Rossier, Dr. Henri Rossier (1835-1928)

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Am 10. Mai 1862 heiratete Henri Rossier Madelaine de Graffenried aus Bern. Ihnen wurden sechs Kinder geschenkt.
Schon als junger Mann hatte er im elterlichen Hause John Nelson Darby (siehe Seite 40) kennengelernt. Später begegnete er ihm in Lausanne während seiner Zeit als Assistenzarzt im Kantonshospital und bei vielen anderen Gelegenheiten. Aber er kannte auch andere Brüder aus den Anfangszeiten in England, besonders G. V. Wigram (siehe Seite 147) und William Kelly, (siehe Seite 66) der im Jahre 1866 einmal in Vevey zu Besuch weilte.
Schon vor dem Jahre 1870 trug er den Wunsch im Herzen, die verschiedenen Versammlungen zu besuchen. Diesem Dienst widmete er sich mehr und mehr. Er nahm an zahlreichen Konferenzen teil und besuchte Versammlungen in der französischen und deutschen Schweiz, in Südfrankreich und in Deutschland.
Schon früh begann er auch, die Schriften von J. N. Darby ins Französische zu übersetzen. Dabei sind besonders zu erwähnen die „Praktischen Betrachtungen über die Psalmen".
Als Herausgeber bewies er unermüdliche Schaffenskraft. In erster Linie überwachte er die Ausgaben der französischen Bibelübersetzung von J. N. Darby, die 1881 erstmalig
vollständig erschien (das Neue Testament war bereits 1859 in Vevey gedruckt worden). Auch die Herausgabe der „Etudes sur la Parole" (Betrachtungen über das Wort Gottes), die J. N. Darby in französischer Sprache geschrieben hatte, und die erst später unter dem Titel „Synopsis" ins Englische übersetzt wurden, unterlag seiner Verantwortung.
Darüber hinaus hat Henri Rossier Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel geschrieben, besonders über die geschichtlichen Bücher des Alten Testamentes und die kleinen Propheten, die Psalmen, die Sprüche sowie kurze Zusammenfassungen der Propheten Jesaja, Jeremia und Hesekiel. Im Neuen Testament hat er sich in seinen Schriften besonders mit den Briefen des Paulus und Petrus befaßt. Er schrieb eine kurze Betrachtung über die Offenbarung sowie das Büchlein „Die symbolische Sprache der Offenbarung". Die Wiederkunft des Herrn Jesus war ihm besonders teuer; über diesen Gegenstand hat er verschiedene kurze Abhandlungen verfaßt. Viele seiner Bücher sind auch in deutscher Sprache erschienen, einige auch in englischer Übersetzung.
Henri Rossier besaß auch eine schöne dichterische Gabe und hat zahlreiche Gedichte und Lieder verfaßt. 28 der 212 Nummern in dem in den französischsprachigen Versammlungen gebräuchlichen Buch „Hymnes et Cantiques" stammen von ihm (es sind die Nummern 25, 39, 42, 43, 44, 46, 64, 113, 114, 117, 122, 132, 134, 154, 155, 156, 158, 166, 169, 174, 175, 176, 179, 185, 191, 206, 207, 209). Einige seiner Lieder wurden auch ins Englische und ins Deutsche übersetzt. An der Überarbeitung und Vervollständigung dieses Liederbuches ist Henri Rossier maßgeblich beteiligt gewesen. Der Anhang ab Nr. 154 wurde von ihm 1910 zusammengestellt.
Schließlich war er während der Dauer von 58 Jahren Redakteur des „Messager Evangelique" (Evangeliumsbote), einer Monatsschrift zur Erbauung, die in allen Ländern französischer Sprache und Kultur Verbreitung fand. Hierzu steuerte er im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Artikeln bei. Es wird berichtet, daß manche seiner Schriften in der Pferdekutsche entstanden, während er zu seinen Patienten gefahren wurde.
Bevor der Herr ihn am 20. März 1928 heimholte, richtete er noch ernste Aufrufe an die kommenden Generationen, in denen er sie ermahnte, getrennt von den weltlichen Lüsten und von der Lockerung heiliger Grundsätze in Liebe zum Herrn Jesus zu verharren und Sein Wort zu bewahren.
Nach seinem Heimgang erschien in „Messager" die folgende Mitteilung:

