Zusammenkünfte zum Thema Versammlung I (Plainfield, 1896)

Lesezeit: 6 Min.

Die Natur, der Charakter und die Bestimmung der Versammlung

In 1. Korinther 12 finden wir die Versammlung (Gemeinde 1) im Charakter des „Leibes Christi". Das „Haus Gottes" in Epheser 2 spricht von der Beziehung zu Gott, der Leib Christi von ihrer Beziehung zu Christus und von dem Verhältnis der Glieder zueinander. Der Ausdruck „Kirche" (church) ist keine Übersetzung des griechischen Wortes „ekklesía", sondern eine Lehnwort, das auf das griechische Wort „kyriaké" zurückgeht. Es bezeichnet das, was Gott, dem Herrn, gehört, wie in Offenbarung 1,10: „Ich war an des Herrn Tag im Geist" (kyriaké), oder in 1. Korinther 11,20: „des Herrn Mahl" (kyriakós). Der Ausdruck „ekklesía" bezeichnet eine herausgerufene Versammlung, wie die „Versammlung in der Wüste" (Apg 7,38), was sich auf die jüdische Nation bezieht. In Apostelgeschichte nimmt das Wort Bezug auf den heidnischen Pöbel: „(Er) entließ (...) die Versammlung". Der Ausdruck „Versammlung" ist vom Geist Gottes übernommen worden, um jene neue Sache auf der Erde zu bezeichnen - ein abgesondertes Volk, das durch den Heiligen Geist mit Christus im Himmel verbunden ist, die Versammlung, „die sein Leib ist" (Eph 1,22.23).

Der Ausdruck selbst ist anschaulich. Er deutet auf eine Absonderung durch den göttlichen Ruf hin - ein „Heraus-versammeln" im Gegensatz zum jüdischen Wort Synagoge, was ein „Zusammen-Versammeln" meint. Daher wird die Nachahmung der wahren Versammlung durch Satan die Synagoge Satans genannt (Off 3,9) - die Rückkehr zum Judentum, nachdem das Licht des Christentums gekommen war. Israel war Gottes Versammlung, die um ihn herum versammelt war, aber es war nicht der Leib Christi.

Die Versammlung im Christentum ist das Haus, in dem Gott wohnt. Es ist nicht ein mit Händen gemachtes Haus wie die Stiftshütte, sondern es setzt sich aus lebendigen Steinen zusammen und wird durch den Heiligen Geist aufgebaut. Die Stiftshütte war ein Vorbild auf dieses Haus. Der Leib Christi hat dagegen kein Vorbild im Alten Testament, das ihm entspricht. Das war nicht nur eine neue Sache in der Schrift, sondern auch ein neuer Gedanke. Wir finden die Versammlung im Vorbild sehr oft im Alten Testament, aber nicht als Leib Christi.

Der Tempel befand sich im Land, die Stiftshütte in der Wüste. Im Hebräerbrief geht es um die Stiftshütte in der Wüste. Dort wird der heilige Ort in den Himmeln gesehen, wo Gott wohnt. In der ganzen Stiftshütte, die als Umzäunung gesehen wird, haben wir den Vorhof, der die Erde in Beziehung zu Gott darstellt, und das Zelt selbst, Gottes Wohnort: die Himmel. Wenn wir es einzeln betrachten, so haben wir die Bretter, welche die Wohnung Gottes bilden - ein Bild der Gläubigen, welche die Versammlung, die „Behausung Gottes im Geist" (Eph 2,22), bilden. In den Teppichen, dem Vorhang etc. haben wir Vorbilder auf Christus selbst. Die Schönheit und Herrlichkeit der Teppiche, die über den hölzernen Brettern drapiert waren, steht für Christus, der sein Volk bedeckt und in dessen Herrlichkeit und Schönheit es steht. Die Teppiche geben dem ganzen Aufbau den Namen - „das Zelt" oder „Stiftshütte".

