I: Die Untreue von Ephraim und Juda (V. 1-3)
In diesem Kapitel wirft Gott Israel und Juda erneut Treulosigkeit vor, die im Fall Juda jedoch noch nicht so weit fortgeschritten war, wie unter den Bewohnern Ephraims, den zehn Stämmen, denen folgende Vergehungen und Sünden angelastet werden:
- Lüge (V. 1);
- Trug (Betrug; V. 1.8);
- Beschäftigung mit inhaltslosen Dingen (Wind; 2);
- Gewalttat (V. 2);
- Vertrauen auf Menschen (Assyrien/Ägypten; V. 2);
- Selbstzufriedenheit (V. 9);
- Götzendienst (V. 12).
Trotz ihres Versagens gibt der Prophet dem Volk Hoffnung auf Widerherstellung, die allen Stämmen verheißen wird und sich darin erweist, dass sie im Tausendjährigen Reich wieder im verheißenen Land in Zelten wohnen werden (Hos 12,10). Auffallend ist die Erwähnung der Geschichte Jakobs. Sein Leben wird beispielhaft vorgestellt, um dem Volk den Weg zur Umkehr aufzuzeigen.
Ephraims Lüge und Trug (V. 1a)
Kapitel 12 beginnt mit einer Anklage, in der Israel der Lüge und des Trugs bezichtigt wird. Beide Ausdrücke scheinen eine Anspielung auf Heuchelei zu sein, die Ephraim kennzeichnete und die in zwei Bereichen ihres Lebens zum Ausdruck gebracht wurde:
- äußeres Zeugnis;
- Gottesdienst.
1: Was das Zeugnis betrifft, wollte Ephraim äußerlich das Volk Gottes darstellen, obwohl es im Herzen entfernt von Gott im Götzendienst und in Vermischung mit den Nationen lebte. Dieses widersprüchliche Verhalten entlarvt der Prophet als Heuchelei, als Lüge und Trug.
2: Nicht nur das äußere Zeugnis war heuchlerisch, auch ihr Gottesdienst war von Falschheit geprägt. So brachten sie Gott die im Gesetz Moses vorgeschriebenen Opfer dar, ohne dass ihre Herzen daran beteiligt gewesen wären. Es war Gottesdienst ohne Frömmigkeit.
Ephraim lebte in Unaufrichtigkeit gegenüber Gott (Gottesdienst) und den Menschen (Zeugnis), in Lüge und Trug, in Heuchelei.
Judas Zügellosigkeit (V. 1b.3)
In seiner Anklage wendet sich der Prophet dann Juda zu, dem Er ebenfalls Treulosigkeit vorwirft. Allerdings war der Niedergang im Südreich durch den Einfluss gottesfürchtiger Könige wie Abija, Asa, Josaphat und Hiskia noch nicht so weit fortgeschritten, wie unter den Bewohnern im Nordreich (2. Chr 13,10; 15,15; 19,3). Dennoch gab es Fehlverhalten. Offensichtlich hatte Gott sie zu einem früheren Zeitpunkt bereits darauf aufmerksam gemacht, ohne dass sie Buße getan und umgekehrt wären. Deshalb lässt Gott ihnen sagen: „Und Juda ist immer noch zügellos gegen Gott und gegen den Heiligen, der treu ist“ (Hos 12,1). Darin begründet lag auch der Rechtsstreit, den Er mit ihnen führte (Hos 12,3).
Am Wind weiden – Die Suche nach Erfüllung (V. 2a)
Nachdem Hosea die Treulosigkeit des Volkes (insbesondere die Heuchelei Ephraims) offenbar gemacht hat, weist er auf die Beschäftigung mit unnützen Dingen hin, mit denen das Volk sein Herz zu erfüllen suchte, das infolge ihrer Abwendung von Gott in einen Zustand der „Leere“ gefallen war: „Ephraim weidet sich an Wind“ (Hos 12,2).
Da inhaltslose Dinge das Herz Ephraims nicht auszufüllen vermochten, jagte das Volk dem Ostwind nach, dem stärksten aller Winde. Dieser ist möglicherweise ein Hinweis auf Götzendienst, der dem Volk Erfüllung versprach.
Demzufolge waren die Herzen Ephraims voll Lüge und Gewalt: „Den ganzen Tag mehrt es Lüge und Gewalttat“ (Hos 12,2). In Kapitel sieben sahen wir bereits, dass religiöser Verdorbenheit moralisches Versagen folgt. Dieses Prinzip findet auch hier Anwendung. Aus der Sünde des Götzendienstes gingen weitere Sünden hervor, moralische Sünden, - Lüge und Gewalttat – die sich sogar mehrten.
