Fragen des Herrn an seine Jünger

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Sauerteig der Pharisäer und des Herodes

Die Pharisäer waren typische Vertreter einer heuchlerischen Frömmigkeit, einer Scheinreligiosität, die sich formell dem Gesetz Gottes unterwarf, aber durch die Beobachtung menschlicher Überlieferungen das Gebot Gottes aufhob (Kap. 7). Herodes hatte Johannes, den Vorläufer und treuen Zeugen Christi, ermordet und dadurch seinem Dienst ein Ende gesetzt (Kap. 6). Er ist somit ein Vorbild der weltlichen Regierungen, die sich der Ausbreitung der Wahrheit widersetzen, wenn diese sie an der Erreichung ihrer politischen Ziele hindert.

Zu ihrer ferneren Führung warnte der Herr seine Nachfolger vor diesen Quellen der Verunreinigung und des Verderbnisses. Sie sollten darüber wachen, dass nicht fleischliche Frömmigkeit und leeres Formentum sowie Furcht und ungebührliche Unterwürfigkeit gegenüber den weltlichen Mächten sich im Reiche Gottes breit machen durften...

Die Jünger konnten die Bedeutung dieser warnenden Worte unseres Herrn nicht fassen. „Sauerteig" wäre das Schlüsselwort zum Verständnis seines Ausspruchs gewesen, aber sie gaben ihm eine physische statt eine geistliche Bedeutung und vergaßen, dass das Reich ihres Meisters nicht von dieser Welt war. „Sie überlegten miteinander und sprachen: weil wir keine Brote haben." Sie dachten nur daran, dass sie vergessen hatten, den Proviantkorb aufzufüllen.

Der Herr korrigierte seine Jünger, indem Er ihnen eine Reihe von Fragen stellte, die sie für sich selbst beantworten sollten. Diese gaben ihnen Gelegenheit zur Selbstbeurteilung und zum Selbstgericht. Lasst uns die verschiedenen Fragen kurz betrachten:

1. Mangelndes Vertrauen zum Meister

Seine erste Frage lautete: „Was überlegt ihr, weil ihr keine Brote habt?" Da sie Ihn nicht verstanden, hatten sie einer beim anderen eine Erklärung für seine Worte gesucht, obwohl die Quelle aller Weisheit in ihrer Mitte war. Es mangelte ihnen an Vertrauen in die Liebe und die Teilnahme Christi für sie. Hätten sie sich sonst nicht sogleich an Ihn gewandt mit dem Bekenntnis ihres mangelnden Verständnisses und dem Wunsche, belehrt zu werden?

Der göttliche Lehrer war unter ihnen und schon jetzt hätten sie von der späteren Verheißung Gebrauch machen können: „Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden" (Jakobus 1,5). Aber die Jünger baten um nichts und empfingen daher auch nichts. Im Gegenteil, der Herr war es, der sie fragen musste: „Was überleget ihr?" Er, der den beiden Jüngern auf dem Wege nach Emmaus die Schriften erklärte (Luk. 24,27), konnte Er nicht auch ihnen für die Dinge des Reiches Verständnis geben?

Auch wir stoßen beim Lesen des Wortes auf so manche Aussprüche, die wir nicht verstehen. Bitten wir den Herrn um Verständnis? Haben wir Vertrauen zu Ihm oder genügt es uns, mit anderen darüber zu diskutieren und doch nicht zu verstehen?

2. Mangelndes Begriffsvermögen

Der Herr fragte: „Begreifet ihr noch nicht?" Begreifen heißt, mit Fleiß Acht geben auf das, was vor sich geht, so dass sich das Ereignis tief in den Geist einprägt. Das Wort im Grundtext bedeutet: „mit Verständnis abwägen, um zu verstehen". Leichtfertigkeit und Gleichgültigkeit hindern und hemmen das Begreifen. ... Richtiges Verstehen der Belehrung des Herrn ist das Ergebnis einer sorgfältigen Untersuchung, an der das Herz beteiligt ist.

Hatten die Jünger dem Dienst des Meisters die nötige Aufmerksamkeit geschenkt? Wenn ja, weshalb hatte denn sein Dienst, den sie nun schon etwa zwei Jahre vor Augen gehabt hatten, so wenig Eindruck gemacht auf ihre Seele?

