Die Bibel: ihre Entstehung und Überlieferung (8) - Drei Codices des Alten Testaments (ein kurzer Überblick)

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© Eine Seite aus dem Codex Leningradensis

Zwischen dem frühen 6. und 10. Jahrhundert n. Chr. haben die Masoreten (hebr. „Überlieferer") den bis dahin nur aus Konsonanten bestehenden alttestamentlichen Bibeltext mit Punktionen und Lautzeichen versehen, um so die Vokale und Akzente zu bezeichnen. Dadurch wurden Sinn und Aussprache festgelegt 2.

Aaron ben Mosche ben Ascher (10. Jh.) wird von den Juden als derjenige angesehen, der die genaueste Version des Masoretischen Textes erstellt hat. Er lebte und arbeitete in der Stadt Tiberias am Westufer des Sees von Galiläa und entstammte einer alten Masoretenlinie. Er vokalisierte den Codex 1 von Aleppo (920 n. Chr.) und versah ihn mit Anmerkungen (Masora). Seinem Vater, Mosche ben Ascher, wird das Schreiben des Codex Cairensis 3 (895 n. Chr.) zugeschrieben.

Als dritte große Bibelhandschrift des Alten Testaments ist der Codex Leningradensis zu nennen. Er wurde von Samuel ben Jakob (1008 n. Chr.) in Kairo angefertigt.

 

Der Codex von Kairo

Der Codex von Kairo ist wahrscheinlich die älteste bekannte masoretische Handschrift. Sie wurde im Jahr 895 n. Chr. von Mosche Ben Ascher in Tiberias geschrieben und mit Punktionen bzw. Lautzeichen versehen.

Der Codex beinhaltet die Geschichtsbücher und die Propheten des Alten Testaments. Unter den Geschichtsbüchern sind die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige zu verstehen. Zu den prophetischen Büchern zählen Jesaja, Jeremia und Hesekiel sowie die 12 sogenannten „kleinen Propheten" 4. Das prophetische Buch Daniel ist darin nicht enthalten, weil es im Judentum zu den „Schriften" (Ketuvim) und nicht zu den Propheten (Neviim) gezählt wird.

 

Nachdem der Codex im Jahr 1099 von Kreuzfahrern in Jerusalem beschlagnahmt wurde, ging er nach dessen Freigabe später in den Besitz der Karäer-Gemeinde in Kairo über, wo er bis heute liegt.

 

Der Codex von Aleppo

Der Codex von Aleppo wurde im Jahr ca. 925 n. Chr. in Tiberias wahrscheinlich von Schelomo Ben Buja'a geschrieben. Zur Zeit seiner Entstehung umfasste dieser Konsonantentext das ganze Alte Testament. Die Punktionen und Masora versah allerdings Aaron Ben Ascher.

Grundsätzlich hatte man den Codex als Mustercodex angedacht, aus dem nur zum Passah, an Pfingsten und am Lauthüttenfest vorgelesen werden sollte. Darüber hinaus durfte er von Gelehrten zur Klärung von Zweifelsfragen benutzt werden. Für das Bibelstudium war er allerdings nicht vorgesehen.

Ende des 14. Jahrhundert gelangte der Codex nach Aleppo. Als es dort im Jahr 1947 aufgrund der Gründung des Staates Israels zu schweren anti-jüdischen Ausschreitungen kam, wurde der Codex durch einen Brand in der Synagoge in Aleppo beschädigt. Zwar konnte der Codex die Angriffe grundsätzlich überstehen, dennoch fielen der Anfang (1. Mo 1,1 bis 5. Mo 28,16) und das Ende (Hld 3,12 bis Nehemia) dieses wertvollen Manuskriptes den Flammen zum Opfer 5 Damit sind aktuell nur noch 295 der knapp 500 Blätter vorhanden.

Dennoch gilt der Codex in der Wissenschaft als einer der wichtigsten Zeugen des masoretischen Textes. Daher wird er für wissenschaftliche Textausgaben mit herangezogen. Nachdem er im Jahr 1958 nach Jerusalem kam, liegt er bis heute im Schrein des Buches, im Israel-Museum.

Der Codex Leningradensis

Der Codex Leningradensis ist die älteste vollständig erhaltene Bibelhandschrift des Alten Testaments. Sie wurde von Samuel ben Jakob im Jahr 1008 n. Chr. auf Vellum geschrieben, punktiert und mit Masora versehen. Dabei stützt sich diese Handschrift auf die wertvollen masoretischen Handschriften der Masoreten-Familie Ben Ascher.

Die bekannte wissenschaftliche Druckausgabe des hebräischen Alten Testaments, die Biblia Hebraica Stuttgartensia, hat diesen Codex zur Grundlage.

Die hervorragende Qualität dieses Codex bestätigte sich, als man den Inhalt mit den zum Teil über 1000 Jahre älteren Funden aus Qumran verglich. Es stellte sich heraus, dass es nur in wenigen und dazu unwesentlichen Punkten zu leichten Abweichungen gekommen war.

Heute liegt der Codex Leningradensis in der russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg.

Resümee

Die bis in unsere Zeit bestehenden Codices sind ein Beweis dafür, dass Gottes Wort nicht nur zuverlässig überliefert wurde, sondern dass es bis heute existiert. So haben wir auch nach Jahrtausenden noch einen Zugang zum Grundtext des Alten Testamentes.

Neben den drei genannten Codices gibt es noch weitere Handschriften, die hier nicht weiter aufgeführt wurden. Auch diese sind zum Teil für die Wissenschaft von großer Bedeutung! Es ist erstaunlich, wie Gott über sein Wort gewacht hat. Wenn es auch Angriffe darauf gab, wie den auf den Codex Aleppo, so war der Feind doch nie imstande, sein Wort vollkommen auszulöschen. Dafür dürfen wir Gott täglich danken!

Fußnoten

  • 1 „Codices“ ist eine Pluralform von Codex. Im Lateinischen bedeutete Codex ursprünglich „Baumstamm“ oder „Holzklotz“, später auch „Buch“ bzw. „Heft“.
  • 2 Die Arbeit der Masoreten wurde schon in dem Artikel: „Die Bibel - ihre Entstehung und Überlieferung (7) - Wurde das Alte Testament zuverlässig überliefert? (2)“ überblickartig aufgezeigt.
  • 3 Dieser Codex wird auch als „Prophetencodex“ oder als „Kodex von Kairo“ bezeichnet.
  • 4 Unter den sog. „kleinen Propheten“ sind die Propheten Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja und Maleachi zu verstehen.
  • 5 Die Anordnung und Reihenfolge der Bücher im Codex Aleppo ist eine andere als in den „christlichen Bibeln“. Sie folgt im Codex von Aleppo dem jüdischen „System“. Allerdings weicht es an einer Stelle davon ab. So stehen die Bücher 1. und 2. Chronika nicht, wie es im jüdischen typisch ist, ganz am Ende, sondern eher mittig, vor den Psalmen. Daher ist das letzte Buch des Codex Aleppo nicht das Buch Chronika, sondern das Buch Nehemia.
© Eine Seite aus dem Codex Leningradensis
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