Geht es heute um Nächstenliebe?

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Ist es verkehrt, über Nächstenliebe nachzudenken? Keineswegs. Es ist ein biblisches Thema. Es ist ein wichtiges Thema in Gottes Wort. Es ist ein Thema, das wir an vielen Stellen finden! Nach der zweiten Sünde, die uns von Menschen mitgeteilt wird (den Mord Kains), lesen wir: „Und der Herr sprach zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Und er sprach: Ich weiß es nicht. Bin ich meines Bruders Hüter?" (1. Mo 4,9). Kain offenbarte seinen sündigen Zustand unter anderem dadurch, dass er Nächstenliebe ablehnte. Viel schlimmer war sicherlich der Mord. Aber fehlende Nächstenliebe gehörte dazu.

Das erste Gebot und Priorität

Der Herr Jesus wurde einmal von einem Gesetzesgelehrten gefragt: „Lehrer, welches ist das große Gebot in dem Gesetz? Er aber sprach zu ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand." Dieses ist das große und erste Gebot. Das zweite aber, ihm gleiche, ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten" (Mt 22,36-40). Auch hier sehen, dass das Gebot, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, sehr wichtig ist. Es wird sogar dem ersten Gebot gleich gestellt.

Und doch ist es nicht das Erste, was der Herr sagt. Sondern Er beginnt damit, dass der Mensch dem Herrn, seinem Gott, den ersten Platz im Herzen, in der Seele, im Verstand gibt. Mit anderen Worten: Der Herr muss in allem zuerst kommen. Anders ausgedrückt: Man wird dem Nächsten nur dann den richtigen Platz geben, wenn man dem Herrn zunächst den ersten Platz gibt.

Das Konzept „Nächstenliebe"

Und hier müssen wir uns fragen, welche Prioritäten wir aktuell verwirklichen. Reinhard Bingener in der FAZ schrieb: „Solange kein Impfstoff und keine erprobten Medikamente zur Verfügung stehen, ist das Verhalten jedes Einzelnen die wichtigste Ressource im Kampf gegen das Coronavirus. Es besteht also Anlass, sich das Konzept Nächstenliebe klar und scharf vor das geistige Auge zu stellen."

Nun stellt sich die Frage: Hat das Argument Priorität, „wir können doch unter keinen Umständen unsere Mitmenschen in Gefahr bringen. Das wäre gegen das Gebot der Christen, die Nächsten zu lieben. Wir sollen ja sogar unsere Feinde lieben"?

Zunächst einmal gilt: Ja, das, was der Herr uns in der Bergpredigt gesagt hat, sollen wir tun. Wir sollen sogar unsere Feinde lieben (Mt 5,44) und wir sollen natürlich unseren Nächsten lieben. Aber das werden wir nur dann nach Gottes Gedanken tun, wenn wir Gott und seinem Wort, seinen Aufforderungen und damit den Wünschen des Herrn an uns persönlich und gemeinschaftlich Priorität einräumen. Hier stellt sich die Frage: Ist nicht das ein besonderes Problem? Nächstenliebe wird in der Christenheit und aktuell auch in der kirchlichen Öffentlichkeit groß geschrieben.

Das Fragen nach dem Willen des Herrn

Die Frage aber ist: Wer fragt danach, was der Wille des Herrn ist? Hat Er seinen Willen nicht ausdrücklich und konkret offenbart? Finden wir nicht deutliche Hinweise auf das, was wir tun sollen als Gläubige, in guten wie in schwierigen Zeiten?

Als ein Beispiel für Nächstenliebe benutzt der Leitartikel gerade das Beispiel des barmherzigen Samariters. Tatsächlich spricht der Herr dieses Gleichnis, weil Er gefragt wurde, wer der Nächste sei. Und Er zeigt, was Er selbst getan hat: alles eingesetzt, um einen (fast) Toten zu erretten von seinem Verlorensein. Das heißt, Nächstenliebe lernen wir, wenn wir den Herrn Jesus kennen. Denn Er muss notwendigerweise den ersten Platz einnehmen.