Der Leib - das Haus - die Braut

Der Gedanke des Leibes meint ein organisches Ganzes und spricht nicht nur von dessen Beziehung zum Haupt, sondern auch von der Beziehung jedes Teiles zum anderen. Was die Verbindung zum Haus angeht, so mögen wir uns daran erinnern, dass „in ihm (...) die Fülle der Gottheit leibhaftig" wohnt (Kol 2,9). Sobald der Apostel in 1. Korinther 12 vom Leib spricht, redet er von der Beziehung der Glieder zueinander. Und in Kapitel 13, das von Erbauung spricht, ist Liebe das beherrschende Prinzip, welche die Ausübung der Gaben steuert. Indem die Gläubigen als Glieder ihre jeweilige Funktion ausfüllen, dienen sie einander und dem ganzen Leib. Der einzelne Gläubige wird als jemand betrachtet, der im Tod war, von Gott aber lebendig gemacht worden ist; nicht so die Versammlung - sie setzt sich aus Gläubigen zusammen. Isaaks Frau musste aus der Verwandtschaft Abrahams sein. Wir gehören nicht durch die Tatsache des Lebens in Christus zum Leib Christi, sondern durch eine zusätzliche Handlung des Heiligen Geistes, der uns mit Christus, unserem Haupt, verbindet durch die Taufe der Gläubigen zu einem Leib - eine neue und eigene Sache. Sie ist nicht getrennt vom Leben, stellt aber etwas Zusätzliches, Eigenständiges dar.

In den Thessalonicherbriefen finden wir nicht die Versammlung im eigentlichen Sinn, sondern im Wesentlichen einzelne Gläubige. Die „Versammlung (...) in Gott, dem Vater" etc. (1. Thes 1,1) stellt uns die Versammlung nicht als den Leib Christi vor, sondern als Glieder der Familie Gottes. Das ist nicht dasselbe wie „in Christus". „In Christus" bedeutet Stellung, „im Herrn" heißt, unter seiner Autorität zu stehen. So geschieht eine Heirat z. B. nicht „in Christus", sondern „im Herrn" (1. Kor 7,39). Dabei geht es nicht nur darum, einen Gläubigen zu heiraten, sondern auch darum, dies in Unterwerfung unter den Herrn zu tun. „Herr" ist immer mit Einzelnen verbunden. In Epheser 5,29 heißt es richtigerweise, „wie auch der Christus die Versammlung". Hier ist der Gedanke, dass die Versammlung genährt und gepflegt wird.

Die Versammlung als der Leib Christi wird auf der Erde immer als vollständig betrachtet. Beim Haus Gottes gibt es dagegen unterschiedliche Blickwinkel. Das Haus ist im Blick auf die ewige Wohnung Gottes hier auf der Erde in gewisser Hinsicht unvollständig, aber sie wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn (Eph 2,20.21). Jede örtliche Versammlung jedoch und die Versammlung als Gesamtheit wird zu jedem Zeitpunkt als ein vollständiger Leib oder Bau betrachtet, in dem Ordnung aufrechterhalten werden muss (Eph 2,22; 1. Kor 3,16.17; 2. Kor 6,16).

Der Epheserbrief stellt die Versammlung unter drei verschiedenen Gesichtspunkten vor. Als der Leib Christi (Kap. 1,22.23) wird sie mit dem verherrlichten Christus verbunden - Gnade und Stellung sind die vorherrschenden Gedanken. In Kapitel 2,22 ist sie das Haus, was an Ordnung und Verantwortung denken lässt. In Kapitel 5,25-27 wird die Braut vorgestellt, die sich auf die zukünftige Herrlichkeit und Vereinigung mit Christus freut. Dieser Gedanke des Leibes Christi verschwindet nicht wie die Zeit, die ein Ende haben wird, denn die Beziehungen, die durch den Leib vorgestellt werden, bestehen fort. Wir werden Christus und einander in Ewigkeit dienen. Und wie wird Er uns erst dienen! Der erwachsene Mann in Epheser 4 ist die Versammlung, wenn sie bei Christus in der Herrlichkeit sein wird. Kapitel 1,22.23 zeigt uns die Versammlung auch schon in diesem Charakter, der in alle Ewigkeit Bestand haben wird - „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt".

Die Stadt

In der Ewigkeit haben wir eine Stadt (Off 21; 22) und diese Stadt ist die Braut, die der Stadt Charakter verleiht. Obwohl der Mensch eine Stadt im Unglauben zu bauen begann (1. Mo 4,7; 11,4), ist die Stadt doch der eigentlich endgültige Gedanke Gottes für ihn, mit all ihren Andeutungen von Einheit, sozialem Umgang, Zusammenarbeit etc ...

