Der Prophet Hosea (29) - Hosea 12,8-15: Wozu Israel geworden war

Lesezeit: 6 Min.

III: Wozu Israel geworden war (V. 8-15)

In den Versen 8-15 wendet der Prophet sich wieder Ephraim zu, den zehn Stämmen, um drei Charakterzüge unter ihnen offenbar zu machen:

  1. Gewissenlosigkeit (V. 8);
  2. Selbstzufriedenheit (V. 9a);
  3. Verblendung (V. 9b).

Ephraims Zustand (V. 8.9)

„Ein Händler ist er; in seiner Hand ist eine Waage des Betrugs, er liebt zu übervorteilen“ (Hos 12,8). Das im Hebräischen geläufige Wort für Händler ist „Kanaan“. Zur damaligen Zeit waren die Kanaaniter die größten Händler (Jes 23,11; Hes 17,4). Ihre Versessenheit auf Gewinn war sprichwörtlich. Sie liebten es, andere zu betrügen und zu übervorteilen, um ihre Habgier zu befriedigen und nach Reichtum zu streben.

Mit diesen betrügerischen Händlern wird Ephraim verglichen. Hosea will dem Volk deutlich machen, dass es dieselben moralischen Kennzeichen trägt, wie die Welt (Kanaaniter).

  1. Gewissenlosigkeit

Als erstes Kennzeichen ist Ephraims Gewissenlosigkeit zu nennen. Ephraim trieb Handel mit List und Betrug. Dadurch übertrat es permanent das Gesetz (3. Mo 19,36; 5. Mo 25,13-16). Sein Gewissen blieb trotz Sünde jedoch unberührt: „In all meinem Erwerb wird man mir keine Ungerechtigkeit nachweisen, die Sünde wäre“ (Hos 12,9). So offenbart das betrügerische Handeln Ephraims ein willentlich verhärtetes Gewissen, welches keine Reaktion mehr zeigte, obwohl es Gottes heilige Gebote missachtete.

  1. Selbstzufriedenheit

Als zweites Kennzeichen ist Ephraims Selbstzufriedenheit hervorzuheben, die im Reichtum begründet liegt: „Ich bin reich geworden, habe mir Vermögen erworben“ (Hos 12,9). Selbstzufriedenheit wächst aus einer falschen Sicherheit heraus und ergibt einen lauwarmen Zustand, in dem man seine eigenen Fehler nicht mehr sieht. Am Ende kann sie sogar zum Verhängnis werden (Spr 1,32).

  1. Verblendung

Als Drittes nennt Hosea die geistliche Blindheit des Volkes, in der es seinen eigenen Zustand (Fehler) nicht mehr wahrzunehmen vermochte: „In all meinem Erwerb wird man mir keine Ungerechtigkeit nachweisen“ (Hos 12,9). Ephraim war verblendet. Auch dieses Kennzeichen lässt sich diesem Vers entnehmen. Das Volk war überzeugt, Handel in Gerechtigkeit zu treiben. So weigerte es sich, seine vermeintliche Sünde einzugestehen. Es „sonnte“ sich im Licht scheinbarer Unschuld. Dabei rechnete Ephraim offensichtlich nicht damit, dass Gott jede seiner Sünden wahrnahm und das Volk dafür einmal zur Rechenschaft ziehen würde (vgl. Hos 7,2).

Bekennende Christenheit

Das Verhaltensmuster Ephraims kennzeichnet auch die bekennenden Christenheit in Laodizea, die ebenfalls in Selbstzufriedenheit und Verblendung lebt: „Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts – und du weißt nicht, dass du der Elende und Jämmerliche und arm und blind und nackt bist“ (Off 3,17). Sie behaupten, reich zu sein und nichts zu bedürfen (Selbstzufriedenheit), und erkennen nicht, dass sie arm, blind und nackt sind (Verblendung) und einmal von Gott gerichtet werden.