Das Handeln Ephraims ist ein warnendes Beispiel für unsere Tage, Böses nicht ungerichtet zu lassen. Es ist wichtig, das Selbstgericht (Gilgal) täglich zu üben, um im Licht Gottes Sünden zu verurteilen und zu bekennen, damit die Gemeinschaft mit Gott genossen werden kann und das Gewissen nicht abgestumpft wird. Andernfalls mehrt das Böse sich und führt zu weiteren, häufig schlimmeren Sünden, die den Gläubigen immer weiter in Not und Elend stürzen und ihn der Gefahr aussetzen, die Sünde leichtfertig anzusehen, um sie schließlich zu tun, wie Ephraim leichtfertig sündigte, ohne dass es erkannte, dass es Gottes heiligen Gebote übertrat (vgl. Hos 12,9).
Der assyrische Bund (V. 2b)
Das ungerichtete Böse in der Mitte des Volkes führte dazu, dass Gott dem Volk Gericht ankündigen ließ. Um diesem zu entgehen, strebte Ephraim ein Bündnis mit dem mächtigen Assyrer an: „Und sie schließen einen Bund mit Assyrien“ (Hos 12,2). Außerdem brachten sie Öl nach Ägypten, offensichtlich als Bestechungsgeschenk, um sich über diesen Weg Hilfe ihres alten Feindes zu verschaffen: „Und Öl wird nach Ägypten gebracht“ (Hos 12,2). Doch alle menschlich gefassten Pläne, die eine mögliche Gerichtsabwendung vorsahen, waren vergebens. Niemand vermochte dem Tag zu entfliehen, an dem Gott Ephraim aufgrund seiner Sünden vergelten und es im Gericht heimsuchen würde.
II: Erinnerungen an die Vergangenheit - Jakob (V. 4-7)
Der Fersenhalter (V. 4)
In den Versen 4-7 wird das Volk an Jakob erinnert, ihren Stammesvater, der als Bild dient, dem Volk seinen wahren Charakter vorzustellen.1 Jakob war von Geburt an ein Überlister, der im Mutterleib die Ferse seines Bruders hielt, um sich das Erstgeburtsrecht zu verschaffen (Hos 12,4; vgl. 1. Mo 25,26). Davon zeugt auch sein Name („Überlister“), dessen Bedeutung ein Vorschatten seines zukünftigen Lebens ist, das eine Reihe von Konflikten beinhaltete. Das Verhalten des Volkes kam dem trügerischen Leben Jakobs in vielerlei Hinsicht gleich. Es besaß einen ähnlichen Charakter.
Gleichzeitig dient seine Geschichte dem Volk als Wegweiser. Das Leben Jakobs war durch Untreue und Sünde gekennzeichnet, wodurch er den Genuss der Gemeinschaft mit Gott praktisch verloren hatte. Allerdings lernte er den Grundsatz kennen, auf dem der Mensch Gottes Gnade und Barmherzigkeit zurückerlangt. Davon zeugen die beiden „Stationen“ Pniel2 und Bethel3, die dem Volk wie eine Kompassnadel dienen, ihnen den Weg zur Wiederherstellung aufzuzeigen.
Der Kampf in Pniel (V. 5a)
Pniel ist der Ort, an dem Jakob bis zum Aufgang der Morgenröte in eigener Manneskraft mit dem Engel des Herrn kämpfte (1. Mo 32,24-32). Dieser Kampf lehrte ihm eine wichtige Lektion: Unvermögen! Jakob lernte seine eigene Schwachheit kennen, als der Engel ihn berührte und sein Hüftgelenk verrenkte. Trotzdem ging er als Sieger hervor. Worin lag das Geheimnis seiner Kraft? Im Weinen und im Flehen, d.h. in Buße und Gebet: „Er weinte und flehte zu ihm“ (Hos 12,5)! Durch diese auf den ersten Blick vergeblichen Mittel trug Jakob den Sieg davon. Henri Rossier bemerkt: „Jakob musste Sieger sein, um den Segen ererben zu können, und das Mittel, ihn zu erlangen, der Weg zum Sieg, ist Buße und Gebet“.4
Gegen Ende seines Kampfes änderte der Engel den Namen Jakob in „Israel“5 (1. Mo 32,29). Dennoch, die Gemeinschaft mit Gott war zu diesem Zeitpunkt noch nicht wiederhergestellt. Noch weigerte sich der Engel, ihm seinen Namen zu nennen (1. Mo 32,30).
