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Überblick

Dieses Kapitel stellt einen Wendepunkt im Evangelium nach Matthäus dar. Der Herr Jesus hatte sich in der Mitte seines irdischen Volkes als der verheißene Messias zu erkennen gegeben. Die Menge des Volkes hatte die Worte der Gnade aus seinem Mund gehört, hatte seine wunderbaren Nachrichten gesehen. Blinden war das Augenlicht wiedergeschenkt, Aussätzige waren geheilt, Dämonen ausgetrieben, Tote auferweckt worden. War es nicht offenkundig geworden, dass "Emmanuel" (= Gott mit uns) dieses Volk besucht hatte, um es "zu erretten von ihren Sünden" (Matthäus 1, 21-23)?

Kein Herz für Jesus

Aber das Volk hatte, als Ganzes gesehen, kein Herz für Jesus und für die Gnade, die Er anbot. Und die Führer des Volkes verstiegen sich sogar in ihrem immer bitterer werdenden Hass zu der Behauptung, Er treibe die Dämonen durch Beelzebub, den Obersten der Dämonen, aus (Kap. 12,24). Der Herr nahm die Verwerfung von Seiten seines Volkes an und brach daraufhin die äußeren Bindungen, die Ihn mit diesem Volk verbanden (Verse 4.6-50). Von nun an bot Er Sich der jüdischen Nation nicht mehr als ihr Messias an. Er würde mit dem „Reich der Himmel" vielmehr etwas Neues wirken. Als äußeres Zeichen des bevorstehenden Wechsels in den Wegen Gottes "ging Jesus aus dem Haus hinaus und setzte sich an den See (Kap. 13, 1).

Im Verlauf des zwölften Kapitels streut nun der Herr Jesus in seine abschließenden Reden an das Volk drei kleine Gleichnisse ein, das vom „Schaf in der Grube" (Vers 11), vom „Haus des Starken" (Vers 29) und vom „unreinen Geist" (Verse 4.3-4-5). Das erste Gleichnis steht mit der Frage des Sabbats in Verbindung, das zweite mit der Lästerung des Heiligen Geistes, und das dritte mit dem Verlangen dieses "bösen und ehebrecherischen Geschlechts" (der Juden), ein Zeichen durch den Herrn geschehen zu sehen.

Der Sabbat

Schon die Begebenheit in den ersten acht Versen des Kapitels offenbart die Feindschaft der Pharisäer. Die Jünger des Herrn hatten am Sabbat Ähren abgepflückt und sie in den Händen zerrieben, um sie zu essen. Das rief den Widerspruch dieser Führer hervor: "Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat zu tun nicht erlaubt ist" (Vers 2). Sie irrten. Nicht das Gesetz verbot es (vgl. 5. Mose 23,25), sondern nur die von ihnen selbst hinzugefügten, zum Teil lächerlich überspitzten Bestimmungen, diese "Überlieferung der Menschen", wie Er sie nannte (Markus 7,8). Er hätte ihnen das vorstellen und zeigen können, wie verwerflich es war, dass sie dem Gesetz Gottes eigene Anordnungen hinzugefügt hatten. Aber Er tat in seiner unendlichen Weisheit etwas ganz anderes: Er zeigte ihnen in Praxis und Lehre, dass jedes Bindeglied der Nation mit Gott jetzt zerbrochen war.

Was waren die äußeren Formen ihres jüdischen Kultes wert, wenn der Sohn Gottes verworfen wurde? In der Geschichte des Volkes hatte es Tage gegeben, die den gegenwärtigen sehr ähnlich waren. Damals war David, der wahre König, von seinem Volk verworfen worden und floh um sein Leben. Der König nach dem Herzen des Volkes, Saul, saß auf dem Thron Israels, während sich Gottes König auf der Flucht befand. An einem Sabbat aßen dann David und seine Männer von den Schaubroten, was nur den Priestern erlaubt war, und blieben dennoch unschuldig (vgl. 3.Mose 24 mit 1. Samuel 21). Wie war das zu erklären? Nun, wenn der Gesalbte des Herrn verworfen war, hatten selbst die von Gott dem Volk gegebenen geheiligten Dinge aufgehört, heilig zu sein.

Jesus war schon verworfen

So war es auch jetzt. War es nicht äußerst bezeichnend, dass die Jünger Jesu sich genötigt sahen, Ähren abzupflücken, um ihren Hunger zu stillen? Der Messias weilte in der Mitte seines Volkes, und doch waren seine Nachfolger hungrig - ein untrügliches Zeichen davon, dass Er bereits der Verworfene war. Welchen Sinn hatte es, noch streng auf die Einhaltung des Sabbats zu achten, wenn der Herr des Sabbats abgelehnt wurde? Kann Gott etwas von solchen Menschen als heilig annehmen, die seinen Sohn verwerfen? Wie wertlos sind äußere Zeremonien, wenn das Herz nicht Christus gehört!