Ihre Erziehung und Schulung, deren sie bedurften, um fähige Diener zu werden, die darin bestand, dass sie jetzt Erfahrungen sammelten vom Wirken und Lehren des Herrn, wurde durch ihren Mangel an Interesse gehindert. Geistlicher Fortschritt wird nicht durch bloß äußerlichen Kontakt mit den Wirkungen göttlicher Macht und Gnade erlangt. Das Tun des Herrn muss wohl erwogen und betrachtet werden. „Bedenke, was ich sage", schrieb Paulus an Timotheus, „denn der Herr wird dir Verständnis geben in allen Dingen" (2. Tim. 2,7). Dies wird auch im kommenden Reich der Fall sein: „Es werden sich fürchten alle Menschen, und das Tun Gottes verkünden und sein Werk erwägen" (Ps. 64,9).

3. Mangelndes Verständnis

„Versteht ihr nicht?" Auf geistliches Begreifen folgt geistliches Verständnis. Die Jünger fehlten zuerst darin, dass sie unterließen, genaue Eindrücke von den vielen Taten der Macht, Weisheit und Gnade unseres Herrn aufzunehmen und zu bewahren. Sodann fehlten sie auch darin, dass sie nicht über die Bedeutung der Fülle seiner oft wiederholten Werke und ihrer übermenschlichen Natur nachsannen. Sie hatten Wunder der Heilung, der Ausübung der Macht Christi über die Naturgewalten, über die Geisterwelt, ja selbst über den Tod gesehen. Sie hatten die Auslegung der Wahrheit vom Reiche gehört, wodurch sie in das hätten eingeführt werden können, was viel herrlicher und besser war als das Gesetz. Aber die Jünger waren dabei nicht weise geworden.

Wir verstehen mit dem Herzen (Matth. 13,15). Maria bewahrte alle die tiefen Aussprüche über Christum in ihrem Herzen, und im Verborgenen erwog sie sie, um sie zu verstehen (Luk. 2,19.51).

4. Mangelndes Empfindungsvermögen des Herzens

„Habt ihr euer Herz noch verhärtet?" Diese Frage betrifft die richtige Herzenseinstellung dessen, der die göttliche Wahrheit kennen lernen will. Die Pharisäer wurden der Verstockung oder Verhärtung ihres Herzens angeklagt (Markus 3,5), hier aber auch die Jünger. Und in ihrem Fall wird dieser Ausdruck mit mangelndem Begriffsvermögen gegenüber der geistlichen Wahrheit und gegenüber dem ersten Wunder der Speisung in Zusammenhang gebracht. Schon an einer früheren Stelle lesen wir, dass sie durch die Brote nicht verständig wurden und ihr Herz verhärtet war (Mark. 6,52). Die Jünger waren über die Stillung des Sturmes verwundert, weil sie das Wunder mit den Broten nicht verstanden hatten. Beide Male waren ihre Herzen schwer von Begriff und empfindungslos.

Beachten wir wohl, dass der Mangel an geistlichem Begriffsvermögen das Ergebnis von der Empfindungslosigkeit des Herzens ist. Und aus den folgenden Fragen ersehen wir, dass geistliches Sehen, Hören und Erinnerungsvermögen von der Herzenshärtigkeit beeinflusst werden. Als der Herr den Propheten Hesekiel dazu berief, sein Bote an das Haus Israel zu sein, sagte Er zu ihm: „Alle meine Worte, die ich zu dir reden werde, nimm in dein Herz auf und höre sie mit deinen Ohren" (Hes. 3,10).