Trotz Fehlverhalten stellt Gott Ephraim seine Gnade und seine zukünftige Absicht vor. Darauf kommt der Prophet in Vers Zehn zu sprechen.

Gottes Gnade und Treue (V. 10)

Die Gnadenbotschaft wird eingeleitet, indem Hosea das Volk an seine Beziehung mit Gott in der Vergangenheit erinnert: „Er ist der HERR, ihr Gott, vom Land Ägypten her“ (Hos 12,10). Gott hatte Israel aus Ägypten errettet und in die Wüste gebracht. Vierzig Jahre führte Er sie hindurch, bis sie schließlich im Land Kanaan ankamen, um dort unter dem verheißenen Segen zu leben. In dieser ganzen Zeit war Er der HERR, ihr Gott, der sie von Ägypten nach Kanaan brachte.

Trotz der zahlreichen Gnadenerweisungen Gottes fiel das Volk in Sünde und Götzendienst. Die Untreue des Volkes würde der Treue Gottes jedoch keinen Abbruch tun. Wenn Gott Israel wegen des Götzendienstes und seines unbußfertigen Herzens auch verwerfen würde, so würde Er es nicht endgültig tun (vgl. Röm 11,25). In der Zukunft wird Er ihnen Gnade erweisen, sie wieder in Beziehung zu Ihm setzen und sie in ihr Land zurückbringen. Zudem wird Er alle seine Verheißungen an ihnen erfüllen und sie in den vollen Genuss des Laubhüttenfestes bringen. Davon zeugen die Zelte, in denen das Volk künftig wohnen wird, auf die der Prophet nun zu sprechen kommt, nachdem Er sie an ihre Vergangenheit und die darin offenbarte Gnade Gottes erinnert hat, die sich in ihrer Erlösung zeigte, deren Ergebnis sich bis nach Kanaan erstreckte: „Ich werde dich wieder in Zelten wohnen lassen wie in den Tagen der Festzeit“ (Hos 12,10).

Das Laubhüttenfest war zur Zeit Israels ein Fest, das die kommenden Segnungen des Tausendjährigen Reiches für das wiederhergestellte Israel versinnbildlicht, insbesondere die Ruhe, die sie erleben werden. Diese wunderbare Verheißung stellt der Prophet dem Volk in Aussicht, die ihnen allein durch Gnade zuteil werden wird.

Die Gnadenbotschaft Gottes lässt das Volk bis nach Ägypten zurückblicken, in die Vergangenheit, in der es Gottes Barmherzigkeit erlebte. Gleichzeitig lässt sie das Volk nach vorne schauen, in die Zukunft, in der es wiederholt Gnade erfahren wird, obwohl es in der Gegenwart durch Untreue gekennzeichnet war (zur Zeit Hoseas). So stellt Hosea ihnen die Gnade Gottes vor Augen, die sie jederzeit umgab und künftig umgeben wird.

Frevel trotz Propheten (V. 11-15)

Von der Gnade Gottes kommt der Prophet wieder auf den Ungehorsam des Volkes zu sprechen. Gott hatte Israel Propheten gesandt, die zur Umkehr aufriefen und das Volk auf die zukünftigen Segnungen im Tausendjährigen Reich hinwiesen. Auf diese Weise legten sie den unglücklichen Zustand auf das Gewissen des Volkes und ermutigten es mit Blick auf die Verheißungen, umzukehren. Denn nur durch Umkehr könnten die Segnungen in Anspruch genommen werden. Ungeachtet der Botschaft der Propheten lebte das Volk jedoch weiter in Ungehorsam und Untreue, ohne umzukehren, sodass sie:

  • Altäre auf den Furchen des Feldes wie Steinhaufen aufrichteten (Hos 12,12),
  • Frevel in Gilead ausübten (Hos 12,12) und
  • Stiere in Gilgal opferten (Hos 12,12).1

Statt auf die Propheten zu hören und ihre Botschaft anzunehmen, zog das Volk es vor, weiter in Sünde (Götzendienst) und Ungerechtigkeit zu verharren. So verachtete es Gottes Gnade, durch die Gott sie zurückzugewinnen suchte.

