Versammlung Gottes: Angebliche Neutralität und tatsächliche Sektiererei

Lesezeit: 4 Min.

15. März 1882

Lieber Bruder in Christus,

Park-Street und Bethesda - ein wichtiger Unterschied

ich nehme an, dass die Übung unserer Schwester darin besteht, dass die Art, in der Ihr in Newport auf den Aufruf von Ventnor oder von anderen Orten reagiert, die die „Park Street“-Entscheidung 1 unterschreiben, Neutralität oder Gleichgültigkeit genannt wird. Aber auch die Worte des Apostels in Philipper 3,15.16 oder Römer 14 hätte in seinen Tagen Anlass für einen solchen Vorwurf geben können. Neutralität ist dann eine große Sünde, wenn es um die Person Christi geht – wie in der Bethesdafrage 2 .

Darf eine kirchliche Meinungsverschiedenheit zum Generaltest gemacht werden?

Die Sünde der „Park Street“ und ihrer Verfechter besteht darin, dass sie eine solche Frage wie die Ramsgate-Auseinandersetzung – eine kirchliche Meinungsverschiedenheit – zu einem Test für Versammlungen und sogar für einzelne Personen machen, wie es meines Wissens geschehen ist. Gottesfürchtige Menschen mögen zu Recht Zweifel sowohl im Hinblick auf A.H. oder G.H. 3 oder betreffs beider Zusammenkommen hegen. Aber Ramsgate zu einem Test zu machen bedeutet, Versammlungen zu spalten oder zu entmutigen, indem man vielen eine Gemeinschaft aufzwingt, an der sie wirklich zweifeln.

Unabhängig von der Ramsgate-Frage an sich handelt es sich nach meiner Überzeugung um ein Abweichen von unseren fundamentalen Grundsätzen, wenn das Zusammenkommen in der Park Street oder irgendein anderes Zusammenkommen einen solchen Streit aufnimmt und diese Sache zu einer Entscheidungsfrage macht, die die Heiligen spaltet. Die Sünde der Trennung bleibt auf denen, die auf diese Weise versuchen, die Gewissen zu bedrängen. Jeder andere, außer den parteiischen Anhängern von G. H. und A. H., hätte diese beiden Zusammenkommen in den Händen des Herrn gelassen, und insbesondere Geschwister von Versammlungen, in denen diese Fragen gar nicht von Bedeutung waren.

Geistliche Beurteilung - geht es um Christus?

Ich habe Dich so verstanden, dass auch Du die Dinge so beurteilst, genau wie alle Brüder mit Gewicht und geistlicher Einsicht die Dinge sahen. Dann aber hat diese Erregung einen Parteigeist, der die Spaltung sucht, bei denjenigen offenbar gemacht, bei denen man schon lange den Eindruck hatte, dass sie eine solche Trennung im Verborgenen herbeisehnten.

Wenn es um die Person Christi geht oder irgendeine ähnliche, fundamentale Wahrheit, dann würde man sich verpflichtet fühlen, solche Personen zurückzuweisen, die nicht die Lehre des Christus bringen – wie uns geboten wird. Das Zerbrechen einer Versammlung jedoch in gleicher Weise zu behandeln bedeutet, die Grundlage der Schrift zugunsten einer Tradition (Gewohnheit, Überlieferung, engl. tradition) zu verlassen. Tradition hat immer wieder dazu geführt, dass die Versammlung auf den Platz Christi gestellt wurde, zur Unehre Gottes.

Sekte?

Diejenigen, die dieses tun, sind nach meiner Überzeugung eine Sekte, und dürfen nicht auf Gottes Grundlage anerkannt werden – wenn man auch Gläubige von solchen Zusammenkommen um Christi willen aufnehmen mag. So beurteile ich alle Versammlungen, die den neuen „Ramsgate-Test“ akzeptieren.

Bist Du Dir – und ist sich unsere Schwester – bewusst, dass wir von dem Zusammenkommen in der Ebrington Straße (Plymouth) hauptsächlich wegen kirchlicher Gründe im Jahr 1845 getrennt waren, zwei Jahre, bevor die Irrlehre von B. W. Newton über die Person Christi bekannt und gerichtet wurde? Während dieser zwei Jahre konnten Gläubige, die mit Herrn Newton in Gemeinschaft blieben, immer noch am Tisch des Herrn mit uns teilnehmen, wenn sie es wünschten. Aber als der Beweis dieser schrecklichen Irrlehre erbracht worden war, haben wir dies nicht mehr zulassen können – sie wurden vollständig zurückgewiesen, wenn sie nicht mit Herrn Newton brachen. Und das war es, was der Anlass für die schuldhafte Neutralität von den Geschwistern in Bethesda war. Sie nahmen solche auf, die nicht die Lehre des Christus brachten. Auf diese Weise nahmen sie teil an deren bösen Taten.

