
Den grundsätzlichen Inhalt des Propheten Obadja erkennt man schnell: Gott übt Gericht an Edom, also an den Nachkommen des Bruders Jakobs. Manchmal wird diese Nation Esau, oft Edom und gelegentlich Seir (Hes 25,8; wegen ihres Wohnorts auf dem Gebirge Seir) genannt. Das angesprochene Gericht wird als Krieg über diesen Feind Israels kommen (V. 1b).
Wen benutzt Gott dafür? Er lässt eine Kunde unter die Nationen bringen (V. 1). Man hat den Eindruck, dass sowohl heidnische Völker als auch Israel, das heißt Juda, dieses Gericht ausführen. Denn es ist die Rede von „lasst uns“ zu diesem Kampf aufstehen. Die Gründe für diese Strafe Gottes sehen wir uns ein anderes Mal an. Er sagt jedenfalls ein vollständiges Verderben voraus. In Vers 10 lesen wir: „ausgerottet auf ewig“. Und in Vers 18: „Das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben.“
Warum ist das Gericht so umfassend? Wenn man sich die Weissagungen im Alten Testament über Edom anschaut, scheint es keinen schlimmeren Feind Judas gegeben zu haben als gerade dieses Brudervolk Israels. Esau war der ältere Bruder Jakobs. Aber so, wie es Feindschaft zwischen ihm und seinem Zwillingsbruder gab (1. Mo 27,41), hasste das Volk der Edomiter die Juden abgrundtief (4. Mo 20,18.20; Am 1,11; Hes 25,8). So nutzten sie offenbar die Schwächung und Belagerung Jerusalems durch die Babylonier (V. 11; Ps 137,7), um sich an den unterdrückten Juden zu bereichern. Jede Möglichkeit, dem Brudervolk zu schaden, war für Esaus Nachkommen eine „Freude“.
Die Feindschaft Edoms gegen Israel wird ganz besonders durch einen der Söhne Esaus sichtbar: durch Amalek (1. Mo 36,16). Schon zu Beginn der Wüstenreise (2. Mo 17,8-16) brachten sich diese Nachkommen Esaus als Feind der Israeliten in Stellung. Einer ihrer herausragenden Männer, Haman (Est 3,1), versuchte später sogar, das gesamte Volk der Juden auszurotten.
Es gibt übrigens viele Stellen im Alten Testament, die das Gericht über die Nation Edom beschreiben. Gott hat nicht nur einen Schreiber beauftragt, seine Zucht an diesen Feinden Israels aufzuschreiben. Ich nenne einige wichtige Beispiele: Jesaja 34,5-17; 11.14; 63,1-6; Hesekiel 25,8-14; 35; Jeremia 49,7-22; Maleachi 1,2-5.
Warum wird dieses Gericht derart oft beschrieben? Ein wesentlicher Grund für die Häufigkeit der Gerichtsbeschreibung liegt wohl darin, dass der Hass Edoms größer war als der von anderen Nationen. Umso schärfer daher auch die göttliche Antwort. Hinzu kommt, dass es gerade ein Familienvolk Israels war, das diesen kennzeichnete. Zudem offenbarten sie sich als Ungöttliche, denen Gott ganz und gar egal war.
Gibt es heute eine Art „Entsprechung“ von Edom? Tatsächlich gibt es auch heute ein „Familienvolk“, das sozusagen in die Fußstapfen Esaus gestiegen ist. So, wie dieser den Segen Jakobs für sich wegnehmen und den Platz Israels einnehmen wollte, ist es aktuell die ungläubige Christenheit, die für sich die Vorrechte und den Segen der Versammlung (Gemeinde) Gottes reklamiert. Sie geben vor, Gottes Volk zu sein. Aber es gibt keine größeren Feinde der Gläubigen als gerade diejenigen, die sich Kirche nennen, ohne diese Kirche Gottes zu sein.