Und dann ist es so eigentümlich, was der Herr diesen Gesetzgelehrten fragt: „Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen von dem, der unter die Räuber gefallen war?" (Lk 20,36). Er fragt nicht, wer der Nächste des barmherzigen Samariters war, sondern wer der Nächste des unter die Räuber Gefallenen. Was zeigt der Herr uns damit? Wir selbst sind die Nächsten des Herrn. Wir können gar nichts tun, wenn wir nicht zunächst bereit sind, das Wirken des Herrn an uns geschehen zu lassen. Wenn Er und sein Wort nicht vor unseren Herzen steht, können wir einem „Nächsten" gar nichts Gutes tun.

Nicht Virologen, sondern der Herr

Mit anderen Worten: Nicht die Virologen zeigen uns den Weg zum Nächsten, sondern der Herr, der über allem steht. Er, der Autorität im Himmel und auf der Erde hat, Er zeigt uns (in seinem Wort), was wir tun können, was wir tun sollen.

Nein, der Theologe hat eben nicht recht, wenn er sagt: „Das Neue Testament ist auch an dieser Stelle eindeutig und klar. Die Evangelien sind voll von Konflikten zwischen traditionellen religiösen Vorstellungen und der Nächstenliebe. Die Pointe ist immer dieselbe: Die Nächstenliebe hat unbedingten Vorrang."

Richtig ist vielmehr: Vorrang hat immer der Herr, haben seine Ansprüche an uns. Dabei geht es nicht um Formalismus und schon gar nicht um Tradition, sondern darum, dass sein Wort und seine Person vor allem anderen stehen. Dann, aber auch nur dann sind wir in der Lage, auch unserem Nächsten zu dienen. Nur das, was aus der persönlich gelebten Gemeinschaft mit Ihm hervorkommt, kann Menschen und auch Gläubigen, mit denen wir zu tun haben, zum Nutzen sein.

Das Hohelied der Liebe

Im Leitartikel wird dann 1. Korinther 13 als das Hohelied der Liebe zitiert. Kein verkehrter Titel! Aber man übersieht immer wieder, dass es in diesem Kapitel in erster Linie darum geht, in welcher Gesinnung wir unseren Dienst ausüben: hoffentlich aus Liebe. Aus Liebe zu unserem Herrn und aus Liebe zu denen, denen wir dienen wollen.

Eines aber darf man nicht vergessen: Liebe ist nicht töricht. Liebe ist nicht blind. Liebe handelt nicht ohne Verstand. Was für eine Torheit, wenn man liest: „Vielleicht würde es heute heißen: Die Liebe tritt nicht aus dem Sportverein aus, weil keine Kurse stattfinden. Die Liebe lamentiert nicht eitel über Datenschutz. Die Liebe sieht die Not der Armen und gibt großzügig. Die Liebe trägt Mundschutz, auch wenn es nicht gut aussieht."

Das Kennzeichen der Liebe

Es ist ja nicht alles falsch. Die Liebe sieht die Not der Armen, ganz besonders die wahren Nöte der Armen ... Vor allem tut die Liebe eines: „Jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist. Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn dies ist die Liebe Gottes, dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube" (1. Joh 5,1-4).

Wir sehen also, dass der Gläubige alle Kinder Gottes liebt, praktisch liebt. Das heißt, er sieht auch die echten Bedürfnisse (was unbedingt materielle Bedürfnisse einschließt, auch wenn diese nicht im Mittelpunkt stehen).

Das erste Kennzeichen der Liebe aber ist, Gott zu lieben und das durch Gehorsam seinem Wort gegenüber zu beweisen. Diese Gebote sind nicht schwer. Wenn Johannes das sagt, dann ist das so. Der Herr hat das vorher auch schon gesagt. Daher können wir bis heute das Wort, das der Herr zu uns geredet hat, auch tun.

Das Mittel dazu ist der Glaube, der Glaubensmut, dass der Herr uns bewahrt, wenn wir Ihm von Herzen gehorsam sind. Damit überwinden wir auch die Welt, mag sie abweisend oder anziehend scheinen, mag sie uns verwerfen oder sogar aus ihrer Sicht Gutes tun. Wir überwinden das, was die Welt uns anbietet, indem wir im Glauben dem Herrn gehorsam sind.

Wirklich - ein Lebensprogramm, was in diesen wenigen Versen des Johannesbriefes enthalten ist.

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