Der Prophet Hosea (30) - Hosea 13,1-8: Der Untergang Ephraims

Lesezeit: 6 Min.

I: Gott und Götzen (V. 1-8)

In Kapitel 13 wird ein letztes Mal Gericht angekündigt, das mit einem Ostwind verglichen wird. Schonungslos würde es kommen, über Israel hinwegziehen und das Land verwüsten (Hos 13,15). Es ist der letzte Sturmwind, bevor dem Volk in Kapitel 14 Befreiung und Segen verheißen wird.

Ein guter Anfang – ein bitteres Ende (V. 1)

Einst nahm Ephraim einen besonderen Platz ein, der einer Führungsrolle gleich kommt, die ihm hohes Ansehen und Autorität verlieh (1. Mo 48,19). Es brauchte nur zu sprechen, um Furcht und Zittern unter den Nachbarstämmen auszulösen: „Wenn Ephraim redete, war Schrecken“ (Hos 13,1). Zu dieser Zeit lebte es noch nicht in Götzendienst.

Was der Prophet dann offenbart, lässt den Atem stocken. Er beschreibt Ephraim als Gestorben: ,,und es starb“ (Hos 13,1). Es hatte jeden Anspruch an Geltung und Hochachtung verwirkt und seine Führerrolle verloren. Wie ist dieser Wechsel zu erklären? Worin lag die Ursache einer so verhängnisvollen Entwicklung? Hosea greift zwei Sünden auf, die als Gründe des Niedergangs genannt werden:

  1. Hochmut: „Es erhob sich in Israel“ (Hos 13,1a).1
  2. Götzendienst: „Es machte sich schuldig durch den Baal“ (Hos 13,1b).2

Arno C. Gaebelein merkt an: „Dieser traurige historische Weg Ephraims, der die Stufen des Niedergangs von der Selbsterhebung bis hin zum Untergang und Tod erkennen lässt, ist in der individuellen Lebensgeschichte zahlloser Menschen wiederzufinden, die dem Namen nach Christen sind“.3

Grenzenlos sündigen (V. 2)

Nach der Schilderung des Niedergangs offenbart der Prophet die Herzenshärte Ephraims, in der es unaufhörlich sündigte: „Und nun fahren sie fort zu sündigen“ (Hos 13,2). Die Sünde gewann rasch an Einfluss. Der Prophet Amos berichtet, wie rasant der Götzendienst sich wie Sauerteig ausbreitete und die Masse des Volkes durchsäuerte, sodass den goldenen Stierbildern Götzenbilder in Dan und Beerseba hinzugefügt wurden (Amos 8,14).

Gerichtsbotschaft (V. 3)

„Darum werden sie sein wie die Morgenwolke und wie der Tau, der früh verschwindet, wie Spreu, die von der Tenne dahinfliegt, und wie Rauch aus dem Gitter“ (Hos 13,3). Das sündige Verhalten des Volkes würde Gott im Gericht strafen. Um die Folgen zu veranschaulichen, die das Gericht nach sich ziehen würde, gebraucht der Prophet vier Ausdrücke, die Vergänglichkeit symbolisieren:

  • die Morgenwolke4;
  • den Tau;
  • die Spreu5;
  • den Rauch6.

Dasselbe kennzeichnete auch die Bewohner Israels. Als Gericht kam und Israel durch die Deportation der Weltmacht Assyrien nach Assur verschleppt wurde, verschwand es wie die Morgenwolke und der Tau, wie die Spreu und der Rauch, ohne eine Spur zu hinterlassen. Bis heute weiß niemand, wo die zehn Stämme sich aufhalten. Erst mit Beginn des Tausendjährigen Reiches, wenn sie aus ihren Ländern hervorströmen, werden sie wieder wahrzunehmen sein (vgl. Hos 11,10.11).

Erinnerung an die Vergangenheit – eine Gegenüberstellung (V. 4.5)

Die Verse vier und fünf sind, wie Kapitel 12,10, eine Gegenüberstellung der Gnade Gottes und der Untreue des Volkes.

Die Gnade Gottes wird betont, indem Hosea Israel seine Geschichte vor Augen stellt – die Rettung aus dem Land der Knechtschaft und die liebevolle Fürsorge in der Wüste: „Ich aber bin der HERR, dein Gott, vom Land Ägypten her; und du kennst keinen Gott außer mir, und da ist kein Retter als nur ich. Ich habe dich ja gekannt in der Wüste, im Land der Gluten“ (Hos 13,4.5; vgl. Hos 11,1; Hos 12,10.14; 5. Mo 8,14-16). Demgegenüber steht die Untreue des Volkes, die der Prophet bereits in Vers zwei betont hatte: Sie dienten dem Baal und wandten sich fremden Göttern zu (vgl. Hos 13,2).

Die Gegenüberstellung lässt erkennen: Israel sündigte in der Gegenwart der Gnade Gottes. Dieser Affront erhöht die Schwere ihrer Schuld. Außerdem wird gezeigt, dass der HERR der einzige Gott ist, den Israel je kennengelernt hatte. Neben Ihm gibt es keinen. Folglich lag die Quelle der Gnade im HERRN und nicht in toten Götzen. Dennoch verließen sie Ihn - die Quelle der Gnade. 

Hochmut und das Vergessen Gottes (V. 6)

In Vers 6 kommt der Prophet wieder auf den Hochmut Ephraims zu sprechen, dessen Folgen er aufzeigt: „Ihrer Weide entsprechend wurden sie satt, sie wurden satt, und ihr Herz erhob sich; darum haben sie mich vergessen“ (Hos 13,6). In der trockenen und dürren Wüste hatte Gott sie erhalten und mit allem versorgt, was sie zum Leben bedurften. Im Land Kanaan hatte das Volk genügend „Weide“. Dort erhielt Er sie durch die Frucht des Landes. Sie erlebten eine Zeit des Wohlergehens.

