Mt Matthäusevangelium (32)

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Die Prophetie Michas

Die Kenntnis der religiösen Führer wird durch ihren Verweis auf Micha 5 deutlich. Dabei fällt auf, dass dieser Prophet sehr frei angeführt wird. Eigentlich heißt es dort: „Und du, Bethlehem-Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein, aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her ... Und er wird dastehen und seine Herde weiden in der Kraft des HERRN, in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Enden der Erde. Und dieser wird Friede sein“ (Mich 5,1.3.4).

Diese Verse werden auch nicht – wie sonst oft üblich – aus der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des hebräischen Alten Testaments, zitiert, sondern einfach sehr frei wiedergegeben. Ob damit die liberale Haltung der religiösen Elite gegenüber den wirklichen Gedanken Gottes angedeutet werden soll? Auch wenn die Pharisäer in vielen Punkten erzkonservativ insbesondere in Bezug auf die eigenen Überlieferungen waren, so war ihnen der eigentliche Gedanke Gottes oft nicht wichtig, ja regelrecht fremd.

Augenscheinlich gibt es auch noch einen Bezug zu 2. Samuel 5,2 (vgl. auch 1. Chron. 11,2), wo wir davon lesen, wie das Volk zu David spricht: „Schon früher, als Saul König über uns war, bist du es gewesen, der Israel aus- und einführte; und der HERR hat zu dir gesagt: Du sollst mein Volk Israel weiden, und du sollst Fürst sein über Israel.“

Den religiösen Führern war also durchaus bewusst, dass der Christus ganz in der Linie Davids, des großen Königs stand. Sie sahen in Ihm den einen, wahren Führer, der sein Volk in guter Weise regieren würde. Aber zu tun haben wollten sie mit Ihm nicht.

Der Hoffnungsruf in Micha 5

Micha 5,1 stellt eine Einschaltung im Kontext des Textes im Propheten Micha dar. In Micha 4,9–5,8 spricht der Prophet über die beiden großen Feinde Israels, die in der Hand Gottes als Instrumente des Gerichts eingesetzt werden:

a) Babel (4,9–13)
b) Assyrien (4,14–5,8)

Mitten im zweiten Teil, in dem von einer Belagerung und dem Schlagen des Richters Israels die Rede ist, erschallt der Hoffnungsruf, dass in Israel doch ein Herrscher kommen wird, der „von den Tagen der Ewigkeit her“ ist – also längst vor Babel und Assyrien existierte und sie überdauern wird.

Zunächst spricht Gott, der HERR, und ruft den Assyrer auf zum Gericht („Nun dränge dich zusammen, Tochter des Gedränges“, 4,14). Dann spricht der gläubig gewordene Teil des in der Zukunft in Israel wohnenden Volkes: „Man hat eine Belagerung gegen uns gerichtet.“ Schließlich spricht der Prophet über die Sünden des Volkes, die den Heiland der Welt ans Kreuz gebracht hatten: „Mit dem Stab schlagen sie den Richter Israels auf die Wange.“ Wir denken zum Beispiel an folgende Stellen: „Dann spien sie ihm ins Angesicht und schlugen ihn mit Fäusten; einige aber schlugen ihm ins Angesicht ... Und sie spien ihn an, nahmen den Rohrstab und schlugen ihm auf das Haupt“ (Mt 26,67; 27,30).

Es ist bemerkenswert, dass Micha genau in diesem Zusammenhang von einer ganz anderen Seite dieses Richters spricht, des Propheten für das Volk, der verworfen wurde: Er wird herrschen. Aber geboren wird Er in einer Stadt, die eher gering geachtet wird.

Benjamins Geburt und der Tod Rahels

Es scheint so, dass der Geist Gottes unsere Gedanken in Micha 5 auf die Geburt von Benjamin lenken will, die ja zu dem Tod von Rahel führte (1. Mo 35,16–19). Aus 1. Mose 48,7 wissen wir, dass es tatsächlich Bethlehem war, wo dies geschah. So können wir das freie Zitat in Matthäus 2 verstehen, das nicht von Ephrata, sondern von Bethlehem und dem Land Juda spricht. Benjamin ist der „Sohn der Rechten“, das heißt des Glücks. An anderer Stelle wird er der „Liebling des HERRN“ genannt (5. Mo 33,12).

Doch ist Bethlehem „zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein“. Bethlehem gehörte zum Gebiet Judas, war aber im Vergleich zu Jerusalem und anderen Städten nur eine Kleinstadt. Aber es gefiel Gott, gerade diesen kleinen Ort als Geburtsort für seinen Sohn zu erwählen. Auf diese Weise sorgte Gott vor, dass es für den Menschen und auch für sein ganzes Volk keinen Anlass gab, auf diesen nach menschlichem Ermessen unbedeutenden kleinen Ort stolz zu sein. Aber dennoch war es die Stadt Davids (Lk 2,4). So musste auch der wahre David dort geboren werden.

Es gibt noch einen zweiten Grund, warum es gerade Bethlehem-Ephrata war, wo der Messias geboren werden sollte. Denn gerade dort starb Rahel, die Frau der besonderen Liebe Jakobs. So bedeutet dieser Ort symbolisch, dass jede Lebenshoffnung für Israel verloren ist – aber in dem Messias, in Jesus, plötzlich wieder entstanden ist. Aber eben nur in Ihm! Er ist dieser Spross, von dem wir in der Einleitung schon ausführlich gesprochen haben, der den Segen Gottes und zugleich Frucht für Gott hervorbringt.

Der Unterschied zwischen Micha 5 und Matthäus 2

Letztlich genau darauf wiesen die Hohenpriester und Schriftgelehrten hin, die nicht die Absicht hatten, diesem König Gehorsam zu leisten. Aber sie stellten hier dem von ihnen später auch öffentlich verworfenen Messias ein wunderbares Zeugnis aus. Während es in Micha von Bethlehem heißt, dass dieser Ort zu klein sei, um unter den Tausenden von Juda zu sein“, heißt es in Matthäus 2,6: Du bist keineswegs die Geringste unter den Fürsten Judas. Denn der in Bethlehem geboren werden sollte und jetzt geboren war, würde mit seinem Glanz diesen Ort erstrahlen lassen. Seine Herrlichkeit ist so gewaltig, dass sogar sein Geburtsort davon erleuchtet wurde. Außer Micha 5,1 wird in Matthäus 2 auch noch der dritte Vers und ein Zitat aus 2. Samuel 5,2 verarbeitet, das dort die fast intime Beziehung zwischen dem HERRN und David zeigt. So sprechen diese ungläubigen Führer des Volkes unwissend von dieser innigen Beziehung zwischen Gott und dem gerade geborenen König.

Wir fragen uns: Warum hat man sich nur nicht von Ihm weiden lassen und seine echte und bleibende Nahrung angenommen? Erst in Zukunft werden die sogenannten Übriggebliebenen (Überrest) dieses Versäumnis erkennen, wenn sie durch extreme Drangsale dazu geführt werden, ihren Messias als den zu erkennen, der als Jesus von Nazareth hier auf der Erde gelebt hat und den sie ans Kreuz gebracht haben (Jes 53). Dann erst wird das Volk erkennen, dass in Ihm wahre Kraft und Hoheit ist und Er wahren Frieden bringt.

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