Speziell in den beiden Volkskirchen werden wahre Gläubige verachtet. Die protestantische Kirche bezeichnet Kinder Gottes als „Fundamentalisten“. Man grenzt sie aus, da sie zu Gottes Wort und zu Gottes Moralvorstellungen stehen. Und war es nicht die katholische Kirche, die oft treue Gläubige und Zeugen Jesu bis aufs Blut verfolgte (Off 2,13)?
Nach der Entrückung (1. Thes 4,14-17) wird diese Christenheit endgültig christuslos werden. Dann kommt plötzlich und unerwartet über diese Namenschristen ein vollständiges Gericht Gottes, wie das auch Edom erlebte (Off 17-18).
- Wo finden wir in diesem Propheten etwas über den Herrn Jesus?
Es gibt kein schöneres Thema in Gottes Wort, als sich mit Christus zu beschäftigen. In der Einleitung haben wir gesehen, dass jeder Prophet Hinweise auf Ihn enthält. Wo kann man in diesem kurzen Buch etwas von seiner herrlichen Person finden? Im letzten Satz des Buches lesen wir: „Und das Reich wird dem Herrn gehören.“ Warum kann man sagen, dass der Geist Gottes hier vom Herrn Jesus spricht? Wir sehen uns zwei Abschnitte dazu an:
Christus – das Wort Gottes
In Johannes 1 lesen wir: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott ... Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns“ (V. 1.14). Johannes spricht davon, dass derjenige, der Fleisch wurde, „das Wort“ ist. Der Begriff „Wort“ meint das, was jemand bzw. etwas wirklich in sich selbst ist; der vollkommene Ausdruck vom Wesen und Inhalt einer Person oder Sache. Dieses „Wort“ ist niemand anderes als der Mensch (Fleisch) gewordene Sohn Gottes. Nicht der Vater wurde Mensch, ebenso wenig der Heilige Geist, sondern der ewige Sohn. Und in Ihm ist Gott in jeder Hinsicht offenbart worden.
Gottes Weisheit und Macht wurde in der Schöpfung sichtbar: Der Sohn ist der Schöpfer (Joh 1,3). Gottes Licht und Liebe wurden im Erlösungswerk erkennbar: Der Sohn ist der Erlöser (1. Pet 1,18-20; Gal 2,19). Gottes Gerechtigkeit und Friede werden in seiner Regierung deutlich (Heb 7,1-3).
„Das Königreich wird Jahwe gehören“: Herr (Jahwe, Jehova) ist Gottes Name, wie Er sich dem Menschen (1. Mo 2,5-25) und dem Volk Israel (2. Mo 3,13-15) vorgestellt hatte. Das ist Gott! Warum können wir dann sagen, dass es sich um den Sohn, um unseren Herrn Jesus Christus handelt? Weil sich Gott im Sohn – dem Wort – offenbart hat. Auch und gerade seine Regierung zeigen etwas davon: Er agiert immer gerecht und bewirkt Frieden.
Christus – der Regent
Es gibt noch einen zweiten Abschnitt, der das auf direkte Art ausdrückt: das so genannte Auferstehungskapitel. Diesen Bibeltext paraphrasiere ich etwas, um die handelnden Personen deutlicher zu machen: „Dann das Ende, wenn er [Christus] das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn er [Gott] weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht. Denn er [Christus] muss herrschen, bis er [Gott] alle Feinde unter seine [Christi] Füße gelegt hat“ (1. Kor 15,24-25).
Der Apostel lehrt hier also deutlich, dass Jesus regieren wird. Gott wird Ihm das Reich in Macht und Herrlichkeit übergeben. Er möchte, dass derjenige, der hier auf der Erde von seinem Volk und von den Nationen verworfen und verachtet wurde, den sie ans Kreuz nagelten, von allen als Herr anerkannt wird (Phil 2,9-11). Er wird sichtbar den höchsten Platz in diesem Königreich haben: Er ist der Regent.
