Der Prophet Joel (3)

Lesezeit: 4 Min.

II: Fünf Appelle des Propheten (V. 2-14)

Der äußere Anlass für das Auftreten Joels ist eine große Heuschreckenplage, die Gott als Gericht über Juda sandte. Durch sie wurde die gesamte Nahrungsmittelversorgung vernichtet (Joel 1,4). Das veranlasst Joel, in den Versen 2-14 fünf Appelle an das Volk zu richten, um es wachzurütteln und zur Umkehr aufzurufen. Ursache des Gerichts sind die Sünden des Volkes. Folgende Adressaten werden angesprochen:

  1. Appell: die Alten und alle Bewohner des Landes (V. 2-4)
  2. Appell: die Betrunkenen und Weinsäufer (V. 5-7)
  3. Appell: das allgemeine Volk (V. 8.9)
  4. Appell: die Ackerbauern und Winzer (V. 10-12)
  5. Appell: die Priester (V. 13.14)

1. Appell: Die Alten und alle Bewohner des Landes (V. 2-4)

Die Alten und alle Bewohner des Landes werden aufgerufen, die Plage von Geschlecht zu Geschlecht weiterzutragen (Joel 1,2.3). Den Nachfolge-Generationen soll die Katastrophe als Warnung dienen, ein Leben in Übereinstimmung mit dem Gesetz zu führen. Würde man die Botschaft Joels verachten, käme noch größeres Übel. Denn die Heuschreckenplage ist nicht nur ein zeitliches Gericht. Sie ist auch Träger einer prophetischen Botschaft, auf die Joel in Kapitel zwei zu sprechen kommt: Die Invasion einer riesigen Heeresmacht aus dem Norden, auf die die Plage hinweist (vgl. Joel 2,1-11).

2. Appell: Die Betrunkenen (V. 5-7)

Ein zweiter Appell richtet sich an die Betrunkenen. Sie sollen vom Rausch erwachen und über ihren Zustand heulen, statt sich zu freuen (Joel 1,5; vgl. 1. Thes 5,6.7). Wie viele dem Alkohol tatsächlich erliegen waren, wissen wir nicht. Da Trunkenheit allerdings die einzige Sünde im Buch Joel ist, die im Zusammenhang mit Israel erwähnt wird, scheint sie den Zustand des Volkes maßgeblich geprägt zu haben.

3. Appell: Das Volk (V. 8.9)

In einem dritten Appell richtet Joel sich an das Volk. Es wird zur Wehklage aufgerufen, wie eine Jungfrau, die in Sacktuch gekleidet ihren verstorbenen Verlobten betrauert. Für sie bedeutet der Tod das Ende der Gemeinschaft (Joel 1,8). Das Bild symbolisiert den Zustand des Volkes. Wie die Jungfrau ist auch das Volk ohne Gemeinschaft – ohne Gemeinschaft mit dem HERRN! Durch das Gericht sind ihnen jegliche Zutaten zur Herstellung der Speis- und Trankopfer genommen worden, sodass das Volk nicht mehr imstande war, Opfer zu bringen und seine Gemeinschaft darin auszudrücken.1 Das versetzte die Priester in Trauer. Sie standen Gott am nächsten und hatten ein Empfinden für den Mangel, der entstanden war.

4. Appell: Die Ackerbauer und Weingärtner (V. 10-12)

Vers 10 macht das erschreckende Ausmaß des Gerichts deutlich: Der Verlust existenzieller Früchte (Korn, Wein, Öl), als auch die Zerstörung der Bäume, ohne die keine neue Frucht reifen konnte (Weinstock, Granatbaum, Palme2, alle Bäume des Feldes, Feigenbaum). Deshalb werden die Ackerbauern und Winzer aufgerufen, sich zu schämen und zu heulen (Joel 1,11). Der Verlust dieser Segnungen führte schließlich zum Verlust der Freude des gesamten Volkes. Diese war „verdorrt“.

5. Appell: Die Priester (V. 13.14)

Der letzte Appell richtet sich an die Priester. Gott will Wiederherstellung schenken. Weil die Priester zu den Führern des Volkes zählen und die größte Verantwortung vor dem HERRN tragen, werden sie als erstes aufgerufen (Joel 1,13). Das äußere Zeichen ihrer Wehklage ist Demütigung in Sacktuch, mit dem sie sich umgürten und die Nacht darin verbringen sollen (vgl. 1. Kön 21,272. Sam 12,13-23). Das beständige Tragen symbolisiert ein unablässiges Flehen zum HERRN. Der Grund ist offensichtlich: Ihre Herzen sollen ein tiefes Empfinden über der Größe der Schmach bekommen, die Gott durch die Sünde Judas angetan wurde.

Schließlich soll das gesamte Volk zum Haus des HERRN versammelt werden, um ein heiliges Fasten auszurufen und zum HERRN zu schreien (Joel 1,14). Es ist ein nationaler Aufruf. Denn das Maß der Demütigung entspricht der Größe der Katastrophe. Weil diese national ist, ist auch der Ruf zu Gott national. Der Sammel- und Wehklageplatz ist das Haus des HERRN (Joel 1,14). Es ist der Ort der Gegenwart Gottes. Dort nimmt Er die Demütigung und das Rufen wahr, dass Er Wiederherstellung schenken kann. Ob die Priester und das Volk diesem Aufruf nachgekommen sind, ist nicht abschließend zu erkennen.

Fazit

Durch die verheerende Heuschreckenplage hatte Israel seine gesamten irdischen Segnungen im Land Juda verloren. Ursache des Gerichts war der Ungehorsam des Volkes. Mit dem Verlust des Segens verschwand auch ihre Freude (5. Mo 28,51; Hag 1,11). Allerdings hatte Gott bei Umkehr und Buße auch den Wiedererhalt verheißen (Ps 65,10; Joel 2,19).

Im Gegensatz zu Israel, das materiellen Segen besaß, sind wir mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern gesegnet (Eph 1,3). Wir besitzen ihn in Christus. Niemand kann ihn rauben, noch kann er verloren gehen. Allerdings kann die Freude an den Segnungen „verdorren“, dass wir ihn nicht mehr genießen. Nicht selten ist die Ursache für dies alles Ungehorsam und Untreue. Davor möchte Gott uns bewahren, dass wir ein Leben in der Freude der Segnungen und in der Gemeinschaft mit Ihm führen, um das zu genießen, was Gott uns in seinem Sohn an Reichtum geschenkt hat.

Fußnoten

  • 1 Die Grundzutaten zur Herstellung eines Speisopfers können dem 3. Buch Mose entnommen werden (3. Mo 2,1-16; 6,7-16).
  • 2 Die Palme ist ein Hinweis auf die Dattelpalme.
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