II: Ankündigung des Gerichts (V. 8-15)
Zusammenbruch des gesamten Volkes (V. 8-12)
Die Verse 8-12 stellen den Zusammenbruch des gesamten Volkes Israels dar (vgl. Hos 5,5). Es war die Folge des Gerichts, dass zunächst Israel (Nordreich) betraf, dann die Stämme Juda und Benjamin (Südreich).
Gerichtsankündigung Judas und Ephraims
Der Abschnitt beginnt mit der Ankündigung des Gerichts über Juda (Südreich): „Stoßt in die Posaune in Gibea, in die Trompete in Rama; ruft laut in Beth-Awen: Der Feind ist hinter dir her, Benjamin“ (Hos 5,8).1 Es wird laut im Südreich. Es wird „Alarm“ geschlagen. Das Gericht naht. Nun würde es kein Entrinnen mehr geben.
Dasselbe gilt für Ephraim2 und die neun Stämme (Nordreich): „Ephraim wird zur Wüste werden am Tag der Strafe; über die Stämme Israels habe ich Gewisses3 verkündigt“ (Hos 5,9). Bei der Gerichtsankündigung Ephraims ist es hilfreich, sich zunächst dessen geographische Lage anzusehen, um das Ausmaß des Gerichts besser erfassen zu können.
Ephraim lag im Herzen Israels. Im Norden grenzte es an Manasse, im Sünden an Benjamin und im Westen an Dan. Dort gab es schöne Täler und stattliche Berge mit vielen Quellen und Flüssen. Die Landschaft mit ihren Gegebenheiten bildeten ideale Voraussetzungen, dass Frucht entsteht. Dieses fruchtbare Land würde bald jedoch zu einer Wüste werden. Darin wurde das ganze Ausmaß und die ganze Schwere des Gerichts deutlich, das über sie kommen sollte. Aus fruchtbaren Quellen und Böden würde eine trockene Wüste werden – ein Ort des Todes statt des Lebens. Ein treffendes Bild des moralischen Zustands Israels.
Gericht über die Fürsten Judas und Ephraim
Nachdem der Prophet eine allgemeine Gerichtsankündigung über Juda (Südreich) und Ephraim (Nordreich) verkündigt hatte, kündigte er nun Gericht über die Fürsten von Juda an. Er wird konkret: „Die Fürsten von Juda sind wie diejenigen geworden, die die Grenze verrücken; über sie werde ich meinen Grimm wie Wasser ausgießen“ (Hos 5,10).
Juda wollte sich durch eine Vergrößerung seines eigenen Gebietes einen Vorteil verschaffen, obwohl Gott schon durch Mose verkündigen ließ: „Verflucht sei, wer die Grenze seines Nächsten verrückt (5. Mo 27,17)! Die Missachtung des Fluches offenbarte den Herzenszustand der Fürsten, die dem Gesetz offensichtlich keine Beachtung mehr schenkten. Das überrascht nicht. Denn Gott hatte schon in Kapitel 4 sagen lassen, dass das Gesetz im Allgemeinen vergessen worden war. So schien ihnen der eigene Gewinn an Besitztum wichtiger zu sein als die Beachtung des Wortes Gottes. Nun würde sie Gericht treffen. Gott würde seinen Grimm wie Wasser über die Fürsten (Obersten) von Juda ausgießen.
A.C. Gaebelein merkt an: „Die Obersten von Juda weinten nicht über das Unglück Israels, sondern freuten sich vielmehr, weil damit die Grenzlinien zum untergegangenen Nordreich hin verrückt und ihre Besitztümer vergrößert werden konnten“.4
Ähnlich war der Zustand im Herzen Ephraims. Statt auf Gottes Gebote zu achten, handelten sie „willig“ nach Menschengeboten: „Denn willig wandelt es nach Menschengeboten“ (Hos 5,11). Auch hier scheint der Prophet den Fokus auf die Missachtung des Gesetzes und dessen Autorität zu legen, dass menschliche Vorschriften mehr für sie bedeuteten als Gottes Gebote. „Menschenfurcht legt einen Fallstrick; wer aber auf den Herrn vertraut, wird in Sicherheit gesetzt“ (Spr 29,25).
Ephraim würde für Gott sein wie die Motte, für Juda wie der Wurmfraß. Beide Ausdrücke sind Sinnbilder von Einflüssen, die auf die Vernichtung der Häuser Israels und Judas hinweisen als Folge ihrer Untreue (vgl. Jes 50,9, 51,8; Ps 39,12; Hi 13,28).