Unbeschreibliche Herrlichkeit
Für uns, die wir zwar in einem Land leben, dass mehr oder weniger gerecht regiert wird und wo wir viel Frieden erleben, ist eine solch wunderbare Regierung dennoch unvorstellbar. Es wird kein einziges Urteil gesprochen werden, das nicht 100% angemessen ist. Ja, auch dann werden sich Menschen in Schmeichelei und Heuchelei unterwerfen (Ps 18,45). Aber Er wird alle und alles durchschauen. In dieser Zeit werden nicht nur im kleinen Land Israel ausschließlich gerechte Urteile gefällt werden, nicht nur im Nahen Osten, sondern 1000 Jahre lang auf der ganzen Erde.
Wen wird der Herr dafür benutzen? Dich und mich, die wir an Ihn glauben und Ihm heute dienen (Lk 19,16-19; 1. Kor 6,2). Auch das ist unfassbar: Obwohl wir so wenig Treue zeigen, wird Christus uns dennoch einsetzen, um seine unparteiische Regierung weltweit durchzusetzen. Wir werden mit Ihm herrschen (Off 20,6) – was für ein Vorrecht!
Nicht genug damit, dass Er Gerechtigkeit bewirkt: Auch Frieden wird Er herbeiführen. Heute gibt es keinen Erdteil, auf dem nicht in der einen oder anderen Weise Krieg, Konflikte, Bürgerkrieg existieren. Dann aber wird nicht nur in Israel, sondern auf der gesamten Erde für 1000 Jahre nicht eine einzige Schlacht stattfinden. Denn da, wo der Herr der Herrlichkeit wohnt und thront, wird es keine Kampfhandlung geben. Seine Autorität wird jeden Kampf unmöglich machen. Und erneut: Dafür benutzt Er dich und mich. Was für eine Gunst!
Wenn man so den letzten Ausdruck des Propheten mit Christus verbindet, erkennt man sofort, dass der Herr Jesus auch an anderen Stellen dieses kurzen Buches hervorleuchtet. Das zu finden überlasse ich deinem persönlichen Bibelstudium. Es lohnt sich!
Anwendung
An dieser Stelle ist es gut, diese großartige Herrschaft Jesu in unsere Zeit hineinzubringen. Denn auch heute schon gibt es eine Regierung des Herrn, allerdings in „geheimnisvoller“ Weise (Mt 13,11): Das heißt, es ist keine öffentliche Gewalt, sondern eine indirekte Ausübung. Im „Königreich der Himmel“ regiert Christus so über Menschen, die sich (äußerlich) zu Ihm bekennen. Und dazu sagt der Apostel Paulus: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17).
Schon heute ist das Merkmal der Regierung Christi über uns praktische Gerechtigkeit. Der Herr setzt das nicht in absoluter Weise um. Aber wer sich Ihm unterordnet, erkennt sein angemessenes Wirken an. Und das führt zu Frieden und erfüllt unsere Herzen mit Freude.
Da stellt sich die Frage: Leben wir in dieser Weise gerecht und geben Gott das, was Ihm zusteht? Erweisen wir den Menschen das an Zuwendung, was ihnen gebührt, seien es die Eltern, die Geschwister, die Arbeitskollegen, die Nachbarn oder auch die Gläubigen? Sind wir Friedensstifter (Mt 5,9), die eine Spur des Friedens hinterlassen? Dann kommt der Herr mit uns schon zu dem Ziel, das Er in öffentlicher Weise erreichen wird, wenn die Zeit des Friedensreichs angebrochen ist, von der Obadja schreibt.
Fußnoten
- 1 Ich benutze die Nummerierung dieser „Fragen“ bzw. Zwischenüberschriften aus dem zweiten Teil der Artikelserie. So kann man beides besser miteinander verbinden.
Quelle: bibelpraxis.de/a8994.html
