen. Ferner ist die Gerechtigkeit auch in der jetzigen Zeit geoffenbart; sie erklärt nicht nur die früheren Wege Gottes, sondern ist auch für die gegenwärtige Zeit eine Offenbarung des Grundes der Rechtfertigung der Gläubigen durch ein vollbrachtes Werk; sie ist deshalb eine gegenwärtige, verwirklicht in der Rechtfertigung aller Gläubigen nach der Gerechtigkeit des gerechten Gottes. Gott ist gerecht und rechtfertigt um des Werkes Christi willen. Ja, Er erweist Seine Gerechtigkeit, indem Er dies tut. Nicht als ob wir dessen würdig wären, sondern Gott erkennt den Wert des Werkes Christi an, indem Er uns rechtfertigt. Also ist die Rechtfertigung eine geoffenbarte, bekannte Sache, weil das Werk vollbracht ist.
Der Mensch kann sich seiner selbst nicht rühmen, auch der Jude nicht, trotz aller seiner Vorrechte. Aller Ruhm ist ausgeschlossen. Auf welchem Grundsatz? Durch welches Gesetz? Der Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens. Der Mensch, wer er auch sein mag, nimmt den Platz eines Sünders ein. Die Gnade, und die Gnade allein, gilt für alle in gleicher Weise. Denn wir sind zu dem Schluss gekommen, dass man durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. „Ist Gott der Gott der Juden allein? nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen“. Ein solcher muss Er sein, ein solcher war Er, selbst im Alten Testament, obwohl Er, als alle Geschlechter der Erde in Götzendienst versunken waren, Israel in der Person Abrahams aus ihrer Mitte erkor, um die Erkenntnis des einen Gottes auf der Erde zu bewahren. Jetzt aber hat Er nach der Gnade Seinen Platz genommen als Gott über alle Menschen, nach der Wahrheit Seines unveränderlichen Rechts, indem es ein und derselbe Gott ist, der die Beschneidung aus Glauben und die Vorhaut durch Glauben rechtfertigt. Die Verschiedenheit der hier gebrauchten Ausdrücke „aus Glauben“ oder „auf dem Grundsatz des Glaubens“ und „durch Glauben“ erklärt sich dadurch, dass die Juden wohl die Gerechtigkeit suchten, aber auf einem falschen Grundsatz, nämlich auf dem Grundsatz der Werke; sie müssen die Gerechtigkeit haben, und zwar eine göttliche Gerechtigkeit, aber auf einem anderen Grundsatz, auf dem des Glaubens. Und weil die göttliche Gerechtigkeit auf dem Grundsatz des Glaubens beruht, so wird auch der glaubende Heide ihrer teilhaftig durch den Glauben, der durch die Gnade in ihm gewirkt ist. Macht denn dieser Grundsatz das Gesetz ungültig? Keineswegs. Die Autorität des Gesetzes ist vollkommen festgestellt und bestätigt worden, aber zur Verdammnis aller derer, die sich unter seiner Autorität befanden. Nichts könnte seine Autorität so vollkommen feststellen wie die Tatsache, dass der Herr Selbst den Fluch des Gesetzes auf Sich genommen hat.
Kapitel 4
Aber es gab noch einen anderen Beweis dafür, dass die Gerechtigkeit nicht aus Gesetzeswerken kommt, nämlich das Beispiel Abrahams, der die Verheißungen hatte, bevor das Gesetz gegeben und verkündigt war. Der Apostel bedient sich auch dieses Teils der Geschichte und der Vorrechte Israels, um seinen Hauptgrundsatz zu bestätigen. „Was sollen wir von Abraham sagen?“ fragt er.
Wenn er durch die Werke gerechtfertigt worden wäre, so hätte er Ruhm, aber nicht vor Gott; denn was sagt die Schrift? „Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“. Also ist der Grundsatz, dass man durch den Glauben gerechtfertigt wird, in dem Beispiel Abrahams völlig bestätigt. Es ist nicht aus Werken; wäre es so, dann wäre der Lohn nicht als Gnade, sondern als Schuldigkeit zu betrachten. Wenn man aber nicht wirkt, sondern an Den glaubt, Der den Gottlosen rechtfertigt, so wird der Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.
