Buchbesprechung: Das widerspenstige Ich (Erwin W. Lutzer)

Lesezeit: 5 Min.

Diesem wichtigen Thema ist das Buch „Das widerspenstige Ich" von Erwin W. Lutzer (CLV) gewidmet. Wie geht man mit schlechten Gewohnheiten um, die sich zu einem „unseligen Teufelskreis" weiterentwickeln: „Freude an verbotenem Vergnügen - Schuldgefühl - Beschluss es nie wieder zu tun - Stolz auf kurze Augenblicke der Selbstbeherrschung - und schließlich der Rückfall".

Das Buch

Ich bin sicher, dass ist die Erfahrung von vielen Gläubigen, jüngeren genauso wie älteren. Lutzer zeigt zunächst auf, warum es die vielen Versuchungen gibt. Dann zeigt er einige Grundsätze auf (er nennt sie Grundregeln), die beachtet werden sollten, um zu einem Glaubensüberwinder zu werden: der Glaube, dass Gott gut ist; das Bewusstsein, dass ich selbst für mein Leben und Handeln verantwortlich bin; das Vertrauen auf die Gnade Gottes und nicht auf eigene Kraft.

Im weiteren Verlauf des Buches führt der Autor uns zum Kreuz, zu der Kraft, die der Geist Gottes uns für unser Leben schenkt, zu der Erneuerung, die Er täglich bewirkt, wenn wir uns Ihm und dem Wort Gottes „aussetzen".

In einem weiteren Kapitel geht Lutzer auf die Gefühle des Gläubigen ein. Er warnt davor, gefühllos zu werden, Gefühle auszuschalten oder zu ignorieren, zeigt aber zugleich auf, wie Gefühle ein Einfallstor für Sünden werden können. Daher schlägt er vor, „viele Gefühle im Zaum" zu halten, um der Sünde keinen Weg in unser Leben zu lassen. Das führt zu dem Kapitel, indem der Autor über „die Zähmung des Willens" spricht, damit dieser Wille nicht zur Sünde führt.

In dem letzten Teil ermutigt Lutzer durch den Hinweis auf die Fürbitte Christi und der Gläubigen und ermahnt, der Aktivität Satans zu widerstehen. Leider kommt es oft so, dass ein Gläubiger auch nach einer „zeitweisen" Befreiung wieder in dieselben Fallen hineingerät. Um uns aus dieser Not zu helfen, fügt der Autor noch das Kapitel „von Neuem gefangen" an.

Nützlich

Dieses Buch bietet eine Fülle von Anregungen, Ermutigungen und Hilfestellungen für das Glaubensleben. Das ungeschminkte Beschreiben der Realität des Glaubenslebens vieler Gläubiger wie zum Beispiel des oben schon genannten Kreislaufes, den viele von uns aus eigener Erfahrung kennen (S. 11), hilft, sich nichts vorzumachen über den eigenen geistlichen Zustand.

Der wiederholte Hinweis, dass wir selbst Verantwortung für unser Leben tragen (z. B. S. 19.34) und diese Verantwortung nicht auf andere abwälzen können, ist sehr wichtig. Auf S. 24 zeigt Lutzer die schädlichen Folgen der Sünde in unserem Leben auf.

Es gibt noch viele weitere nützliche Punkte. Beispielsweise das Bewusstsein, dass Gott gut ist (S. 29), selbst wenn Umstände usw. dagegen zu sprechen scheinen, halte ich für sehr hilfreich. Auch, dass es typisch „Satan" ist, uns auf das Negative hinzuweisen (S. 31), ja die Beschreibung seiner Taktiken (S. 53) bewahrt uns davor, uns blenden zu lassen. Auch die Abgrenzung von Gefühlen und Glauben (S. 109 ff.) halte ich für nützlich. Und man könnte noch eine Reihe weiterer Punkte nennen!

Das Problem: Gesetzlichkeit

Dennoch kann ich dieses Buch letztlich nicht empfehlen. Warum nicht?