Zwei Vorbilder, die eine Botschaft vermitteln

Der Ungehorsam und die Untreue des Volkes veranlasst den Propheten, das Beispiel Jakobs wiederholt aufzunehmen. Da in diesem Abschnitt Ephraim der Adressant ist, wendet der Prophet es auf Israel an, statt auf Juda, an das er sich in den Versen 4-7 unseres Kapitels vordergründig gerichtet hatte. Er erinnert sie dabei an die Flucht Jakobs und dessen Dienst. Daran anknüpfend greift er zu einem weiteren Sinnbild: Israel. Darin enthalten liegt ebenfalls eine wichtige Botschaft, die dieselbe „Stoßrichtung“ aufweist, wie die Geschichte mit Jakob vermittelt.

Jakob und Israel

Jakob war nach Syrien geflüchtet, weil er seinen Bruder Esau betrogen hatte. Dort lernte er das schwere Joch der Knechtschaft kennen, um Rahel zu erwerben: Er „diente“ und „hütete“ um eine Frau“ (Hos 12,13). Der Glaube Jakobs wurde allerdings über Jahre hinweg nicht erschüttert. Gott befreite ihn durch Gnade aus der Hand Labans. Er bekam Rahel zur Frau und wurde gesegnet.

Dasselbe erfuhr auch Israel. Durch einen Propheten (Mose) befreite der HERR sie aus der Knechtschaft Ägyptens und durch einen Propheten (Mose) wurden sie in der Wüste gehütet (vgl. Hos 12,14).

Dieselbe Gnade erwies Gott auch Ephraim im Verlauf seiner Geschichte. Gott sandte ihm seine Propheten, um sie von ihrer Sünde zu befreien und sie zu segnen. Doch wie reagierte das Volk? Was war die Antwort auf das Erbarmen Gottes? „Ephraim entzürnte ihn bitterlich“ (Hos 12,15a).

Wie oben bereits erwähnt, wurde die Botschaft der Propheten und die darin offenbarte Gnade Gottes abgewiesen, durch die Er sein Volk zurückzugewinnen suchte. Daher endet der Abschnitt mit dem Beschluss des Gerichts: „Und sein Herr wird seine Blutschuld auf ihm lassen und ihm seine Schmähungen vergelten“ (Hos 12,15b).

Henry Allen Ironside merkt an: „Ein von Gott gesandter Dienst, der beachtet und befolgt wird, führt zu Wachstum und Segen. Wenn aber das Zeugnis des Geistes Gottes zurückgewiesen wird, vergrößert sich die Schuld dessen, der sich dagegen verhärtet, und macht dessen Zustand nur noch schlimmer. Es ist ein Grundsatz: Wenn man das Licht zurückweist, wird die Finsternis um so größer. Daher ist ein zartes Gewissen so unentbehrlich, ein Gewissen, das schnell auf jedes einzelne Wort Gottes reagiert“.2

Fazit

Israel hatte Gottes Gnade in der Vergangenheit erfahren (Hos 12,10a). Auch in der Gegenwart bot Gott ihnen Gnade an (Hos 12,11.14). Doch es lehnte sie ab, sodass nur Gericht für sie übrigblieb (Hos 12,15). Die Untreue des Volkes wird Gott jedoch nicht davon abhalten, ihnen künftig wieder Gnade anzubieten, sodass jedes bußfertige Herz aus Israel Rettung erfahren wird (Hos 12,10b).  

Fußnoten

  • 1 Gilgal war mittlerweile eine Art Zentrum des Götzendienstes geworden (Hos 4,15; 9,15).
  • 2 Notes On The Minor Prophets
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