Und wie es bei Abraham war, so war es auch bei David. (Der Apostel führt das Beispiel dieser beiden Männer an, weil sie die Hauptquellen der Segnungen Israels bilden). Auch David beschreibt die Segnung des Menschen, den Gott für gerecht hält ohne Werke, indem er sagt: „Glückselig die, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden zugedeckt sind! Glückselig der Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet!“ Die Annahme in Christo geht zwar weiter, aber hier finden wir im Blick auf die Verantwortlichkeit des Menschen die Wahrheit ausgesprochen, dass für die, welche an Christum glauben, alles vollbracht ist. Die Sünde wird ihnen nicht zugerechnet; sie sind frei von aller Schuld; alle Beschuldigung ist vorbei für immer. Von unserer Stellung in Christo spricht der Apostel später; angenommen zu werden in einer neuen Stellung in Christo, nach dem Wert und der Annahme Christi vor den Augen Gottes, ist noch mehr als die Rechtfertigung. Aber diese Rechtfertigung ist vollbracht für uns, als verantwortliche Menschen.
Nun aber entsteht die Frage: Ist diese Segnung für Israel allein? Das Beispiel Abrahams entscheidet auch diese Frage. Ihm wurde der Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet; aber wann? Als er beschnitten war, oder als er noch in der Vorhaut war? In der Vorhaut. — So sehen wir denn in diesem alten und entscheidenden Beispiel Abrahams, dass nach dem Willen und Ausspruch Gottes der Glaube eines unbeschnittenen Menschen ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wird. Die Beschneidung ist dem Abraham nachher gegeben worden, als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er als Unbeschnittener hatte, damit er der Vater aller Gläubigen wäre, sowohl der Unbeschnittenen (damit auch ihnen nach seinem Beispiel die Gerechtigkeit zugerechnet würde), als auch der Beschnittenen, so dass er der Vater einer wahren Beschneidung ist, nicht allein derer, die aus der Beschneidung sind, sondern auch aller Gläubigen, die in Absonderung für Gott in den Fußtapfen des Glaubens Abrahams wandeln, den er hatte, als er noch nicht beschnitten war.
Ferner war auch die Verheißung, dass Abraham Erbe der Welt sein sollte, nicht durch das Gesetz gegeben worden - weder ihm, noch seinem Samen, sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens; denn das Gesetz kam viel später. So beweist also die ganze Geschichte Israels, dass man nicht durch das Gesetz, sondern nur durch den Glauben teil an der Segnung hat. Denn wenn die vom Gesetz, als solche, Erben sind, so ist die Verheißung aufgehoben und der Glaube, durch welchen Abraham sie empfangen hat, unnütz und erfolglos. Vielmehr bewirkt ein Gesetz Zorn, denn wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung; die Sünde ist wohl vorhanden, aber man kann nicht übertreten, was nicht geboten oder verboten ist.
Doch der Apostel entwickelt diesen Hauptgrundsatz der Segnung der Gläubigen aus den Nationen noch weiter aus der Schrift. Er sagt: „Darum ist es aus Glauben, auf dass es nach Gnade sei, damit die Verheißung dem ganzen Samen fest sei, nicht allein dem vom Gesetz, sondern auch dem vom Glauben Abrahams, welcher unser aller Vater ist (sowohl der Gläubigen aus den Nationen, als auch derjenigen aus den Juden) vor dem Gott, welchem er glaubte, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre“ (V. 16. 17). Diese Worte enthalten eine neue Wahrheit. Sie weisen auf die Kraft der Auferstehung hin, auf die Kraft, das Leben zu geben, da wo alles im Tode liegt, auf die schöpferische Kraft. Diese Kraft aber gab auch den Nationen Einlass. Auf diese Kraft rechnete Abraham, als sein Leib gewissermaßen schon tot und der Mutterschoß der Sarah ebenfalls über die geeignete Zeit hinaus war. Für den Glauben hängt alles ab von der Tätigkeit dieser Kraft, die hervorbringt, was Gott will. Es ist nicht allein ein Gnadenstuhl dargestellt für alle, die durch den Glauben an das Blut Christi herzukommen, als zu dem Ort, wo Gott mit dem Sünder zusammentrifft, sondern es ist eine Kraft, die da, wo nichts ist, Kinder schafft für sich aus den Seelen der Toten.