5. Mangelnde Betätigung der Augen

„Augen habt ihr und seht nicht." Die Jünger besaßen zweifellos geistlichen Gesichtssinn. Ihre Augen waren fähig zu sehen, was die Welt nicht sehen konnte. Bei den Männern des Glaubens ist es immer so. Der alte Simeon sah in dem kleinen Kind, das er auf seine Arme nahm, was die Priester des Tempels nicht zu sehen vermochten. Er erkannte in dem Kindlein den Christus des Herrn, das Heil Jehovas (Luk. 2,26.30). Wenn die Augen des Glaubens in Übung sind, schauen sie das Unsichtbare und Ewige (2. Kor. 4,18). Mit diesen Augen sind nicht unsere geistigen Fähigkeiten gemeint, sondern die Augen unserer Herzen (Eph. 1,18). Sie sind mehr mit den Empfindungen als mit der Denkfähigkeit verbunden, und sind untrennbar von innerer Zuneigung und aufrichtiger Hingabe. Es sind Augen, die in dem Christus der Evangelien die erhabene Person unserer Anbetung und unseres Dienstes sehen.

Die Jünger unterschätzten den Dienst Christi, weil sie Ihn selbst unterschätzten. Ein Nachfolger des Herrn kann in dieselbe Schwachheit fallen, wenn sein Auge nicht einfältig auf den Meister gerichtet ist. Er verliert das Sehvermögen seiner Seele und macht sich der Blindheit Laodizeas schuldig (Offbarung 3,17). Da wir Augen haben, sollen wir in der rechten Richtung sehen und auf Jesum schauen, der gekrönt und verherrlicht worden ist.

6. Mangelnde Aufmerksamkeit der Ohren

„Ohren habt ihr und hört nicht?" Für den Dienst eines Apostels war es eine wesentliche Voraussetzung, dass er verkündigen konnte, was er gesehen und gehört hatte. So schrieb Johannes in seinem ersten Brief: „Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben, betreffend das Wort des Lebens... verkündigen wir euch" (1. Joh. 1,1-3). Auch was Paulus gesehen und gehört hatte, sollte diesem gleichen Zweck dienen (Apg. 22,15).

Die Frage des Herrn legte also im Verhalten der Jünger einen ernsten Fehler bloß, sie hatten Ohren, aber hörten nicht. Die ihre Ohren von der Wahrheit abkehren, sind falsche und böse Lehrer (2. Tim. 4,4). Es gibt eine geeignete Haltung, in der man richtig hören kann, aber sie hatten des Herrn Warnung: „Seht zu, wie ihr hört", nicht beachtet. Sie hätten aufmerksam hören sollen. Maria erwählte das gute Teil, indem sie sich zu den Füssen Jesu niedersetzte und Seinem Worte zuhörte. Sie hatte Ohren um zu hören, und sie gebrauchte sie richtig. Ohren zu besitzen genügt nicht, sie müssen auch gebraucht werden. Deshalb die wiederholte Ermahnung an jede der sieben Versammlungen in Asien: „Wer ein Ohr hat, höre..."

Wie später die hebräischen Christen, waren die Jünger im Hören träge geworden, und daher waren die Aussprüche des Herrn für sie „schwer auszulegen".

7. Mangelndes Erinnerungsvermögen

„Erinnert ihr euch nicht?" sagte der Herr und führt dabei die beiden Wunder der Brote an. Die hinter uns liegenden Dinge zu vergessen, die von unserem Zustand vor der Bekehrung reden, ist uns nützlich (Phil. 3,14). Aber die Erinnerung an die große Güte des Herrn sollte uns fortwährend begleiten und uns zu beständigem Lob anspornen (Ps. 145,7). Die Erinnerung an die Wege, die der Herr in der Vergangenheit mit uns ging, dient uns zur Führung in der Gegenwart. Wenn wir der gestrigen Speisungswunder gedenken, haben wir keine Angst vor einer Hungersnot, die heute oder morgen kommen könnte.

Ein lebendiges und genaues Gedächtnis ist ein großer Faktor im geistlichen Leben. So hebt auch Petrus die Bedeutung einer stets gegenwärtigen Erinnerung der göttlichen Dinge hervor und nimmt in seinem zweiten Brief viermal darauf Bezug (1,12.13.15,3,1). Indem er andere so ermahnte, dachte er da auch an seine eigene Erfahrung von damals, als die Erinnerung an die warnenden Worte des Herrn bei ihm Buße hervorrief über die schändliche Verleugnung seines Meisters? (Matth. 26,75, Luk. 22,61)...

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Mit freundlicher Genehmigung des Beröa Verlages
Halte Fest Jahrgang 1971 - Seite: 121

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