
Einführung
1. Der Prophet
Der Name Joel bedeutet „Der HERR ist Gott“.1 Sein Name ist gleichzeitig Programm (Joel 2,27; 4,17). Der Name seines Vaters ist Pethuel2. Darüber hinaus erfahren wir sonst nichts über den Propheten und dessen persönliche Lebensumstände.3 Wir können jedoch annehmen, dass Joel ein recht „sanfter“ Mann war. Als er dem Volk Gericht ankündigte und zur Umkehr aufrief, brandmarkte er keine konkreten Sünden. Außerdem geht er bei der Ankündigung des Gerichts auf mögliche Befürchtungen ein und weist zudem vergleichsweise ausführlich auf die segensreiche Zukunft von Juda hin.
Man hat Joel als „Propheten des Tages des HERRN“ bezeichnet. Fünf Mal spricht er von diesem Tag 4 (Joel 1,15; 2,1-2; 2,11-11; 3,3-4; 4,14-16)5. Aufgrund seines Dienstes nennt man ihn auch manchmal „Prophet der religiösen Erweckung“.
Joel ist für seinen flüssigen Sprachstil bekannt, der sich in seinen Aussagen und Übergängen widerspiegelt. Diese lassen den Aufbau und Inhalt seines Buches verhältnismäßig leicht erkennen und verstehen.
2. Dienstzeit
Über die Zeit seines Auftretens und der Abfassung seines Buches ist viel spekuliert worden. Die meisten Ausleger denken, dass Joel zu den frühsten der zwölf kleinen Propheten zählt, der in der Zeit von 900 – 800 vor Christus wirkte, vielleicht zur Zeit des Königs Joas (835 – 796 v. Chr.), in der auch Elia und Elisa lebten. Die Annahme wird dadurch bestätigt, dass im Buch Joel keine Erwähnungen aus assyrischer (800-650 v. Chr.) und babylonischer Zeit zu finden sind (650-538 v. Chr.), die man hätte erwarten müssen, wenn er später gewirkt hätte (um 400 v. Chr.).6 So nimmt der Prophet auch keinen Bezug auf den assyrischen Einfall in das Nord- bzw. Südreich (2. Kön 15,19-20; 2. Chr 28,20), auf die der spätere Prophet Amos eingeht (Amos 6,14). Demzufolge werden lediglich Ägypten und Edom, Tyrus und Sidon, sowie Bezirke Philistäas erwähnt, nicht jedoch Assyrien oder Babylonien (Joel 4,4.19). Trotz vieler Überlegungen zeigt das Schweigen des Geistes Gottes über die fehlende Zeitangabe, dass sie für den Charakter des Buches und dessen Auslegung nicht entscheidend ist. Vielmehr scheint es die Absicht Gottes zu sein, der Stimme und Botschaft Joels ein „permanentes“ Reden zu verleihen. Das gibt seinen Apellen ein besonderes Gewicht.
3. Empfängerkreis
Anders als der Prophet Hosea weissagte Joel nicht unter den zehn Stämmen im Nordreich, sondern im Südreich. Darüber gab es zu keiner Zeit Zweifel. Seine Botschaft richtet sich an die Bewohner in Juda, insbesondere an Jerusalem. Das besonderes Augenmerk liegt auf dem Gewissen des Volkes, das Gott durch seinen Diener erreichen und sensibilisieren wollte, um Buße und Umkehr zu erzielen.
4. Prophetische Botschaft / Inhaltsübersicht
Die Weissagung des Buches erstreckt sich von den Tagen Joels bis zum Tag des HERRN, wenn Israel wiederhergestellt und gesegnet werden wird.
- In Kapitel 1 nimmt der Prophet die Verwüstung durch eine Menge von Heuschrecken zum Anlass, die Ältesten und Priester sowie das ganze Volk zu einem Fasten und einer Festversammlung im Haus des HERRN aufzurufen, um zum HERRN zu schreien. Außerdem ist die Rede von einer großen Dürre, die ebenfalls eine Strafe Gottes ist und zur Buße führen soll.