Doch gibt es einen Unterschied zwischen dem Glauben Abrahams und unserem Glauben. Er glaubte, dass Gott die Toten auferwecken könne, und er hatte Recht; wir aber glauben, dass Gott es getan hat. Dieser Unterschied ist sehr wichtig. Abraham hatte Recht, indem er an das Wort Gottes selbst glaubte; wir haben denselben Glauben, aber er gründet sich auf ein vollbrachtes Werk, und da findet die Seele Ruhe. Christus ist auferstanden; Er, Der einmal für unsere Übertretungen geopfert war, ist auferweckt worden, auf dass wir daran glauben und gerechtfertigt werden.
Kapitel 5
Wir sind also gerechtfertigt durch den Glauben. Damit findet die Lehre von dem Werk Christi, so weit es sich um Sein Blut und um das Wegtun unserer Sünden durch Sein Blutvergießen handelt, gewissermaßen ihren Abschluss. Die Auferstehung Christi ist der Beweis, dass Gott dieses Werk angenommen hat als Genugtuung für unsere Sünden, und zwar zu Seiner eigenen Herrlichkeit. Welch ein gesegneter Gedanke! Die Gerechtigkeit Gottes ruht in dem Wert des Werkes Christi! Diese Gerechtigkeit hat sich darin geoffenbart, dass Er Seinen Sohn aus den Toten auferweckt und uns um Seinetwillen gerechtfertigt hat; unsere Sünden sind vergeben, wir sind rein gewaschen in Seinem Blut. Nichts haben wir zu unserer Rechtfertigung beigetragen, nichts können wir dazu beitragen; wir sind allein gerechtfertigt durch das Werk Christi. Unsere Sünden sind der einzige Anteil, den wir an dem Leiden Christi haben, durch das wir vor dem Angesicht Gottes gereinigt worden sind. Der Wert dieses Werkes ist uns durch den Glauben, der jedoch dem nichts hinzufügen kann, zuteil geworden. Dieses Werk ist für uns der höchste Beweggrund, Ihm zu dienen und Ihn immer und unaufhörlich zu loben; aber auch dadurch fügen wir dem Werke Christi vor dem Angesicht Gottes nichts hinzu, es ist vollendet, und nicht allein das, sondern auch angenommen, als völlig genügend anerkannt vor Gott.
Wie wertvoll ist es, zu wissen, dass alle unsere Sünden hinweg getan sind durch Gott Selbst, und zwar gemäß Seiner eigenen Gerechtigkeit, indem Er Christum um des Werkes willen, das Er für uns vollbracht hat, auferweckt hat, ein ewig gültiger Beweis, dass Gott dieses Werk angenommen hat als völlig ausreichend für Seine Herrlichkeit. Dies würde genug sein für unsere Rechtfertigung; aber Gott hat noch mehr getan: Er hat Christus zu Seiner Rechten erhöht; dort sitzt Er jetzt als Mensch zur Rechten Gottes, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt sind. Durch ein Opfer hat Er, hinsichtlich des Gewissens, für immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden. Wenn sie durch dieses Opfer nicht zur Vollkommenheit gebracht sind, so können sie es nie werden, und ebenso wenig können ihre Sünden je hinweg genommen werden. Denn ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung, und Christus kann Sein Blut nicht noch einmal für uns vergießen; das Werk ist geschehen, oder es kann überhaupt nicht geschehen.
Vers 1-11
Der erste Abschnitt des fünften Kapitels (V. 1—11) fasst alle Züge dieser unendlichen Gnade Gottes zusammen. Betrachten wir kurz den Inhalt dieser kostbaren Verse.
