Der Prophet Joel (6)

Lesezeit: 5 Min.

Joel 2 – Angriff der Heere aus dem Norden

I:        Die Invasion des Assyrers

II:       Bußaufruf an das Volk

III:      Gottes Antwort auf den Überrest

I: Die Invasion des Assyrers (V. 1-11)

Überblick: Die prophetische Einordnung der Invasion

In den Versen 1-11 wird das Gericht über Juda und Jerusalem angekündigt, bei dem das Land durch eine gewaltige Invasion einer riesigen Heeresmacht verwüstet wird. Der Einfall wird nach der Entrückung der Gläubigen stattfinden – in der zweiten Hälfte der siebenjährigen Drangsalszeit (vgl. Jer 30,7; Mt 24,21). Dieses Gericht kommt nicht zufällig, sondern ist ein direktes Handeln Gottes selbst (vgl. Joel 2,11).

Der Angreifer wird der Assyrer1 sein, die Rute des Zornes Gottes (Jes 10,5.6.12.22.23).2 Dieser wird künftig – vor der Aufrichtung des Tausendjährigen Reiches – eine bedeutende Rolle im Nahen Osten spielen. Vom Norden her wird er kurz vor der öffentlichen Erscheinung des Herrn Jesus das Land wie ein Strom überfluten (Jes 8,7.8; 10,22; 28,17; Dan 9,27). Nachdem er eingefallen ist, wird das „Land der Zierde“ gleichsam dem Erdboden gleichgemacht sein.3

Durch den Angriff Assyriens wird Israel große Drangsal widerfahren – schlimmer als je zuvor (vgl. Mt 24,21). In dieser schweren Lage wird der gläubige Überrest um Rettung bitten. In seiner großen Barmherzigkeit wird Gott das Gebet erhören und eingreifen. Christus selbst wird erscheinen und dem König des Nordens eine vernichtende Niederlage zufügen (Dan 11,45). So wird Er das geläuterte Volk – den Überrest – aus seiner Drangsal befreien und ihr ein Ende setzen.4

Eine Botschaft mit moralischer Wirkung

Die prophetische Vorhersage vom Angriff des Assyrers in den Versen 1-11 schlüsselt das prophetische Gesamtbild der Bibel weiter auf, um es besser zu verstehen. Allerdings soll die Schilderung vor allem das Volk zum Nachdenken bringen und sein Gewissen wachrütteln.

Dieses „Moralprinzip“ finden wir häufig in der Heiligen Schrift: Gott nimmt ein zukünftiges Ereignis, durch das Er eine moralische Wirkung im Gewissen seines damaligen Volkes erreichen will, um es aufzuwecken. Dessen Leben soll wieder in Einklang mit dem Gesetz, dem Wort Gottes gebracht werden, um ein sichtbares Zeugnis auf der Erde für Ihn zu sein.

Der Tag des Herrn ist nahe (V. 1.2)

Das Kapitel beginnt nun mit einer Aufforderung an die Priester. Joel gibt Befehl, auf Zion in die Posaune zu stoßen und auf dem heiligen Berg Lärm zu blasen (Joel 2,1). Aus Vers 15 geht hervor, dass eine zweite Aufforderung folgt, in der die Priester ein weiteres Mal den Befehl erhalten, in die Posaune zu stoßen.

Es ist wichtig, den Unterschied beider Posaunensignale zu erkennen. Beim ersten „Signal“ handelte es sich um ein „Alarmsignal“, das geblasen wurde, wenn der Feind dabei war, Jerusalem zu bedrohen (Joel 2,1). Das zweite „Signal“ war ein „Sammelsignal“, das dem Volk Anweisung gab, sich in die Gegenwart des Herrn zu versammeln (Joel 2,15). Das Stoßen der Posaune geht auf die Belehrungen in 4. Mose 10 zurück. Dort werden die „zwei Trompeten aus Silber“ und ihre doppelte Bedeutung in ihren Einzelheiten genau erklärt.

Das „Alarmsignal“

Wenn Joel in Vers 1 die Priester aufforderte, die Posaune zu blasen, dann handelt es sich hier um das „Alarmsignal“: Der Tag des Herrn stehe kurz bevor (Joel 2,1). Weil dieser mit Gericht beginnen wird, worunter auch der Angriff und Einfall des Assyrers in Juda und Jerusalem zu zählen ist, verwendet Joel Begriffe, die diesen ernsten und furchteinflößenden Charakter deutlich machten (vgl. Zeph 1,15–16; Jes 60,2):

  • Tag der Finsternis
  • Tag der Dunkelheit
  • Tag des Gewölks
  • Tag der Wolkennacht

Die Warnung vor dem Gericht wird das Volk in Juda und Jerusalem in der Zukunft allerdings unberührt lassen. Es wird auf seinen Bund mit dem Römischen Reich und dem Antichristen bauen, sich seiner militärischen Stärke rühmen (vgl. Jes 28,15) und behaupten: „Wenn die überflutende Geißel hindurchfährt, wird sie an uns nicht kommen“ (Jes 28,15). Das Gegenteil wird jedoch der Fall sein. Der Assyrer wird kommen und die Stadt des großen Königs (Jerusalem) überwältigen (Jes 28,14-21; 33,18). Davon zeugen die nachfolgenden Verse.