Der Wohlstand führte jedoch zu Übermut, sodass das Herz des Volkes sich „erhob“ und Gott „vergaß“ (vgl. Hos 13,1). Vor dieser Gefahr hatte Mose bereits gewarnt: „Hüte dich, dass du deinen Gott nicht vergisst, so dass du seine Gebote und seine Rechte und seine Satzungen nicht hältst, die ich dir heute gebiete“ (5. Mo 8,11; 31,20; 32,15-18). In derselben Gefahr stehen Gläubige auch heute. Vielen Christen geht es äußerlich gut. Das ist keine Sünde. Dennoch neigt das natürliche Herz zu Hochmut. Dieser führt schnell zu Unabhängigkeit, sodass man Gott mehr und mehr zur Seite drängt, bis Er schließlich vergessen wird, obwohl Er der Geber aller guten Gaben ist. Deshalb ist es wichtig, in Abhängigkeit zu leben. So bleiben wir demütig und in Gemeinschaft mit Ihm, ohne Ihn zu vergessen.

Gottes Gericht (V. 7.8)

Das Volk wurde übermütig und vergaß seinen Gott. Nun würde Er ihnen  entgegentreten. Er würde nicht mehr „Retter“ (vgl. V. 4), sondern ihr „Rächer“ sein und sie dem zerstörerischen Gericht böser Tiere preisgeben: dem Löwen, dem Leoparden, dem Bären und den Tieren des Feldes: „Und so wurde ich ihnen wie ein Löwe; wie ein Leopard lauere ich am Weg. Ich werde sie anfallen wie eine Bärin, die der Jungen beraubt ist, und werde den Verschluss ihres Herzens zerreißen; und ich werde sie dort verzehren wie ein Löwe; die Tiere des Feldes werden sie zerfleischen“ (Hos 13,7.8).

Die vier Tiere scheinen ein Hinweis auf die vier Reiche der Nationen zu sein, die Gott als Zuchtrute gebrauchen würde und die nacheinander zum Unterdrücker Israels werden sollten. Dem Buch Daniel lässt sich entnehmen, dass der Löwe das Babylonische, der Bär das Medo-Persische und der Leopard das Griechische Reich unter Alexander dem Großen symbolisieren (vgl. Dan 7,1-6). Der allgemein gefasste Ausdruck „die Tiere des Feldes“ ist möglicherweise ein Hinweis auf das letzte Tier, das „schrecklich und furchtbar und sehr stark“ auftreten würde (vgl. Dan 7,7), worunter das Römische Reich zu sehen ist, das ebenfalls zum Verfolger Israels wurde.

Dabei gilt jedoch zu bedenken, dass Israel selbst (Nordreich) von keinem der vier Weltreiche unterdrückt wurde, sondern durch den mächtigen Assyrer gefangen genommen und in dessen Herrschaftsbereich verschleppt worden ist. Erst etwa 115 Jahre später, als das Gericht über Juda und Benjamin hereinbrach (Südreich), traten die vier Mächte gegen das Volk der Juden nacheinander auf, um es zu unterjochen.

Wenn Israel (Nordreich) durch die genannten Reiche nicht unmittelbar unterdrückt wurde, so wurde dennoch ihr Land vom Reich des Löwen (Babylon), des Bären (Medo-Persien), des Leoparden (Griechenland) und von den Tieren des Feldes (Rom) vollständig verwüstet. In diesem Sinn fiel ganz Israel heidnischen Weltmächten zum Opfer. Es war das von Gott angemessene Gericht, weil Israel gesündigt und im Götzendienst verharrt hatte, ohne umzukehren und darüber Buße zu tun. Es sind die ernsten Folgen des Handelns Gottes mit seinem Volk, das alle Aufrufe zur Buße und jede Ankündigung von Gericht in den Wind geschlagen hatte. Gott lässt sich nicht spotten. Was ein Mensch sät, wird er auch ernten. Dieses Prinzip ist zeitlos gültig und findet unter der züchtigenden Hand Gottes bis heute Anwendung. Ziel jeder Zucht Gottes ist, dass praktische Heiligkeit das Leben des Volkes Gottes bestimmt - damals wie heute (Heb 12,4-11; 1. Pet 1,16).

Fußnoten

  • 1 Ephraim nahm unter den Stämmen Israels eine Vorrangstellung ein, in der es seine Stellung zu lieben begann (1. Mo 48,19). Es wurde aufgeblasen und erhob sich innerhalb seiner Nachbarstämme. Am Ende führte die Erhebung zur Trennung von Juda und dem Haus Davids und zur Entstehung des Nordreichs.
  • 2 Diese Sünde wurde nicht erst unter der Regierung Ahabs praktiziert (1. Kön 16,31 ff.). Sie wurde bereits unter der Herrschaft Jerobeam I. ausgeübt (1. Kön 12,28).
  • 3 Gaebelein´s Concise Commentary on the Whole Bible
  • 4 Vgl. Hosea 6,4
  • 5 Das Bild der „Spreu“ wird häufig in der Bibel verwendet (vgl. Jes 17,13; 41,15; Ps 1,4; 35,5; Mt 3,12 usw.). Es symbolisiert im Gegensatz zum Weizen - der auf treue Gläubige hinweist, die Frucht für Gott bringen - den Teil des Volkes, der keine Buße getan und daher Gericht zu erwarten hat.
  • 6 Das Gitter, das in Verbindung mit dem Rauch genannt wird, bezieht sich auf ein Fenstergitter. Aus diesem konnte der Rauch abziehen, da die Häuser damals keine Schornsteine besaßen.
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