Dann folgt die mit unserem kleinen Gleichnis in Verbindung stehende Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand. Auch sie geschah an einem Sabbat. Die heuchlerische Frage der Pharisäer lautete: Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen?" ...

Der Mann mit der verdorrten Hand

Als der Herr Jesus an einem Sabbat in der Synagoge weilte, um zu lehren, war dort ein Mensch, der eine verdorrte Hand hatte (Mt 12,9ff ; Mk 3, 1ff ; Lk 6,6ff). Die Pharisäer und Schriftgelehrten aber lauerten darauf, ob Er am Sabbat heilen würde. Allein Matthäus berichtet uns, dass sie Ihm auch diese Frage stellten: "Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen?" Diese Frage zeigt, dass sie innerlich davon überzeugt waren, dass Christus die Fähigkeit zur Heilung besaß, und doch glaubten sie nicht an Ihn. Welch eine Herzenshärtigkeit offenbart das!

Wenn auch unser Heiland in Niedrigkeit unter den Menschen weilte, so war Er doch stets Herr der Situation. Das zu sehen ist immer wieder beglückend. Da steht nun der Mensch mit der verdorrten Hand. Auf die Aufforderung des Herrn hin tritt er in die Mitte der Synagoge. Die Auflaurer des Herrn freuen sich schon in boshafter Freude, dass Er wohl sogleich in die gestellte Falle gehen wird. Da unterbricht die Stimme des Meisters die gespannte Stille, sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus:

Der Herr überführt die Menschen mit einem Vergleich

"Welcher Mensch wird unter euch sein, der ein Schaf hat und, wenn dieses am Sabbat in eine Grube fällt, es nicht ergreifen und aufrichten wird? Wie viel vorzüglicher ist nun ein Mensch als ein Schaf! Also ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun " (Mt 12, 11-12).

Welch eine zwingende, weil göttliche Logik! Wer vermochte dagegen auch nur ein Wort zu sagen? So überführte der Herr seine Widersacher der Heuchelei, und das mit einem so einfachen, kleinen Gleichnis.

Es erhält zudem seine Schönheit dadurch, dass es uns den Herrn Jesus als den guten Hirten vorstellt, der eines seiner Schafe aus der Grube herausholt. Das zeigt uns der weitere Verlauf der Begebenheit - ein Beispiel übrigens dafür, dass der Herr ein Gleichnis mit einem Wunder verbindet und es dadurch "illustriert". Während Er aber hier das Schaf aus der Grube holt, geht Er in den parallelen Gleichnissen von Matthäus 18, Verse 12-14., und Lukas 15, Verse 4.-7, dem einen Schaf, nachdem es sich verloren hatte, nach und sucht es. Das Gleichnis in Lukas 15 beginnt auch mit sehr ähnlichen Worten wie das in Matthäus 12: "Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eins von ihnen verloren hat, lässt nicht die 99 in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?" Die Frage des Herrn "Wie viel vorzüglicher ist nun ein Mensch als ein Schaf?" lässt sich auf beide Gleichnisse anwenden, und beide Gleichnisse bildeten eine Antwort des Herrn auf den Unwillen der Pharisäer. In dem ersten Fall wurde dieser dadurch erregt, dass Jesus am Sabbat heilte, und in dem zweiten dadurch, dass Er Sünder aufnahm und mit ihnen aß...

Nur der Glaube erfasst die rettende Hand

Hier folgt das Wunder dem Gleichnis: "Dann spricht er zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus. Und er streckte sie aus, und sie wurde wiederhergestellt, gesund wie die andere (Vers 13). Wie großartig! Dieser Mann hatte Glauben - Glauben genug, um auf das Wort des Herrn hin seine verdarrte Hand auszustrecken. Könnten nicht auch wir alle von ihm etwas lernen? Bringen auch wir den Worten unseres Herrn Glauben entgegen, wenn Er uns auffordert, unsere Hand, die von Natur aus auch nichts anderes als "verdorrt" und zu keinem guten Werk geschickt ist, Ihm entgegenzustrecken? Er wird auf den Glaubensgehorsam immer mit reichem Segen antworten.

Dass dieser „Mensch mit der verdorrten Hand" auch als Bild des Volkes Israel dient, ist unschwer zu erkennen. Dieses Volk war damals und ist bis heute in einem Zustand geistlicher Verdorrtheit -ohne Glauben, die Hand zu Ihm hin auszustrecken. Anders als dieser „Mensch" zog es aus der Gegenwart des Herrn und seiner Willigkeit, zu heilen, keinen Nutzen. Doch der Tag wird kommen, an dem es, durch ernste Prüfungen dahin geführt dem Herrn Jesus Glauben entgegenbringen wird. Heute erfüllt sich jedoch an diesem Volk noch immer das erschütternde Wort des Propheten: "Zion breitet ihre Hände aus: da ist niemand, der sie tröste" (Klagelieder 1, 17).

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entnommen aus: Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 1) (CSV)

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