Mangel an Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe!

Unsere Position und die Eure „Bethesdaismus“ zu nennen, stellt daher einen Mangel an Kenntnis, Gerechtigkeit sowie einen Mangel an Wahrheit und Liebe dar. Wir verabscheuen jede Neutralität, wenn es um Christus und um unsere Verantwortung geht, alles Böse zu richten – wie ich hoffe, dass auch Ihr das in Newport tut.

Herzliche Grüße in dem Herrn

William Kelly

Fußnoten

  • 1 Anmerkung des Übersetzers: Zwischen 1879 und 1881 gab es in England eine große Unstimmigkeit über ein Zusammenkommen in einer Stadt (Ryde). Nach und nach kamen die Geschwister dort an drei Orten zusammen: 1. ein Zusammenkommen, das durch große Laschheit gekennzeichnet war, aber noch im Allgemeinen „anerkannt“ wurde; 2. ein Zusammenkommen (allerdings ohne Brotbrechen), wo sich Geschwister zusammenfanden, die den Zustand des ersten Zusammenkommens nicht mehr für tragbar hielten; 3. ein Zusammenkommen, das dadurch entstanden war, dass ein aus der Kirche ausgetretener Bruder das erste Zusammenkommen für nicht mehr auf biblischer Grundlage stehend empfand, aber ein Zusammenkommen ohne Brotbrechen ebenfalls unbiblisch fand, und der somit „neu anfing“. Nun ging ein alter Bruder aus London dorthin und nahm an diesem „dritten“ Ort am Brotbrechen teil. Dieses, sein Verhalten führte in seiner Heimatstadt (Kennington) zu großen Streitigkeiten unter den Brüdern. Andere Versammlungen drängten Kennington dazu, ihn auszuschließen, was auch schließlich geschah. Trotzdem erkannten die Geschwister in Ramsgate das Zusammenkommen in Kennington (kurzzeitig) nicht mehr an. Dadurch entstand ein Riss durch ganz England, an dem ganz besonders die Geschwister in Ramsgate Anteil hatten. Denn auch dort kam es durch die Auseinandersetzungen zu einer Trennung, in der zwei Zusammenkommen entstanden (Guildford Hall und Abbott’s Hill), die keine Gemeinschaft miteinander hatten. Relativ rasch wurde - in London (Park Street) entschieden, nicht in Ramsgate, - nur Guildford Hall als Zusammenkommen auf der Grundlage der Schrift anerkannt. Dieser „Versammlungsbeschluss“ wurde dann mit Nachdruck in ganz England und darüber hinaus durchgesetzt. Während J. N. Darby maßgeblich an diesem Entschluss beteiligt war, hielt W. Kelly von Anfang an diesen Beschluss und seine Durchsetzung für unbiblisch - das Zusammenkommen, zu dem er ging, folgte der Park Street daher nicht. - Dies ist eine insgesamt sicherlich verkürzte Darstellung, die aber zur Klarstellung nötig erscheint.
  • 2 Anmerkung des Übersetzers: Die sogenannte Bethesdafrage hat damit zu tun, dass in England ein Mann Namens Newton in einer örtlichen Versammlung eine Irrlehre über die Person des Herrn Jesus vertrat und öffentlich lehrte. Dennoch sahen sich etliche Geschwister an diesem Ort nicht genötigt, sich von Newton zu trennen. An einem anderen Ort - in Bethesda - nun wurden diese Geschwister des Ortes von Newton (nicht Newton) aufgenommen, obwohl 2. Johannes 9-11 deutlich macht, dass diese Geschwister an den bösen Werken des Irrlehrers teilnahmen, wenn sie sich nicht von ihm trennten. Diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Bösen in Bethesda führte zu einer England-weiten und letztlich auch weltweiten Trennung unter den sogenannten "Brüdern" und zum „Beginn“ der sogenannten „Offenen Brüder“. Viele Versammlungen erkannten, dass sie sich verunreinigten (vgl. 1. Kor 5,6-8), wenn sie mit der Versammlung „von Newton“ und den Versammlungen wie Bethesda, die keine klare Trennung vom Bösen vollzogen, in Gemeinschaft blieben. Viele andere Versammlungen sahen dagegen keine Notwendigkeit, sich wegzureinigen, und blieben in Gemeinschaft mit Bethesda.
  • 3 „Guildford Hall“ (G.H.) und Abbott’s Hill (A.H.) - die beiden gegensätzlichen Seiten in Ramsgate bei der „Park Street“-Entscheidung.
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