Das Hauptproblem ist aus meiner Sicht, dass Lutzer nach der klaren Diagnose einen Weg empfiehlt, den ich als gesetzlich empfinde. Beispielsweise auf den Seiten 138, 149, 181 empfiehlt Lutzer, sich zu verpflichten, dies und jenes zu tun und nicht zu tun. Aber genau das ist nicht der Weg der Schrift, wahre Befreiung zu erleben. Auf diese Weise werde ich für eine gewisse Zeit (wie durch das Gesetz vom Sinai) bestimmte Auswüchse des Fleisches unterdrücken können. Aber dann kommen sie mit umso größerer Macht wieder. Gott hat uns Menschen erwiesen, dass das Gesetz kein Mittel ist zur Erlösung und Befreiung. Leider aber wird genau dieses Mittel immer wieder in diesem und auch in manchen anderen Büchern empfohlen. Gerade Schreiber, die einer reformierten Glaubensrichtung zuzuordnen sind, erliegen diesem Fehler.

Wer den biblischen Weg der Befreiung erkennt, weiß, dass es keine „Zähmung des Willens" geben kann. Der Wille bleibt bis an unser Lebensende auf der Erde bestehen, voller Kraft und Aktivität. Gottes Weg beschreibt Paulus in Römer 6, sich für das zu halten, was wir sind: tot, gestorben mit Christus am Kreuz. Daher widerstehen wir der Sünde auch nicht, wie Lutzer vorschlägt (S. 23.82.83), sondern wir fliehen sie. Wir widerstehen dem Teufel, aber wir fliehen die Hurerei usw. Wir sehen uns im Blick auf die Sünde für das an, was wir sind, nämlich tot. Das ist kein Schauspiel, sondern Glaubensrealität, wenn ich das verwirkliche, was Gott uns durch seinen Apostel sagt.

Das Problem: Versuchungen von innen - Prüfungen von außen

Es ist auch erstaunlich, dass Lutzer Prüfungen vonseiten Gottes nicht von Versuchungen von innen durch unserer fleischlichen Begierden unterscheidet (S. 15.66.144 f.). Gott versucht uns gerade nicht durch unsere Begierden. Jakobus macht das in seinem ersten Kapitel sehr deutlich.

Das Problem: falsche Aussagen über Christus

Ich möchte nicht so weit gehen, von Lästerung zu sprechen. Und doch gibt es einige Aussagen in dem Buch, bei denen man sich auch fragt, wie der herausgebende Verlag so etwas nicht korrigiert hat. Der Herr Jesus musste nicht persönliche Bestrebungen beiseite stellen, um sich dem Willen des Vaters zu unterwerfen (S. 135). Er und der Vater sind eins!

Der Herr Jesus erbat auch nicht den Beistand seiner Jünger (S. 118). Er suchte von ihnen keine Ermutigung (S. 148.149). In Gethsemane sollten sie nicht für Ihn beten! Er war auch keineswegs „tief verstört durch eine qualvolle seelische Last" (S. 117)! Der Herr schreckte auch keineswegs vor der Folter zurück, die vor ihm lag (S. 113).

Das alles sind unehrerbietige Aussagen über die wichtigste Person in unserem Leben: den Herrn Jesus. Allein schon deswegen kann man nur abraten, dieses Buch zu lesen.

Sonstiges

Darüber hinaus gibt es noch andere seltsame Äußerungen. Auf den Seiten 113.114 kommt man zu dem falschen Schluss, dass Depressionen und Sünden zusammenhängen. Natürlich kann das sein. Hier gibt es nichts schön zu reden. Aber einen solchen Schluss ohne entsprechenden Hinweis, dass es oft ganz anders ist, stehen zu lassen, halt ich für irreführend.

Auch die heute moderne Selbstvergebung, von der wir in Gottes Wort nichts lesen, wird von Lutzer mehrfach vorgestellt (S. 51.56.58). Wir müssen uns nicht selbst vergeben. Gott bekennen wir unsere Sünden. Dann vergibt Er uns. Wenn notwendig bekennen wir unsere Schuld auch Menschen, gegen die wir gesündigt haben. Dann vergeben sie uns.

In diesem Zusammenhang wird auch die Sündenvergebung für die Ewigkeit mit der administrativen Vergebung vermischt (S. 52).

Und: Ist wirklich der Teufel schuld am Sündenfall (S. 16)? Auch wird in Römer 7 durchaus nicht der Kampf von Paulus gegen seine Sünde beschreiben (S. 17). Usw.

So bleibt am Ende leider keine Empfehlung für dieses Buch stehen. Obwohl es eine Anzahl hilfreicher Punkte und auch Warnungen in diesem Buch gibt, ist die Grundrichtung und -empfehlung so irreführend, dass man sich besser mit einem Buch über Römer 5-8 beschäftigt, als dieses Buch zur Hand zu nehmen. Das wäre sicherlich zielführender.

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