Der Prophet Joel (4)

Lesezeit: 6 Min.

III: Der Tag des HERRN (V. 15-18)

Nachdem der Prophet in den Versen 2-14 fünf Appelle an das Volk in Juda und Jerusalem gerichtet hat, spricht er in Vers 15 zum ersten Mal vom „Tag des HERRN“ (hebr. Yom Jahwe).1 Im Alten wie im Neuen Testament nimmt dieser Tag einen breiten Raum ein. Allein im Buch Joel wird er fünfmal erwähnt (Joel 1,15; 2,1.11; 3,4; 4,14). In der Geschichte wird er eine neue Weltordnung bedeuten. Denn an diesem „Tag“ wird Christus die Herrschaft über das Universum ergreifen, um als König zu regieren (Ps 2; Ps 8; Eph 1).

Der Beginn: Gericht

Eingeleitet wird der Tag des HERRN durch furchtbare Gerichte (Jes 13,9; Zeph 2,2.3; Hes 13,5). Diese wird Christus zum Teil persönlich (Off 19,15) und zum Teil durch seine Knechte (Mt 13,41), seien es Engel oder Menschen, über die Völker bringen. Denn bevor der Herr Jesus an seinem Tag die öffentliche Herrschaft antreten wird, muss zuvor jeder Wiederstand gebrochen und im Gericht beseitigt werden. Deshalb wird der Tag des HERRN anfänglich ein Tag des Grimmes, ein Tag der Drangsal und der Bedrängnis sein (Zeph 1,15.16; vgl. Amos 5,18; Mal 4,1).

Um zu zeigen, was der Tag des Herrn für die Ungläubigen bedeutet, benutzt der Apostel Paulus im Neuen Testament zwei Bilder:

  1. Die Gottlosen werden den Tag des Herrn erleben wie ein „Dieb in der Nacht“ (1. Thes 5,2.3).2 Ein Dieb kommt überraschend und unerwünscht. In diesem Charakter kommt der Tag des Herrn für die ungläubige Welt.3
  2. Den Gottlosen wird es wie einer Schwangeren ergehen, über die plötzlich Geburtswehen kommen, was einen unaufhaltsamen und schmerzhaften Prozess einleitet, aus dem es kein Entkommen mehr gibt.

Der Tag des HERRN ist die Antwort Gottes auf allen Stolz und Hochmut des Menschen (Jes 2,12). Wir leben heute in einer Zeit, die man als „Tag des Menschen“ bezeichnen könnte. Es ist eine Zeit, in der der Mensch regiert und in der die Autorität des Herrn mit Füßen getreten wird. Am Tag des HERRN jedoch wird alles in Übereinstimmung mit Gott gebracht und unter die Füße des Herrn Jesus gestellt werden (Ps 8,6).          

Der Höhepunkt: Tausendjähriges Reich

Die einleitenden Gerichte werden für die Welt schrecklich und ohne Vergleich in der Geschichte sein. Danach, wenn die Erde gereinigt ist, wird Christus im Tausendjährigen Reich seinen Thron aufrichten. Deshalb ist dieser Tag auch ein „Tag“ des Segens für die ganze Erde, weil der Herr Jesus selbst auf die Erde kommen und das Zepter der Regierung in seinen Händen halten wird (Ps 8,1). Triumphierend wird Er den Platz einnehmen, der Ihm – und Ihm allein – zusteht, hier auf der Erde, wo sein Kreuz stand. Als Herr der Herren und König der Könige wird Er über die Welt regieren und sein Recht als Herrscher und Richter ergreifen (1. Tim 6,15).

Der Abschluss: Gericht

Abgeschlossen wird der Tag des HERRN am Ende des Tausendjährigen Reiches wieder mit Gericht. An „jenem Tag“ werden alle Ungläubigen vor dem großen weißen Thron erscheinen, um ihr ewiges, gerechtes Verdammungsurteil zu empfangen (Mt 7,22; Röm 2,5). Außerdem werden mit gewaltigem Geräusch die Himmel vergehen, die Elemente aber im Brand aufgelöst und die Erde und die Werke auf ihr verbrannt werden (2. Pet 3,10). Schließlich wird der Tag des HERRN in den Tag Gottes übergehen. Das ist der ewige Zustand (2. Pet 3,12.13).