- In Kapitel 2 erweitert sich der Horizont. Der Prophet sieht nicht mehr nur eine Invasion von Heuschrecken, sondern eine riesige Heeresmacht, die über das Land einfallen wird, um Gericht über Israel zu bringen, durch das die Herzen des Volkes zur Buße geführt und so auf das Kommen des HERRN vorbereitet werden: der Feind aus dem Norden – der zukünftige Assyrer, dessen Vorbote die Heuschreckenplage war. Dann tritt eine große Wende ein (V. 18). Der Tag des HERRN kommt, an dem die Heeresmacht vernichtet und der bußfertige Überrest aus Israel Rettung und Wiederherstellung erfahren und in die Segnungen des Tausendjährigen Friedensreiches eingeführt werden wird.7
- In Kapitel 3 wird die Folge der Umkehr des Überrests beschrieben, die Ausgießung des Heiligen Geistes im Tausendjährigen Reich über alles Fleisch, d.h. alle (gläubigen) Menschen. In Apostelgeschichte 2 greift Petrus diese Stelle wörtlich auf und wendet sie auf die gegenwärtige Zeit der Gnade, die mit der Ausgießung des Geistes zu Pfingsten begann. Die vollständige Erfüllung dieser Weissagung steht allerdings noch aus.
- In Kapitel 4 geht der Prophet auf die näheren Umstände der letzten Tage ein, die Juda und Jerusalem betreffen. Die Wiederherstellung der zehn Stämme wird nicht behandelt. Zunächst wird das Gericht der Nationen am Tag des HERRN in der Talebene Josaphats beschrieben, in der Gott die Feinde vernichten wird. Es endet mit dem vollen Segen des wiederhergestellten Volkes im Friedensreich, nachdem es von Gott gezüchtigt wurde.
5. Gliederung
Mögliche Einteilung:
- Kapitel 1 – Geschichtlicher Hintergrund
Einleitung 1
Fünf Appelle des Propheten 2-14
Tag des HERRN 15-18
Gebet 19-20
- Kapitel 2 – Vorbildliche Deutung: Angriff der Heere aus dem Norden
Die Invasion 1-11
Bußaufruf 12-17
Gottes Antwort 18-27
- Kapitel 3 – Ausgießung des Geistes
Ausgießung des Geistes zu Beginn des Friedensreiches 1-5
- Kapitel 4 – Der Tag des HERRN: Gericht und Segen
Gericht der Nationen 1-16
Segen 17-21
6. Besonderheiten
Drei Ausdrücke greift der Prophet im Besonderen auf, die unsere Aufmerksamkeit verdienen:
- 5 x „Tag des HERRN“ (Joel 1,15; 2,1.11; 3,4; 4,14)
- 5 x „Haus des HERRN/Gottes“ (Joel 1,9.13.14.16; 4,18)
- 7 x „Zion“ (4 x Berg Zion) (Joel 2,1.15.23; 3,5; 4,16.17.21)
- Die Erwähnung des Tages der HERRN ist der Auslöser für den Aufruf zur Umkehr zum HERRN.
- Die Erwähnung des Hauses des HERRN/Gottes lässt an Demütigung und Wiederherstellung denken.
- Die Erwähnung Zions impliziert Gottes Gnade.
7. Geografie
Über Jerusalem und Juda hinaus nennt Joel einige weitere Orte (Joel 4,6.18). Kurz erwähnt werden das Tal Sittim, Ägypten, Edom, Tyrus, Sidon und alle Bezirke Philistäas (Joel 4,4.18.19), sowie die Heeresmacht aus dem Norden, worunter der zukünftige Assyrer zu verstehen ist (2,11.20.25).8 Außerdem spricht der Prophet von der Talebene Josaphat (Joel 4,2.12), deren Name ebenfalls Programm ist: „Der HERR hat gerichtet“, als auch vom Berg Zion, der geographisch jedoch zu Jerusalem zählt, da Zion ein Teil dieser Stadt ist (Joel 2,1.15.23; 3,5; 4,16.17.21).