Die Wahrheit bezüglich der Versammlung - ihre einzigartige Stellung, ihr himmlischer Charakter, ihre erhabene Würde und ihre ewige Existenz - ist eine der Hauptlehren, die in diesen Tagen im Wort Gottes wiederentdeckt worden sind, nachdem sie nach der Zeit der Apostel verloren gegangen war. Nicht einmal während der Reformation oder danach wurde die Lehre von der Versammlung verstanden. Es ist daher zu erwarten, dass Satan äußerste Anstrengungen unternehmen wird, um diese Wahrheit zunichte zu machen oder zu verdunkeln. Wir müssen daher auf der Hut sein und bereit sein, seinen Listen zu widerstehen und um jeden Preis die Wahrheit in Liebe aufrechtzuerhalten.

„Dem aber, der über alles hinaus zu tun vermag, über die Maßen mehr, als was wir erbitten oder erdenken, nach der Kraft, die in uns wirkt, ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christo Jesu, auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter hin! Amen" (Eph 3,20.21).

Übersetzung: Stefan Hopp

 

Fußnoten

  • 1 Anmerkung der Übersetzer: Im englischen Original steht im Allgemeinen „church“ oder „assembly“ für das griechische Wort „ekklesia“. Darunter wird in diesem Sinn die Gesamtheit aller Christen an einem Ort, weltweit oder in ihrer Vollendung (alle Christen aller Zeiten) verstanden. Eine passende Übersetzung im Deutschen ist Versammlung, weil dadurch der Wortumfang von „ekklesia“ am besten wiedergegeben werden kann. Es geht um solche Menschen, die aus ihrer alten Umgebung herausgerufen wurden, um eine ganz neue Einheit, eben die Versammlung, zu bilden. Oft wird dieser Begriff auch mit Gemeinde oder Kirche heutzutage übersetzt. Wir benutzen Versammlung nicht als eine Bezeichnung für eine bestimmte Gruppe von Christen, sondern in diesem, allgemeinen Sinn, wie das Neue Testament ihn verwendet.
Beitrag teilen

Verwandte Artikel

Zusammenkünfte zum Thema Versammlung II (Plainfield, 1896) Im Jahr 1896 wurde in Plainfield (USA) eine Konferenz zum Thema Versammlung ausgerichtet. Die Inhalte dieser Konferenz wurden schriftlich zusammengefasst und veröffentlicht. Angesichts mancher aktuellen Fragestellungen sind wir dankbar, hiervor ... Artikel lesen
Zusammenkünfte zum Thema Versammlung III (Plainfield, 1896) Im Jahr 1896 wurde in Plainfield (USA) eine Konferenz zum Thema Versammlung ausgerichtet. Die Inhalte dieser Konferenz wurden schriftlich zusammengefasst und veröffentlicht. Angesichts mancher aktuellen Fragestellungen sind wir dankbar, hiervor ... Artikel lesen
Zusammenkünfte zum Thema Versammlung IV (Plainfield, 1896) Im Jahr 1896 wurde in Plainfield (USA) eine Konferenz zum Thema Versammlung ausgerichtet. Die Inhalte dieser Konferenz wurden schriftlich zusammengefasst und veröffentlicht. Angesichts mancher aktuellen Fragestellungen sind wir dankbar, hiervor ... Artikel lesen
Zusammenkünfte zum Thema Versammlung V (Plainfield, 1896) Im Jahr 1896 wurde in Plainfield (USA) eine Konferenz zum Thema Versammlung ausgerichtet. Die Inhalte dieser Konferenz wurden schriftlich zusammengefasst und veröffentlicht. Angesichts mancher aktuellen Fragestellungen sind wir dankbar, hiervor ... Artikel lesen
Viele Länder schränkten 2020 Gottesdienste ein - soll man sich mit diesem Thema überhaupt noch beschäftigen? Manuel Seibel Wer will sich schon mit den Konflikten beschäftigen, die sich auch unter Christen durch die Maßnahmen entwickelten, die 2020 von Regierungen erlassen wurden. Aber wäre es nicht fahrlässig, einfach alles unter den Teppich zu kehren? Sollte man ... Podcast anhören
Die Versammlung Gottes (54) - Gibt es die biblische Gemeinde heute noch? Manuel Seibel Wir leben in einer Zeit des Niedergangs und der Zersplitterung der Gläubigen auf der Erde. Kann man da noch die Versammlung (Gemeinde) Gottes kennen und erkennen? Gibt es sie überhaupt noch? Kann man entsprechend noch zusammenkommen? Das sind ... Podcast anhören