
In diesem Vers geht es darum, dass ein anderer gegen mich sündigt. Es handelt sich offenbar um eine klar ersichtliche Sünde, um ein gravierendes Vergehen eines Bruders gegen einen anderen. Diese Sünde muss „nachweisbar“ sein, so dass der sündigende Bruder auch wirklich überzeugt werden kann anhand von Fakten, nicht allein durch eine emotionale Bekundung. Das sollten wir immer bedenken, wenn wir diesen Vers in unsere Lebenspraxis übertragen wollen. Denn anscheinend gab es keinen weiteren Zeugen von der Sünde – sonst wäre ja nicht allein der Bruder gefordert, gegen den gesündigt worden ist. Zudem würde dann nicht das ausdrückliche Gebot des Herrn bestehen, die Sache im Verborgenen zu regeln – sie wäre ja gar nicht mehr verborgen.
Wer gelernt hat, demütig zu sein (Mt 18,1-14), der kann auch lernen, Sünde, die gegen ihn begangen wird, in dem Sinn zu ertragen, dass er sich nicht rächt und diese, wie man sagt, an die große Glocke hängt. Das heißt nicht, dass er Sünde einfach ignoriert und sie nicht mehr als schlimm empfindet. Eine Haltung der Demut bedeutet, dass ich bereit bin, Gnade zu erweisen, wenn jemand gegen mich sündigt; dass ich eine solche Sache nicht verbreite, sondern direkt mit der betreffenden Person bespreche; dass ich mich nicht räche für böse Dinge, die mir erwiesen werden; dass ich mich nicht gekränkt fühle, sondern selbstlos zum Wohl des Bruders handle.
Wir dürfen hier von Gott selbst lernen. Gott hat nicht darauf gewartet, dass wir unsere Sünden erkannt und weggetan haben. Wir waren ja nicht einmal in der Lage dazu. Vor Grundlegung der Welt hat Er schon beschlossen, dafür seinen Sohn zu senden. Er hat von sich aus alles getan, um dieses Problem der Sünde zu regeln. So sollen auch wir, wenn unser Bruder gegen uns sündigt, von uns aus auf ihn zugehen. Damit ahmen wir die Aktivität der Liebe Gottes nach. Der Herr Jesus hat diese offenbart: „Der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten.“ Wir können nicht erretten. Aber wir können in diesem Geist der Liebe auf den anderen zugehen. Zugleich handeln wir dann, wenn wir den Bruder zu gewinnen suchen, in einer Haltung der Gnade und Selbstlosigkeit. Wir sollen unser Gegenüber auch als Bruder (und nicht allein als Täter) betrachten und ansprechen.
„Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen.“ Das Ziel des Handelns mit meinem Bruder – ich sollte bedenken, dass es nicht um irgendwen geht, sondern um meinen Bruder, zu dem ich eine ganz persönliche Beziehung über den Herrn Jesus habe – muss sein, dass ich ihn gewinne. Es geht nicht um mich, sondern um meinen Bruder. Sein Glück, sein Wohl soll mir am Herzen liegen. Das ist ein Handeln in Liebe. Und so bin ich nur dann tätig, wenn ich wirklich gelernt habe, mich selbst zu verleugnen, mich nicht durch die Sünde eines Bruders innerlich beleidigt zu fühlen. Dann handle ich demütig und ahme meinen Herrn nach.
Quelle: bibelpraxis.de/a3422.html