8. Zitate Joels im Neuen Testament
Joel 3,5 –> Röm 10,13
Joel 3,1-5a –> Apg 2,17-21
Die Zitate Joels im Neuen Testament sind ein schöner Beleg für die Kanonizität des Buches und dessen Autorität, in der es auch zu unseren Herzen spricht.
9. Fazit
Die Botschaft Joels kann in vielerlei Hinsicht auf unsere Zeit angewendet werden – wenn vieles auch Israel und dessen Zukunft betrifft, wie auch die Zukunft unseres Erlösers. Sein Tag wird kommen – der Tag des HERRN – an dem Er als Richter und Herrscher zu seinem Recht kommen und es ergreifen wird!
Fußnoten
- 1 Der Name kommt im Alten Testament zwar häufig vor (z.B. 1. Sam 8,2; 1. Chr 4,35; 5,4.8.12; 6,21; 7,3; 2. Chr 29,12; Neh 11,9), aber nie handelt es sich dabei um den Propheten Joel.
- 2 „Die Offenherzigkeit oder Einfalt Gottes“ bzw. „Gott ist Zugang oder Befreiung“.
- 3 Eine traditionelle Überlieferung besagt, dass der Prophet seiner Abstammung nach aus Bethom oder Bethomeron im Stamm Ruben kam. Man stützt sich bei dieser Annahme auf die Stelle in 1. Chronika 24,16, in der von einem Petachja die Rede ist, der mit dem Vater Joels „Pethuel“ in Verbindung gebracht wird. Das würde bedeuten, dass Joel einer priesterlichen Familie angehörte. Allerdings fehlt dieser Behauptung jede Grundlage.
- 4 Der Tag des HERRN ist nicht zu verwechseln mit der Entrückung der Gläubigen. Darauf werden wir später noch näher eingehen.
- 5 Alle Propheten (kleine wie große) reden vom „Tag des HERRN“, jedoch keiner so oft, wenn man die Kürze des Buches Joel bedenkt. Da Joel zu den frühesten Propheten zählt, verlieh er dadurch diesem Tag einen besonderen Nachdruck und wurde somit „Vorlage“ für (alle) andere Propheten.
- 6 Einige Forscher glauben, dass Joel in der Zeit um 400 v. Chr. oder später seinen prophetischen Dienst ausübte. Das jedoch ist nur schwer vorstellbar, da die Weissagungen des Propheten Amos mit einem Ausspruch Joels beginnen (Amos 1,2; vgl. Joel 4,16) und mit einem Bild Joels enden (Amos 9,13; vgl. Joel 4,18). Wenn Amos zur Zeit Ussijas auftrat, der in dem Zeitraum von 791-740 v. Chr. regierte, kann Joel wohl kaum seinen Dienst erst im Jahr 400 v. Chr oder später verrichtet haben. Es scheint, dass auch Jesaja einen Ausspruch von Joel aufgreift (Jes 13,6; vgl. Joel 1,15), der ebenfalls in den Tagen Ussijas, Jothams, Ahas‘ und Jehiskias auftrat (791-697 v. Chr.). Demzufolge muss Joel vor der Zeit Ussijas in Juda und Jerusalem gewirkt haben.
- 7 In Kapitel 1 wird das Gericht am Besitz der Bewohner Judas beschrieben (Joel 1,5.7.10-12.16-20) im Gegensatz zu Kapitel 2, wo wir mehr die Menschen finden, die das Gericht getroffen hat bzw. treffen wird (Joel 2,6.712.13.15-17.25-27).
- 8 Das geht aus den Büchern Daniel, Micha und Jesaja klar hervor. Dort ist mit dem König des Nordens Assur gemeint.
Quelle: bibelpraxis.de/a8676.html