Das Werk ist vollbracht; der Glaube weiß, dass es von Gott angenommen ist, indem Er Christum auferweckt und zu Seiner eigenen Rechten gesetzt hat. Es bleibt nichts zwischen dem wiedergeborenen, geheiligten Menschen und Gott als nur der Wert des Werkes Christi und die Annahme Seiner Person. Das Blut Christi ist immer vor den Augen Gottes, und Er Selbst erscheint in der Gegenwart Gottes für uns. Das gibt uns für die Gegenwart die köstlichsten Vorrechte, und für die Zukunft die Hoffnung der Herrlichkeit, die wir bei ihm genießen werden. Doch wir wollen nicht über unser Kapitel hinausgehen, sondern uns auf die Betrachtung der Vollkommenheit der Gnade Gottes, die darin so wunderbar entwickelt ist, beschränken. Wir finden hier das, was Gott für uns ist, während unsere Stellung vor Ihm in Christo erst später behandelt wird.
Die ersten elf Verse enthalten also die Entwicklung der Gnade und der Wege Gottes in Gnade; sie sprechen zuerst von dem, was die Gnade gibt, und dann von den Erfahrungen der Begnadigten. Indem Christus für unsere Sünden dahingegeben und zu unserer Rechtfertigung auferweckt worden ist, sind wir durch den Glauben gerechtfertigt worden. Es ist eine vollendete Rechtfertigung; unsere Sünden sind ausgelöscht, unser Gewissen ist gereinigt, und da der Wert dieses Werkes unwandelbar und immer vor den Augen Gottes ist, ist unsere Rechtfertigung ewig gültig. Infolgedessen besitzen wir einen beständigen Frieden mit Gott. Keine Sünde kann uns zugerechnet werden, denn unsere Sünden sind alle schon getragen, so dass wir kein Bewusstsein mehr von Sünden haben können. Wohl sind wir uns des Vorhandenseins der Sünde im Fleisch bewusst; aber von den Sünden, die Christus schon für uns getragen hat, kann nicht mehr die Rede sein. Wohl können wir uns demütigen, wenn wir durch irgend einen Anlass daran erinnert werden, dass wir der hässlichen Früchte der Sünde schuldig waren und diese Last auf den geliebten Heiland gebracht haben; aber wir können nicht in der Gegenwart Gottes, wo sich Christus und Sein Blut für immer befinden, in Frage stellen, ob alles vergeben ist. Es ist wichtig, dass ich den Zustand meiner Seele nicht verwechsle mit dem Wert eines außer mir vollbrachten Werkes, eines Werkes, an dessen Vollbringung ich nicht teilgehabt habe, es sei denn durch meine Sünden. Wenn aber meine Sünden dort auf Christum gelegt waren, dann können sie jetzt nicht mehr vor Gott sein — Christus hat sie im Himmel nicht mehr auf Sich. Befinde ich mich vor Gott, so finde ich da einerseits nur eine unendliche, unveränderliche Liebe, weil Christus dort ist, und andererseits nur eine vollkommene göttliche Gerechtigkeit in Ihm, ebenfalls weil Er dort ist. Unendliche Liebe, vollkommene und göttliche Gerechtigkeit und unveränderliche Gnade sind dem Gläubigen zuteil geworden in Christo vor Gott.