Fazit

Beim Tag des HERRN handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Tag von 24 Stunden, sondern um eine ganze Epoche, die mit Gerichten eingeleitet (Off 19,11ff.), ins Tausendjährige Reich übergehen und am Ende mit Gericht schließen wird.4 Es ist die Zeit, in der Christus sein Recht geltend machen und nach Gottes Ratschluss sich alles unterwerfen wird. Diesem Tag wird der totale Abfall der Christenheit und der Auftritt des Antichristen vorausgehen (2. Thes 2,2ff.).

Exkurs: Der Tag des Herrn und der Gläubige

Bisher haben wir gesehen, was die Bedeutung des Tages des HERRN ist:

  • für Gottlose: Gericht;
  • für Christus: Herrschaft.

Mit Recht darf man fragen, welchen Charakter er für den Gläubigen trägt? Die Antwort mag einigen Bibellesern befremdend sein. Dennoch ist wahr, dass er ganz in Beziehung zu unserer Verantwortung gesehen wird. Denn am Tag des HERRN werden wir mit dem Herrn Jesus vor der Welt offenbar werden (vgl. Kol 3,3.4; 2. Thes 1,10). Dann wird sichtbar werden, was wir hier auf der Erde für Ihn gewesen sind, mit welcher Treue und Hingabe wir Ihm gedient haben.5 In Anlehnung der Treue und der Gnade wird der Herr seinen Knechten nach allem, was sie für Ihn getan haben, Kronen, Auszeichnungen und Belohnungen verleihen, die von der Welt gesehen werden (2. Tim 4,8; 2. Kor 1,14). Ganz sicher werden wir als untadelig befunden (1. Kor 1,7.8). Jede Auszeichnungen wird dabei zur Verherrlichung des Herrn beitragen (1. Tim 6,14; 2. Tim 4,8).

Der Herr möchte, dass wir heute schon im Licht dieses Tages leben. Paulus tat das auch. Er blickte in den letzten Stunden seines Lebens kurz vor seinem Märtyrertod auf diesen Tag (2. Tim 4,8). Für ihn war der Tag ein Ansporn, treu zu leben und treu zu bleiben! Deshalb wollen auch wir auf diesen Tag schauen, um Gott wohlgefällig zu sein. Alles, was wir heute wünschen zu tun, muss sich in dem Licht dieses zukünftigen Tages bewähren können.

Der Zusammenhang in Joel 1

Joel erwähnt in Vers 15 den Tag des HERRN als nahe bevorstehend. Er dient als Anreiz, zum HERRN zu rufen. Nicht, dass der Tag des HERRN wirklich in seiner Zeit bereits beginnen würde. Doch weil dieser Tag alles offenbaren wird, was in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes ist, wurde das Volk durch den Propheten aufgerufen, schon damals im Licht des kommenden Tages zu leben. Es wird der Tag der Wahrheit sein, wenn aller Schein und alle Heuchelei des Volkes ans Licht kommen werden. Dann wird nur noch das, was von Gott ist, standhalten.

So ist es wichtig für die Bewohner von Juda, dass sie ihr Verhalten in Ordnung bringen, dass es dem prüfenden Auge, das wie eine Feuerflamme ist, standhalten kann. Denn die Ausrichtung auf den Tag des HERRN führt zu einem Gott wohlgefälligen Leben, in dessen Licht alles verurteilt wird, was nicht mit Gottes Heiligkeit in Übereinstimmung zu bringen ist. Das galt für Israel. Das gilt auch für uns. Übrigens: Der Hauptgedanke, der in diesem Prophetenbuch mit dem Tag des HERRN verbunden wird, ist der des Gerichts. Hier heißt es von diesem Tag: ,,Er kommt wie eine Verwüstung von dem Allmächtigen" (Joel 1,15).

