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In der Apostelgeschichte wird dieser Besuch des Petrus in Antiochien nicht erwähnt, aber er fand offensichtlich nach der Entscheidung des Konzils in Jerusalem statt (Apg 15). Auf diesem Konzil hatte Petrus sich dafür eingesetzt, die bekehrten Heiden aufzunehmen, ohne ihnen das Gesetz Moses aufzuerlegen. Er hatte vom Gesetz als einem „Joch“ gesprochen, „das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten“. Aber als einige von Jakobus aus Jerusalem nach Antiochien kamen, die starre Ansichten über den Wert der Beschneidung vertraten, aß er dort nicht mehr mit den Gläubigen aus den Heiden, sondern zog sich zurück. Sein Beispiel machte Schule, und andere folgten ihm - sogar Barnabas, der früher zu Paulus gestanden hatte (Apg 15,2.12).

Vielen wäre sicher solch ein Verhalten nicht der Rede wert gewesen, eine kleine Voreingenommenheit, die man stillschweigend übergehen sollte, oder eine Laune, über die man schmunzeln könnte. Für Paulus sah das ganz anders aus. Er erkannte, dass bei dieser anscheinend unwichtigen Frage, wie Petrus seine Nahrung zu sich nahm, ernste Grundsätze auf dem Spiel standen und das Verhalten des Petrus nicht „der Wahrheit des Evangeliums“ entsprach.

Wenn wir doch nur alle begriffen, was hier mit solchem Nachdruck vorgestellt wird! Auch das größte Abweichen von der Wahrheit wird uns im allgemeinen unter dem Deckmantel scheinbar unbedeutender und harmloser Umstände präsentiert. Die meisten von uns wären versucht gewesen zu sagen: „Aber Paulus, du nimmst es wirklich peinlich genau! Dir kann man es kaum recht machen! Warum machst du solch ein Aufheben wegen einer Kleinigkeit? Wenn Petrus jetzt nur mit Juden essen will, dann lass ihn doch! Warum willst du unseren Frieden in Antiochien stören und alle unglücklich machen?“ Wir sind oft so unwissend in bezug auf Satans Listen. Er versucht uns anhand von scheinbar harmlosen Dingen von der Wahrheit abzubringen. Die Lokomotive fährt über sehr schmale Weichenzungen vom Hauptgleis auf ein Nebengleis.

Wir wollen an dieser Stelle nebenbei darauf hinweisen, dass die Vorstellung, die Kirche sei zur Zeit der Apostel ein Hort des Friedens und frei von jedem Streit gewesen, von der Schrift nicht gestützt wird. Von Anfang an musste die Wahrheit durch Kampf gewonnen und verteidigt werden - großenteils durch innere Kämpfe und nicht nur durch äußere Kämpfe mit der Welt. Wir haben kein Recht zu erwarten, heutzutage blieben Konflikte und Schwierigkeiten aus. Mit Sicherheit werden Gelegenheiten kommen, wo Frieden nur durch Kompromisse erkauft werden kann. Wer Weitblick hat und sich deshalb gezwungen sieht, seine Stimme zum Protest zu erheben, muss darauf gefasst sein, der Lieblosigkeit bezichtigt zu werden. Unterlässt man diesen Protest, bleibt der Friede erhalten, aber es ist der Friede der Stagnation und des geistlichen Todes. Der ruhigste Platz im pulsierenden Herzen einer Großstadt ist der Friedhof. Also aufgepasst!

Wenn wir nun selbst einmal in eine Lage kommen, wo wir uns moralisch verpflichtet fühlen, Stellung zu beziehen, lasst uns ernstlich beten, dass wir fähig sind, es ähnlich zu tun wie Paulus. „Aber als ich sah ..., sprach ich zu Kephas.“ Wir neigen immer dazu, unsere Beschwerden bei jemand anderem als dem Schuldigen loszuwerden. In Markus 2 sehen wir zum Beispiel, dass die Pharisäer, als sie gegen das Handeln Jesu etwas einzuwenden hatten, sich bei den Jüngern beschwerten (V. 16), und wegen des Verhaltens Seiner Jünger beschwerten sie sich beim Herrn (V. 23.24). Wir tun gut daran, uns zur Regel zu machen, wenn irgendein Einwand nötig ist, diesen direkt bei der betreffenden Person vorzubringen und nicht hinter ihrem Rücken.

Paulus tat das aber „vor allen“. Der Grund liegt darin, dass Petrus' Abweichen schon viele andere angesteckt hatte und somit zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden war. In den meisten Fällen wäre es ein Fehler, öffentlich Einwände zu machen. Manches Abweichen oder manche Schwierigkeit ist nicht allgemein bekannt geworden, und wenn die Sache mit der betreffenden Person in persönlicher Weise gewissenhaft und in Güte geregelt wird, braucht sie überhaupt nicht öffentlich bekannt zu werden. So kann manche Unruhe und ein möglicher Skandal vermieden werden. Einem Abweichen, das öffentlich bekannt ist, muss man allerdings öffentlich entgegentreten.

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