Wege aus der Trauer (von Martin Grabe) – eine Buchbesprechung

Lesezeit: 5 Min.

Trauer gehört zu den Gefühlen, mit denen ein Mensch viel öfter zu tun hat, als er im Allgemeinen denkt. Manche Gefühle verbindet man mit Positivem (z.B. Freude, Liebe), manche mit Negativem (z.B. Hass, Neid). Bei Trauer weiß man nicht so recht, wo man dieses Gefühl eigentlich zuordnen soll.

Das Buch

In seinem Buch „Wege aus der Trauer – wie wir mit Verlust gewinnen können“ beschreibt Dr. med. Martin Grabe, in was für einer Weise Trauer immer wieder Begleiter des Christen ist. Besonders zeigt er, dass dann, wenn man Trauer und die damit verbundenen Trauerphasen zulässt, der Gläubige sogar einen geistlichen Gewinn ziehen kann aus dem Verlust, der der Trauer zugrundeliegt.

Der Inhalt

Zunächst definiert Grabe, was man eigentlich unter Trauer verstehen kann. Er zeigt auf, dass man Trauer bei Verlusten überhaupt nicht vermeiden kann. Wenn man versucht, sie zu verdrängen oder zu unterdrücken, führt das nur dazu, dass man insgesamt einen längeren Trauerprozess durchleben muss, weil sich die Trauer früher oder später doch einen Weg bahnen wird.

Im Herzstück seines Buches beschreibt und erläutert der Autor den Trauerprozess, der bei mehr oder weniger jedem Trauernden in fünf Phasen abläuft. Diese lauten:

  1. Nicht-wahrhaben-Wollen
  2. Aggression
  3. Verhandeln
  4. Depression
  5. Annahme

Martin Grabe verweist darauf, dass diese Phasen teilweise mehrfach durchlaufen werden können, dass sie manchmal auch zum Teil parallel durchlebt werden, dass aber letztlich jeder Trauernde – wenigstens kurzzeitig – mit allen fünf Phasen zu tun hat. Im Regelfall kommt auch jeder zu dem Schlusspunkt, der wiederum der Ausgangspunkt einer neuen (geistlichen) Reife wird: der Annahme, dem dankbaren Akzeptieren dessen, was Gott uns weggenommen hat.

Letztlich könne man Menschen – auch Gläubige – zeitlich nicht in eine nächste Phasenstufe drängen oder schieben. Jeder brauche unterschiedlich viel Zeit für die jeweiligen Phasen. Manchmal müsse man sogar akzeptieren, dass der Gesamtprozess mehrere Jahre dauert.

Ein Kapitel widmet der Autor der Frage, wie man als „Außenstehender“ Trauernden helfen kann. Schließlich geht es in zwei abschließenden Kapiteln um Personen, deren Trauer nicht enden will, bzw. um einen Überblick über verschiedene Therapiemethoden, die Grabe bei Depressionen für sinnvoll erachtet (Psychotherapie, medikamentöse Therapie, medikamentöse Phasenprophylaxe, Schlafentzüge, Lichttherapie).

Der Autor

Dr. med. Martin Grabe ist Psychiater und Psychotherapeut, Chefarzt der Psychotherapeutischen Abteilung der Klinik Hohe Mark in Oberursel und damit Fachmann auf dem Gebiet, über das er schreibt. Immer wieder hat er mit Personen zu tun, die unter Depressionen leiden, natürlich nicht nur wegen Trauer. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.

Das Buch atmet die Lebens- und Arbeitspraxis von jemand, der weiß, worüber er bei diesem Thema redet. Auf 121 Seiten beschreibt Grabe einfühlsam und nachvollziehbar, was bei Trauer passiert, wie man Trauerprozesse zum persönlichen Nutzen durchlaufen kann und was man bedenken muss, wenn man mit Trauernden zu tun hat.

Schlussfolgerungen

Als Leser merkt man schnell, wie oft man selbst in Trauersituationen gewesen ist. Und man erkennt auch, dass man Trauernde nicht selten überfordert hat. Auf der einen Seiten ermutigt Grabe, nicht sprachlos gegenüber Trauernden zu werden. Auf der anderen Seite weist er darauf hin, wie weise wir uns im Blick auf Trauernde oft fühlen, obwohl wir selbst vielleicht noch nie in einer vergleichbaren Trauer- oder sogar Traumasituation gewesen sind.