Keine Rettung von der Welt (V. 13.14)
Dann kommt der Prophet auf die Reaktion Ephraims (Nordreich) und Judas (Südreich) zu sprechen, angesichts der drohenden Gefahr des Gerichts: „Und Ephraim sah seine Krankheit und Juda sein Geschwür; und Ephraim ging nach Assyrien und sandte zum König Jareb“ (Hos 5,13). Sie gingen hin, um Hilfe bei den Nationen zu suchen. Die Geschichtsbücher des Alten Testaments schildern diese Begebenheit eindrücklich, bei der Israels König Menachen Hilfe bei dem Assyrischen König Pul suchte (2. Kön 15,19). Dasselbe galt für Juda. Ahas wandte sich an Tiglat Pileser5 (2. Kön 16,7). Doch dieser war unfähig, sie zu heilen und ihnen eine Hilfe zu sein. Im Gegenteil. Gott erweckte den Geist der Könige Assyriens zum Gericht gegen sein Volk (1. Chr 5,26). Damit entpuppte sich der scheinbare Beschützer und Helfer als Zuchtrute Gottes. Wie treffend sind doch die Worte des Propheten: „Der aber vermag euch nicht zu heilen und wird euer Geschwür nicht vertreiben“ (Hos 5,13).
Genauso wenig kann die Welt uns helfen in unseren geistlichen Schwierigkeiten und Versagen. Der Einzige, der Hilfe und Wiederherstellung bewirken kann, ist der Herr. Daher ruft Hosea dem Volk zu: „Kommt und lasst uns zu dem Herrn umkehren; denn er hat zerrissen und wird uns heilen, er hat geschlagen und wird uns verbinden“ (Hos 6,1; Hi 5,18).
Der Löwe im Gericht
In Vers 14 zeichnet der Prophet dann ein Bild des Gerichts, wie es Ephraim (Nordreich) und Juda (Südreich) treffen sollte. Es wird deutlich, dass es der Herr selbst sein würde, der sich gegen sein Volk wenden würde, um es zu „zerreißen“, d.h. es zu richten (Hos 5,14). Im Gegensatz zu Vers 12, wo Er sich noch im Bild der Motte und des Wurmfraßes offenbarte – Einflüsse, die auf die Vernichtung des Hauses Ephraims und Judas hinwirkten – verwendet er nun das Bild eines Löwen, mit dem Er sich vergleicht, um sein direktes Handeln in Macht und Kraft im Gericht zu symbolisieren.
Dieselbe Bildersprache gebraucht auch der Prophet Jesaja in Zusammenhang mit dem Assyrer, der Rute des Zornes Gottes (Jes 5,29; Jes 10). Damit kann der Ausdruck „Löwe“ auch als Hinweis auf den Assyrer verstanden werden, den Gott im Gericht erweckte, um sein Volk zu züchtigen (vgl. 2. Kön 17,23). Das nimmt jedoch nichts von der Wahrheit weg, dass das Gericht letztlich von Gott ausging – auch wenn Er den Assyrer als „Instrument“ dazu gebrauchte.
Die Ausdrücke „zerreißen“, „wegtragen“6 und „niemand wird erretten“ machen zudem deutlich, wie schwer und intensiv das Gericht werden würde. Wie ein Löwe seine Beute mit Gewalt zerreißt und wegträgt, würde auch Israel ohne jede Rettung dastehen und zur Beute werden.
Das macht einmal mehr deutlich, dass Gott Sünde im Leben von Gläubigen nicht tolerieren kann. Er gibt Raum zur Buße, wie Er auch Israel Raum zur Buße gab. Wenn diese jedoch ausbleibt, handelt Er in seinen Regierungswegen mit den Seinen entsprechend seiner Heiligkeit (Heb 12,5-11).
Hoffnung – die Umkehr zum Herrn (V. 15)
Zum Schluss des Kapitels spricht Hosea über den Messias und über die Zukunft Israels.