In den Versen 16-18 folgt schließlich eine ergänzende Beschreibung der Katastrophe, die über das Land hereingebrochen war und die wie ein Vorbote des Tages des HERRN verstanden werden kann. Alle ihre Hoffnung und Freude war genommen, die Ernten und alles Grün vernichtet. Selbst die Rinder- und Viehherden sind bestürzt und ohne Nahrung. Ohne diese könnte es auch keine Brand- und Sündopfer mehr geben. 

Die in diesen Versen erwähnte Katastrophe ist allerdings nicht die Folge der in Vers 4 beschriebenen Heuschreckenplage, sondern die Folge einer unermesslichen Dürre, die ebenfalls über das Land gekommen ist. Durch die Trockenheit ist keine weitere Frucht zu erwarten. Die Lage ist aussichtslos und ohne Hoffnung, wie die Begriffe ,,vermodert", ,,verödet", ,,zerfallen", ,,verdorrt", ,,stöhnt", ,,bestürzt", ,,keine Weide" und ,,büßen" zeigen. Die Dürre des Landes spiegelt dabei die Unfruchtbarkeit wieder, die in den Herzen des Volkes entstanden ist. Ein ernster Zustand, der den Propheten ins Gebet treibt. 

Fußnoten

  • 1 Im Neuen Testament wird der Tag des Herrn (Jahwe) „Tag des Herrn“ genannt. Dieser „Tag“ darf nicht verwechselt werden mit der Entrückung.
  • 2 An folgenden Stellen wird ebenfalls das Kommen des Herrn Jesus mit einem Dieb verglichen (2. Pet 3,10; Off 3,3; 16,15).
  • 3 In Matthäus 24,43 benutzt der Herr Jesus das Bild eines Diebes. Hier sind ganz speziell ungläubige Juden gemeint, für die Er in diesem Charakter kommen wird. Auch in Offenbarung 3,3 gebraucht Er das Bild. Diese Stelle bezieht sich auf ungläubige Namenschristen. Eine dritte Gruppe finden wir in 1. Thessalonicher 5, für die Er wie ein Dieb kommen wird. Hierunter sind ganz allgemein ungläubige Menschen zu verstehen.
  • 4 Ausleger schreiben, dass der Tag des Herrn mit der Erscheinung des Herrn Jesus in Herrlichkeit beginnt, begleitet von den Seinen und den heiligen Engeln. Andere, ebenfalls vertrauenswürdige Ausleger, beziehen die Bibelverse aus Philipper 1,6.10 und 2,16 mit ein, in denen wir die Ausdrücke „Tag Jesu Christi“ und „Tag Christi“ finden. In diesen Stellen geht es nicht um die Erscheinung des Herrn Jesus in Macht und großer Herrlichkeit, sondern um das Erscheinen der Gläubigen vor dem Richterstuhl des Christus. Unter Hinzuziehung dieser Stellen sind sie der Ansicht, dass der Tag des Herrn die ganze Zeit von der Erscheinung der Gläubigen vor dem Richterstuhl des Christus bis zum Ende des Tausendjährigen Reiches umfasst: 1. Die entrückten Gläubigen werden an diesem Tag vor dem Richterstuhl des Christus offenbar. 2. Danach wird der Herr Jesus an seinem Tag inmitten seine Erlösten in Herrlichkeit auf der Erde erscheinen (2. Thes 2,2). 3. Der Herr wird an diesem Tag auf der Erde das Gericht über die Lebenden ausüben (Lk 10,12). 4. Auch die 1000-jährige Herrschaft Christi mit ihren Segnungen und Freuden gehört zum Tag des Herrn (Mt 26,29; 2. Pet 3,10). 5. Schließlich werden an jenem Tag alle Ungläubigen vor dem großen weißen Thron erscheinen, wo sie ihr ewiges, gerechtes Verdammungsurteil empfangen werden (Mt 7,22; Röm 2,5).
  • 5 Vor dem öffentlichen Sichtbarmachen müssen wir keine Angst haben. Der Herr selbst ist es, der uns „befestigen wird bis ans Ende“. Er verlangt nichts von den Seinen, wozu Er ihnen nicht auch die Fähigkeit und die Kraft gibt, und zwar bis zum Schluss!
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