Der Assyrer (V. 2-11)

Nachdem durch den Schall der Posaune der „Tag des Herrn“ angekündigt wurde, kommt der Prophet in Vers 2 auf den zukünftigen Assyrer zu sprechen, durch den Gott Gericht über Juda und Jerusalem üben wird. Drei übergeordnete Kennzeichen fallen ins Auge, die den Angreifer näher beschreiben:

  • seine Dimension: „wie die Morgendämmerung, ausgebreitet über die Berge“;
  • seine Schlagkraft: „groß und mächtig“;
  • seine Einzigartigkeit: „Seinesgleichen ist von Ewigkeit nicht gewesen und wird nach ihm nicht mehr sein bis in die Jahre der Geschlechter und Geschlechter“.

In den Versen 3-11 folgt eine detaillierte Beschreibung. Darin werden viele Einzelheiten genannt, die den Assyrer spezifisch kennzeichnen. Auch das Ausmaß seines kriegerischen Handelns bleibt dabei nicht unberührt:

  1. Seine Macht – wie „Feuer“ (V. 3)

Bild seiner unaufhaltsamen und vernichtenden Kraft, die alles verzehrt, was sich ihr entgegenstellt.

  1. Sein zerstörerisches Werk – Verwüstung (V. 3)

Das Land, das vor dem Angriff noch fruchtbar und schön wie der Garten Eden war, verwandelt sich durch den Einmarsch in eine trostlose Wüste.

  1. Sein Aussehen – gleich rennenden „Reitpferden“ (V. 4)

Symbol, das auf Geschwindigkeit, Disziplin, Stärke, Bewegung, furchtloses Vorrücken und Effizienz hinweist und den Schrecken sowie die militärische Überwältigungskraft der kommenden Invasion verdeutlicht.

  1. Sein Getöse – wie „Wagengerassel“ (V. 5)

Je näher der Schwarm mit seinen „Kriegswagen“ kommt, desto aufdringlicher wird das Geräusch und gleicht immer mehr dem Prasseln „der Feuerflamme, die Stoppeln verzehrt“. In gleicher Weise ist das Grollen des Gerichts aus der Ferne als Warnung zu hören.

  1. Sein Auftreten – voll von Schrecken (V. 6)

Die Größe des Heeres lässt ganze Völker zittern – Angesichter erblassen. Es handelt sich nicht mehr nur um Juda und Jerusalem, die vor dem Feind erschrecken, sondern alle Völker werden von der Furcht vor dem machtvollen Assyrer ergriffen sein.

  1. Seine Marsch- und Angriffsstrategie – wie ein „Dieb“ (V. 7-9)

Dieser rennt auf die Mauer, steigt in die Häuser und dringt durch die Fenster, um Beute zu machen. Der Einfall des Assyrers in Jerusalem wird mit der Strategie eines Diebes vergleichbar sein. Außerdem wird der Angriff plötzlich und unerwartet stattfinden. Auch das kennzeichnet die Taktik eines Diebes.

  1. Sein Einfluss - universal (V. 10)

Mit der Erwähnung von Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sternen wird die weitläufigste Umgebung angedeutet, die von der Macht des zukünftigen Assyrers beeinfluss werden wird. Diese ist so gewaltig, dass die Himmelskörper im Angesicht des Gerichts aufhören, ihre typische Funktion zu erfüllen – „die Sterne verhalten ihren Glanz“ (Joel 2,10).

  1. Sein Auftraggeber - Gott (V. 11)

Der Schlüssel seines Triumphzuges ist der Herr selbst. Dieser wird an der „Spitze“ der feindlichen Heeresmacht stehen, die Gott „sein“ Heer nennt, um Juda zu überwältigen.

Mit dem Einfall des Assyrers wird klar: Der Tag des Herrn steht nicht mehr bevor, wie zu Beginn des Kapitels (V. 1), sondern hat bereits begonnen: Er ist da! Angesichts der enormen Verwüstung, die die Heeresmacht des Herrn hinterlässt, stellt sich die Frage, was in dieser Situation zu tun ist. Darauf kommt der Prophet in einem neuen Abschnitt zu sprechen, der mit Vers 12 beginnt. Es ist der Bußaufruf an Juda und Jerusalem, an die schwer geprüften Bewohner des Landes, die nicht als Märtyrer gestorben sind, sondern den furchteinflößenden Angriff überlebt haben.

Fußnoten

  • 1 Dieser wird in der Bibel auch „König des Nordens“ genannt.
  • 2 Höchstwahrscheinlich wird das ein Verbund sein der Länder Syrien, Irak, Jordanien, Libanon, Iran und Teile der Türkei.
  • 3 Die Oberherrschaft des Assyrers liegt in der Hand Gogs, der Großmacht Russland (Hes 38.39; vgl. Dan 11,5-19.40-45). Beide werden die großen Gegenspieler des zukünftig wiedererstehenden römischen Reiches sein, dessen Herrscher sich mit dem Antichristen verbünden wird, um an der Seite Israels zu stehen.
  • 4 Über den geschichtlichen Hintergrund der Invasion nennt der Prophet keine Einzelheiten. H. Rossier bemerkt: „Geschichtlich lenkt der Prophet Jesaja unsere Blicke immer von Sanherib, dem historischen Assyrer, zum Assyrer des Endes und geht vom Charakter und Schicksal des einen aus, um Charakter und Schicksal des anderen vorzuzeichnen. Joel aber übergeht den Ersteren stillschweigend. Für ihn ist der assyrische Einbruch in Juda und Jerusalem ein Charakterzug des Tages des Herrn, des großen und furchtbaren. Die Ereignisse in Kapitel 1 erinnern an diesen Tag, sind aber hiervon nur ein schwaches Abbild.“ (Le Livre du prophète Joël)
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