Der Rückzug des Messias
Zunächst wird von dem Messias gesagt: „Ich werde davongehen, an meinen Ort zurückkehren“ (Hos 5,15). Als der Herr Jesus vor etwa 2000 Jahren auf die Erde kam, um sein Volk von seinen Sünden zu erretten, nahm es Ihn nicht an (Mt 15,24; Joh 1,11). Stattdessen verwarf es Ihn, indem es lautstark rief: „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn“ (Joh 19,15). Nach der Kreuzigung des Messias und nach dessen Tod wurde Er nach drei Tagen auferweckt. Dann kehrte Er an seinen Ort zurück, an die Stätte seines jetzigen Aufenthaltes: zur Rechten Gottes7. An diesem Platz göttlicher Herrlichkeit wartet Er auf den Tag, an dem sich der zukünftige Überrest aus Israel schuldig bekennen, sein Angesicht suchen und zu Ihm umkehren wird: „…bis sie sich schuldig bekennen und mein Angesicht suchen“ (Hos 5,15).
Der Überrest aus Israel
Um diese Umkehr zu bewirken, wird Gott sein Volk durch schreckliche Drangsale führen. Daher spricht der Prophet von „Bedrängnis“ (Hos 5,15). Diese stellen das göttliche Mittel dar, das Volk zur Besinnung zu bringen, in der sie den Herrn eifrig suchen (Hos 6,15). Das trifft besonders auf die zweite Hälfte der Drangsalszeit zu, die der Prophet Jeremia die „Drangsal für Jakob“ nennt (Jer 30,7; vgl. Mt 24,21).8 In dieser Zeit schrecklichster Verfolgung und Leiden wird ein jüdischer Überrest im Herzen umkehren und auf den Herrn harren und Ihn suchen: „Meine Seele harrt auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen, die Wächter auf den Morgen“ (Ps 130,6). Mit der Erscheinung des Herrn Jesus in Macht und großer Herrlichkeit wird nach der langen Nacht der Erprobung ein Morgen ohne Wolken für das bußfertige Volk anbrechen (2. Sam 23,4). Dabei werden sie auf den blicken, den sie durchstochen haben (Sach 12,10-14). Welch ein Augenblick wird das sein, wenn sie den sehen werden, den sie in ihrer Bedrängnis gesucht haben (Hos 6,15).
Während Israel in der Vergangenheit vergeblich versuchte, Gott mit unbußfertigem Herzen und mit einer äußeren Form von Religiosität zu suchen (Hos 6,6), wird der Überrest Ihn in Zukunft mit bußfertigem Herzen und in Reue suchen (Mich 6,6-8). Damit erweckt der Prophet zum Ende des Kapitels die Hoffnung auf Umkehr im Herzen des Überrests.
Fußnoten
- 1 Die beiden Orte Gibea und Rama lagen an der Nordgrenze Benjamins, einem Stamm im Südreich Juda.
- 2 Ephraim bedeutet doppelte Fruchtbarkeit.
- 3 D.h. „andauerndes Gericht“
- 4 Kommentar zur Bibel
- 5 Heute geht man davon aus, dass es sich bei Pul und Tiglat Pileser um ein und dieselbe Person handelt.
- 6 Der Ausdruck „wegtragen“ lässt dabei an die Deportation des Volkes Israels denken, zunächst der zehn Stämme, die im Jahr 722/721 v. Chr. in die Gefangenschaft nach Assyrien deportiert wurden („weggetragen“; 2. Kön 17,23), als auch der Stämme Juda und Benjamin, die im Jahr 606/605 v. Chr. in die Gefangenschaft nach Babel verschleppt wurden (2. Chr 36).
- 7 Zugleich ist Er als Mensch in das Haus seines Vaters eingegangen (Joh 14,2). Dabei gilt festzuhalten, dass Er einerseits diesen Platz als ewiger Sohn nie aufgegeben hat (Joh 1,18), andererseits jedoch vom Vater auf die Erde gesandt wurde, um nach vollbrachtem Werk dorthin als Mensch zurückzukehren.
- 8 Die siebenjährige Drangsalszeit, die 70. Jahrwoche Daniels (Dan 9,25-27), die über Israel (Juda und Benjamin) kommen wird, teilt sich in zwei Hälften von je 3,5 Jahren. Die zweiten Hälfte wird dabei grausamer für das Volk der Juden sein als die erste: die große Drangsal. Dann wird der Teufel aus dem Himmel geworfen werden und der Antichrist wird sich im Tempel verehren lassen, nachdem er einen Bund mit dem zukünftigen Römischen Herrscher geschlossen haben wird. Ohne jeden Zweifel werden diese drei (Satan, der Antichrist und der zukünftige Römische Herrscher) eine satanische „Trinität“ bilden, die das Ziel verfolgt, gegen Christus aufzustehen, sodass die Treuen in dieser Zeit zutiefst leiden werden.
Quelle: bibelpraxis.de/a7982.html