Beispielsweise wurde mir selbst noch einmal sehr deutlich, wie ich versucht habe, mit scheinbar weisen Ratschlägen betroffene Trauernde zu „versorgen“, obwohl ich selbst eine vergleichbare Situation nicht erlebt habe und man im Guten akzeptieren muss, dass der Trauerweg unterschiedlich lang ist. Auch wenn er über Jahre dauert, haben wir noch lange kein Recht, deshalb zu meinen, hier laufe etwas falsch oder die Trauer sei bereits chronisch.

Wermutstropfen

Wie immer gibt es natürlich auch in diesem Buch Punkte, die Fragen aufwerfen. Auf Seite 15 spricht der Autor von einem reflexhaften Verhalten, dass (fast) auf einen evolutionären Hintergrund schließen lässt. Warum sollte jemand einer zivilisierten Umgebung einen Reflex bei Trauer haben, sich gegen einen Gegner verteidigen zu wollen, obwohl man mit diesem Problem gar nicht zu tun hat(te)?

Auf Seite 27 spricht Grabe von der pubertären Ablösung, die viel mit der Enttäuschung darüber zu tun habe, dass auf der neuen körperlich-psychischen Ebene des Heranwachsenden nicht mehr das unmittelbare Verstehen, das fraglose Zusammengehören mit den Eltern möglich ist. Hier hätte man gerne eine biblische Unterlegung. Warum finden wir in der Schrift das Problem der Pubertät nicht?

Überhaupt fehlt mir an entscheidenden Passagen dieses Buches, wenn man es bewusst für Christen verwenden möchte, ein Blick in die Schrift. Zwar werden Personen wie Hiob genannt. Aber in der Trauerbewältigung und -verarbeitung fehlt das Eingehen auf „biblische Ratschläge“ zu diesem Thema. Dabei hat Gottes Wort manche Hinweise im Blick auf Trauer. Vielleicht ist dieser „Mangel“ dem Ziel „geschuldet", dass Grabe auch ungläubige Menschen ansprechen möchte. Manchmal werden leider Stellen in für mich nicht nachvollziehbarer Weise anwendet (Lk 17,33; Joh 12,24, S. 87).

Auf S. 65 ermahnt Grabe gläubige Gesprächspartner, zu verstehen, dass der so unfromm klingende, anklagende, vorwurfsvolle Umgang mit Gott „die erste und unbedingt nötige Stufe einer erneuten Beziehungsaufnahme ist“. Das mutet seltsam an, gerade weil bei Hiob zunächst etwas ganz anderes zu finden ist: das wirkliche Annehmen der Hand Gottes, der gibt und nimmt. Es ist wohl oft der Fall, dass wir uns sehr schwer damit tun, diese Ereignisse – gerade bei Todesfällen – aus Gottes Hand anzunehmen, und dass wir in eine Phase der Vorwürfe auch Ihm gegenüber einsteigen. Das dies aber „unbedingt nötig“ ist, halte ich für unbiblisch. Wir dürfen uns keineswegs über Trauernde stellen, die solche Phasen durchlaufen. Aber wir sollten nicht den Eindruck vermitteln, dass es einen anderen (besseren) Weg gar nicht gibt. Ein solcher sollte möglichst gewählt werden, gerade von Gläubigen, die so viel Liebe von Gott erleben und erlebt haben.

Fazit

Gerne empfehle ich dieses sehr hilfreiche Buch von Martin Grabe. Es hilft, Trauer besser zu verstehen. Es gibt Außenstehenden eine Vorstellung, was in Trauernden vorgeht. Und wenn man selbst zu einem Trauernden wird, fällt es einem nach dem Lesen des Buches womöglich leichter, die verschiedenen und zum größten Teil vermutlich notwendigen Trauerphasen auch zu durchlaufen.

Vor allem macht der Autor in diesem Buch Mut: Trauer ist kein Verlust, sondern hat mit Verlust zu tun. Trauer ist ein Weg, um Gott in einer Weise zu erleben, wie man Ihn ohne Trauer nicht erlebt hat. Nach der Trauerphase ist man reicher, auch wenn man äußerlich ärmer sein mag.

Das Buch ist im Verlag der Francke-Buchhandlung erschienen und kostet 9,95 Euro. Es kann auch in der Christlichen Schriftenverbreitung (CSV-Verlag) erworben werden.

PS: Was lehrmäßige Auffassungen des Autors betrifft, erscheint mir noch ein Nachsatz bedeutsam. Es gibt in letzter Zeit Äußerungen von Martin Grabe, bei denen man als Leser nicht mehr sicher ist, ob er gelebte Homosexualität im Sinn von Römer 1, 1. Korinther 6 und 1. Mose 19 als Sünde be- und verurteilt.

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