„An die Leser des Messager Evangelique:

Mit Tränen, aber auch mit Lippen, die den heiligen Namen unseres Gottes und Vaters preisen, teilen wir unseren treuen Lesern mit, daß der Herr

Dr. Henri Rossier

im Alter von 93 Jahren in die Ruhe und Freude Seiner Gegenwart aufgenommen hat, nachdem er 58 Jahre Redakteur des Messager Evangelique war. Er hat während seines langen, arbeitsreichen Lebens unaufhörlich für die Wahrheit gekämpft. Sein Gott weiß um seine Bemühungen.
Wir freuen uns, nachstehend seine letzte Botschaft zu veröffentlichen, die er seinen Brüdern zu hinterlassen wünschte. Möchten wir sie hören und treu erfunden werden.

An meine Brüder (16. November 1921),

Der Gedanke, zu meinem Herrn heimzugehen, ist mir sehr süß und wird durch nichts gestört. Es ist der Friede mit Gott. Trotz sehr glücklicher Familienbande habe ich dabei nichts zu bedauern, und Gott weiß. daß ich alle die Meinen und alle Brüder liebe und daß ich ihre Zuneigung schätze. Wenn ich keine Bitterkeit verspüre beim Gedanken, diese Personen zu verlassen, dann um so weniger bei dem Gedanken, die Dinge hienieden zu verlassen. Das einzige, was mir ein gewisses Bedauern verursachen könnte, wäre die Unterbrechung der begonnenen Arbeit. Aber im Blick auf meine besondere Arbeit für Seine Versammlung bin ich voll Vertrauen, daß der Herr dafür Sorge tragen wird, indem Er bis zu Seiner Wiederkehr für diese Aufgabe geeignete Werkzeuge zubereiten wird. Er hat bereits für die wichtigste Ausgabe, die der Heiligen Schrift, gesorgt. Mit Freuden stelle ich fest, daß von den „Betrachtungen über das Wort Gottes" nur noch ein Band zu vollenden und nach der letzten englischen Ausgabe zu verbessern ist. So ist auch diese Arbeit hinfort einfach und kann sich auf den bloßen Nachdruck der verschiedenen Bände dieses Werkes je nach Bedarf beschränken.
Eines wünsche ich jedoch als Auftakt der ewigen Glückseligkeit immer mehr zu verwirklichen, das ist die persönliche Gegenwart des Herrn in einer Zeit, wo wir Ihn noch nicht sehen - Seine Gegenwart, die in den Worten zum Ausdruck kommt: Du bist bei mir`. Ich glaube, daß wir dies alle suchen sollten.
Ich hinterlasse allen meinen Brüdern dieses Wort: Kolosser 3,13-15. Ich hinterlasse den Brüdern, die mit dem Werke beschäftigt sind, ein anderes Wort: Römer 12,3.
Was mich betrifft, so wünsche ich ihnen zu danken für ihren langen Beistand und ihre beständige Zuneigung, die noch erhöht wird durch all ihre Zuneigung zu meinen Lieben.
Schließlich möchte ich alle diejenigen um Vergebung bitten, die ich während meines langen Lebens verletzt oder beleidigt habe oder denen ich oft nicht die nötige Hilfe gewesen bin.
Möchte der Herr unter den jungen Brüdern solche erwecken, deren Herzen voller Hingabe sind, die sich von Seinem Wort nähren, die mit anhaltendem Gebet sich als wahre Diener der Versammlung in Seinem Werk verwenden lassen und die ohne Straucheln bewahrt bleiben bis zum Tage Christi. Endlich möchte ich die Brüder ganz besonders vor zwei Gefahren warnen: der Weltförmigkeit, die sich heute im Interesse an den Dingen dieser Welt und dementsprechend im Nachlassen des Interesses für das Wort Gottes zeigt; zweitens vor dem Freigeist, der die absolute Vernichtung des Zeugnisses wäre, das der Herr uns anvertraut hat. Wahre Bruderliebe muß sich verbinden mit dem Wandel auf schmalem Pfade, das heißt, dem strikten Gehorsam gegenüber dem ganzen Worte Gottes. Dies ist der heiße Wunsch Eures schwachen Bruders in Christo

H. Rossier."

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