Nimm deinen Sohn! (FMN)

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Es wird Abraham wohl unvorbereitet getroffen haben, wahrscheinlich in der Nacht. Gott rief ihn und forderte ihn auf: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und … opfere ihn“. Ob er wohl gedacht hat: Jetzt hast du jahrelang auf den angekündigten Sohn gewartet, und nun sollst du ihn Gott opfern?

Wir lesen von keinem Wort des Widerstands, keinem Zögern. Abraham „stand frühmorgens auf“ und tat, was Gott ihm geboten hatte. Was für ein großer Glaube! Dennoch können wir uns gut vorstellen, welche Gedanken Abraham auf der nun folgenden dreitägigen Reise bewegten. Was hatte Gott vor? Welche Absicht verfolgte Er mit der Forderung nach diesem Opfer? Was es auch war – Abraham hatte durch viele Erfahrungen gelernt, dass er Gott voll und ganz vertrauen konnte, ob er es nun verstand oder nicht.

Und so bezeugt Gott Abraham in Hebräer 11,17-19 auch einen großen Glauben: „Durch Glauben hat Abraham, als er geprüft wurde, Isaak geopfert…; wobei er urteilte, dass Gott auch aus den Toten aufzuerwecken vermag, von woher er ihn auch im Gleichnis empfing.“ Abraham glaubte also fest daran, dass Gott Isaak auch wieder aus den Toten auferwecken würde! Ein bemerkenswerter Glaube!

Gott opfert seinen Sohn

Was Abraham damals nicht wissen konnte: Seine schwerste Prüfung deutet hin auf das größte Opfer, das es je gegeben hat: Gott gab seinen Sohn als Brandopfer. Im Alten Testament werden viele Tieropfer beschrieben, die alle auf Christus hindeuten. Doch hier zieht Gott gewissermaßen einmal kurz den Vorhang beiseite und zeigt: Das Opfer ist der Sohn! „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast“. Christus ist der einzigartige (oder einzige) Sohn des Vaters (Joh 1,14). Und: „Der Vater hat den Sohn lieb“ (Joh 5,20; 3,35). Es ist wohl nicht von ungefähr, dass in 1. Mose 22 zum ersten Mal in Gottes Wort von Liebe die Rede ist – es ist die ewige Liebe des Vaters zum Sohn.

„Und zieh hin“

Wie Abraham auf der dreitägigen Reise genügend Zeit hatte, um über Gottes Auftrag nachzudenken, so hatte Gott über drei Jahrzehnte („drei Tagesreisen“) Zeit, mit seinem Sohn über diese Erde zu gehen – immer mit dem Ziel „Golgatha“ vor Augen.

Als Abraham den Ort aus der Ferne erkennen konnte, ließ er seine Diener zurück und ging allein mit Isaak die letzte Wegstrecke nach Morija. Der Auftrag Gottes sollte eine Sache zwischen dem Vater und dem Sohn allein sein. Doch seinen Dienern sagte Abraham, dass sie beide, also Abraham und auch Isaak, zu ihnen zurückkehren würden. Dies zeigt wiederum Abrahams großen Glauben (Heb 11,19).

Eine stille Wanderung

Vater und Sohn gingen also allein weiter. Das muss eine stille Wanderung gewesen sein. Wie Abraham zumute war, können wir uns vorstellen. Isaak trug das Holz für das Brandopfer, Abraham nahm Feuer und Messer in die Hand. Auch diese Einzelheit weist in zu Herzen gehender Genauigkeit auf Gott, den Vater und seinen Sohn Jesus Christus hin: Der Sohn trug das Kreuz, bevor er geopfert wurde. Gott nahm das Gericht (das „Feuer“ und das „Messer“) in seine Hand. Und so gingen Vater und Sohn „beide miteinander“, in völliger Harmonie, eins in der Liebe, in dem Willen und dem Ratschluss, das Opfer zu geben. Das Opfer des Vaters war ebenso groß wie das des Sohnes: Der Sohn gab sich selbst, der Vater gab den Sohn. Unergründliches Geheimnis der Liebe Gottes!

Wo ist das Schaf?

Isaak unterbrach die Stille mit einer Frage an seinen Vater. Wie er den Vater ansprach und wie dieser antwortete, lässt auf eine liebevolle Beziehung und gegenseitiges Vertrauen der beiden schließen. – Wie schön ist es, wenn Jüngere und Ältere sich so vertrauensvoll aneinander wenden können, auch unter Gläubigen heute! Abraham und Isaak sind uns hier ein schönes Vorbild.

Isaaks Frage zeigt, dass ihm nicht bekannt war, dass er selbst das Opfer sein sollte. Ganz anders der Herr Jesus, der immer wusste, dass Er als das Lamm Gottes zuvor erkannt war! Aber dann prophezeit Abraham mit den Worten „Gott wird sich ersehen“ etwas, was er selbst nicht erkannte: Gott selbst würde das Lamm zur Verfügung stellen, das als Brandopfer dienen konnte: seinen geliebten, einzigartigen Sohn.

Auf Morija

Schließlich war der Zeitpunkt gekommen. Sie waren am Ziel. Die Zeit des Wanderns und der Vorbereitung war vorbei. Nun musste Abraham tatsächlich tätig werden, wenn er Gott wirklich gehorchen wollte. Und das wollte er! Also baute Abraham den Altar und schichtete das Holz – und wandte sich seinem Sohn zu, um ihn zu binden. Das muss Abraham bis ins Innerste erschüttert haben! Von Isaak lesen wir nichts: keinen Widerstand, kein Fragen mehr, kein Wort 1.

Das Kreuz von Golgatha zeigt uns, warum wir von Isaak kein Wort hören: Es deutet wieder auf Christus hin, der sich in stiller Ergebenheit schlachten ließ. Er war „wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,7). Kein Wort der Klage, kein Widerstand, als Er ans Kreuz geschlagen wurde, nur stilles Dulden, stilles Leiden. Gerade in den drei Stunden der Finsternis, als Gott Ihn für alle unsere Sünden richtete (1. Pet 2,24) und Ihn zur Sünde machte (2. Kor 5,21), hören wir nichts, außer der Frage am Ende der drei finsteren Stunden, warum Gott Ihn verlassen habe 2. Anbetungswürdiger Herr!

Schließlich nahm Abraham das Messer und war tatsächlich bereit, seinen Sohn zu töten. Er war bis zum Äußersten gegangen in Gehorsam, Glauben und Vertrauen zu Gott. Nun ließ Gott nicht zu, dass er Isaak tatsächlich tötete, sondern gab einen Ersatz mit einem im Gestrüpp gefangenen Widder. Mit welchem Dank im Herzen werden Vater und Sohn dieses Tier Gott geopfert haben! Beide werden sicher tief empfunden haben, dass das Tier anstatt des zu Opfernden sterben musste.

Für den Herrn Jesus gab es keinen Ersatz. Niemand konnte seinen Platz einnehmen, wenn wir gerettet werden sollten. Ihm gehört unsere Anbetung dafür, dass Er auf Golgatha das Lamm Gottes geworden ist und sich für uns hingegeben hat!

Folge mir nach – Heft 4/2022

Fußnoten

  • 1 Dennoch wird Isaak sicher Angst gehabt haben, auch wenn er seinem Vater und auch Gott vertraute. Aber Gottes Wort spricht nicht darüber.
  • 2 Gleichzeitig ist wahr, dass wir im Alten Testament von vielen Aussprüchen und Äußerungen lesen, die prophetisch Aussagen des leidenden Christus sind (z.B. Ps 22,3).
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