Dies führt uns in der Betrachtung der Früchte der Gnade einen Schritt weiter. Nicht allein sind unsere Sünden durch die Gnade hinweg getan, so dass wir Frieden mit Gott haben, sondern wir können auch genießen von der Gnade Gottes, die den Frieden gestiftet hat — von einer Gnade, die jetzt beständig in dem Herzen Gottes für uns ist. Die Gnade hat nicht allein durch das Werk Christi alle Hindernisse beseitigt, sondern sie bleibt auch immer unveränderlich in dem Herzen Gottes. Sein Auge ruht auf uns mit derselben Liebe, wie es auf Christo ruht. Durch Christum haben wir Frieden, durch Ihn auch Zugang durch den Glauben zu der Gnade und Gunst, in der wir in Ihm vor Gott stehen. Diese Gunst genießen wir in der Gegenwart Gottes. Nicht allein rechtfertigt uns der himmlische Richter, sondern ein himmlischer Vater nimmt uns auf; ein lichtvolles, gnädiges Angesicht voll väterlicher Liebe erleuchtet und erfreut unsere Seele und erquickt unser Herz, so dass wir mit einem völlig ruhigen Herzen in Seiner Gegenwart sind und in Seinen Wegen gehen; wir haben das köstliche Bewusstsein, dass wir in der Gunst Gottes stehen.
- Was unsere Sünden betrifft, so sind alle hinweg getan;
- Was unseren gegenwärtigen Zustand vor Gott betrifft, so ist alles Liebe und Gunst, in der hellen Klarheit Seines Angesichts;
- Was die Zukunft betrifft, so wartet unser die Herrlichkeit, sie ist unser Teil, wenn wir sie auch jetzt noch nicht genießen. Friede, göttliche Gunst, die Herrlichkeit in Hoffnung, das ist das Teil des Glaubenden, die gesegnete Frucht der Liebe Gottes.
Man könnte nun sagen: Es ist also alles vorhanden für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und doch hat der Apostel noch etwas hinzuzufügen. Weil die Herrlichkeit für uns noch in der Zukunft liegt, haben wir noch einen Weg zu machen, um sie zu erreichen. Und Gott vergisst uns auch auf diesem Wege nicht. Der Apostel sagt deshalb: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale“. Die Wüste ist der Ort, wo die Erfahrungen der Erlösten in Betreff ihres wirklichen Zustandes und der Regierungswege Gottes gemacht werden. Die Erlösung ist vollbracht; wir sind zu Gott gekommen, wie geschrieben steht: „…Wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe“ (2. Mo 19, 4). Dies ist eine im Ratschluss Gottes vorherbestimmte und jetzt vollendete Tatsache. Die Herrlichkeit ist ein Teil des Ratschlusses Gottes, und auch dieser Teil muss für die Gerechtfertigten erfüllt werden. Die Wüste bildet keinen Teil dieses Ratschlusses, aber sie ist der Ort, wo wir Seine Wege mit uns kennen lernen.
Allerdings ging der Räuber am Kreuz mit Christo an demselben Tag noch ins Paradies ein, um dort bei Ihm zu wohnen. Sein Zustand war passend für eine solche Stellung. Wenn er die Folgen seiner Missetaten von Seiten der Menschen tragen musste, so ertrug Christus für ihn von Seiten Gottes alles, was er vor Ihm schuldig war, und der gerechtfertigte Sünder folgte Ihm an demselben Tag noch nach in die Wohnungen der Seligkeit. Er hatte also keinen weiten Weg der Erfahrungen zu machen. Im allgemeinen aber geht der Gläubige durch eine Welt, wo Schwierigkeiten und Versuchungen ihm entgegentreten und ihn von allen Seiten umringen. Christus ist vor uns durch diese Welt gegangen, und wir sind berufen, in Seinen Fußstapfen zu wandeln. Dadurch aber wird unser Zustand geprüft. Die Erlösung kommt wird dadurch nicht in Frage gestellt; denn gerade diese ist es, die uns in die Wüste gebracht hat. Wir sind aber schuldig, unserer Berufung und der Stellung gemäß, in welche die Erlösung uns versetzt hat, zu wandeln, würdig des Gottes, der uns zu Seinem eigenen Königtum und zu Seiner eigenen Herrlichkeit berufen hat. Die Trübsale prüfen die Seele, inwieweit der Eigenwille wirksam ist; sie machen die Wirkung der Sünde in uns offenbar, so dass wir sie entdecken. Wir werden von Gott erforscht. Einerseits lernen wir dadurch erkennen, was wir sind, ande
Quelle: bibelpraxis.de/a1189.html