Die Erfahrung in Pniel lehrte Jakob also den Beginn seiner Wiederherstellung, nachdem er gesündigt hatte. Dazu waren notwendig:
- das Bewusstsein eigenen Unvermögens;
- Buße;
- Gebet.
Die Erfahrung in Bethel (V. 5b)
Dann kommt der Prophet auf die Erfahrung Jakobs in Bethel zu sprechen: „In Bethel fand Er ihn, und dort redete Er mit uns“ (Hos 12,5). Nachdem Jakob sich gereinigt und alle fremden Götter hinweg getan hatte, offenbarte Gott sich ihm in Bethel mit dem Namen „Allmächtiger“ (1. Mo 35,11.14) und bestätigte die Änderung seines Namens in „Israel“ (1. Mo 35,10). Hier erlangte Jakob die Gemeinschaft mit Gott zurück. Er hatte zuvor der Stimme Gottes gehorcht und sich vom Bösen (Götzen) abgewandt (1. Mo 35,2). Die Gemeinschaft mit Gott wurde wiederhergestellt, die er von nun an genießen konnte. Dazu waren notwendig:
- Reinigung (Hinwegtun fremder Götzen) und
- Bekenntnis
Die gesegnete Folge war:
- Gemeinschaft
Die Offenbarung als Bundesgott und der Aufruf zur Umkehr (V. 6.7)
In Vers sechs nennt Gott sich „HERR“ (Jahwe): „Und der HERR, Gott der Heerscharen – HERR ist sein Gedenkname“ (Hos 12,6). Mit dem Namen „HERR“ lernen wir Gott bereits im 1. Buch Mose kennen (1. Mo 2,4ff; 15,2), obwohl der Name erst im 2. Buch von Gott selbst erklärt wird (2. Mo 6,3). So wussten die Patriarchen, dass Gott der Herr ist, aber sie verstanden nicht, was der Name bedeutet. Das verstand Mose erst, als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Allmächtige (El Schaddai; vgl. 2. Mo 6,3) sich ihm offenbart und ihm dessen Bedeutung kundgetan hatte (2. Mo 3,15; 6,2-4).
Zwei Punkte können wir mit dem Namen „HERR“ verbinden:
- Er steht dafür, dass Er sich nicht verändert, sondern immer derselbe ist (der ewig Seiende).
- Es ist der Name des Bundesgottes Israels, den Er in seinem Handeln mit den Menschen, insbesondere mit seinem irdischen Volk Israel getragen hat.
Um die Freude und den Segen an der Bundesbeziehung mit Gott wieder genießen zu können, müsste eine echte Umkehr vollzogen werden – so, wie Jakob Buße tat und umkehrte. Deshalb ruft Hosea das Volk auf, umzukehren: „Du denn, kehre um zu deinem Gott; bewahre Güte und Recht, und hoffe beständig auf deinen Gott“ (Hos 12,7).
Fazit
Die Botschaft in der Geschichte Jakobs wird durch den Ausleger Henri Rossier wie folgt treffend zusammengefasst: „Israel kann seine Beziehung zu Gott und die Gemeinschaft mit Ihm nur wiederfinden in dem Gefühl der eigenen Ohnmacht (Unvermögen), durch Reue und Demütigung (Buße und Gebet), und, indem es seine Götzen verlässt (Reinigung), um das Angesicht seines Gottes zu suchen (Gemeinschaft).
Durch wahre Umkehr wird es fähig sein, „die Güte zu bewahren“, - glückliche Beziehungen mit Gott zu unterhalten, – „das Recht“, d.h. die nötige Unterscheidungsfähigkeit zu haben, um sich vom Bösen zu trennen, – und endlich „beständig auf seinen Gott zu hoffen“, d. h. in Abhängigkeit zu wandeln“ (Hos 12,7).6
Fußnoten
- 1 Ein Großteil der Ausleger beziehen die Verse 4-7 auf Juda. Die moralische Bedeutung lässt sich allerdings auf das gesamte Volk anwenden.
- 2 D.h. Angesicht Gottes
- 3 D.h. Haus Gottes
- 4 Betrachtung über das Buch des Propheten Hosea
- 5 Das ist: Kämpfer Gottes
- 6 H. Rossier: Betrachtung über das Buch des Propheten Hosea (Hinweis: Die in Klammern gesetzten Worte sind persönliche Anmerkungen).
Quelle: bibelpraxis.de/a8434.html