Wir haben Lehrer, die uns durch die Gnade Gottes manche lange verlorene Wahrheit zurückgegeben haben. Aber der Dienst für gestern ist nicht der Dienst für heute. Gestern war Unwissenheit die vorherrschende Sünde, und deswegen waren Lehrer nötig. Heute haben wir es oft mit der Stumpfheit des Gewissens zu tun - dafür ist eines Propheten Stimme notwendig.
Wahrheit, deren Wiedergewinn diejenigen, die sie hervorgruben, Jahre von Gebet und Fasten kostete, kann jetzt durch den Gebrauch eines einzigen Traktats klar erfasst werden, ohne dass Herz und Gewissen dadurch im mindesten geübt werden. Die Folgen eines solchen Umgangs mit der Wahrheit sind erschreckend.
Eine Wahrheit ergreifen und von der Wahrheit ergriffen sein sind zwei ganz verschiedene Dinge. Sollten wir nicht zu Gott schreien um wahre Propheten, Männer von gottseligem Wandel, die begabt sind, ernst, eindringlich und ohne Rücksicht auf den eigenen Ruf sprechen? Die das lang schlummernde Gewissen aufwecken können und sich nicht fürchten, die Dinge beim Namen zu nennen, und die nicht davor zurückschrecken, das verborgene Verderben, das die Finsternis lebt, „im Licht" bloßzustellen? Niemand sage, dass die Liebe die Ausübung einer solchen Gabe verbiete. Die Liebe ruft danach. Niemand liebte wie der Meister, und doch sprach nie jemand zu den Gewissen wie Er, der nicht nur voller Gnade, sondern auch voller Wahrheit war (Joh 1,14). Solch einen Dienst haben wir sehr nötig. Selbstzufriedenheit erhält dadurch zweifellos den Todesstoß, viel „Wohlangesehenheit im Fleisch" kommt zu einem frühzeitigen Ende. Das ist sicher nicht zu bedauern.
Die Frage für uns ist, ob unser guter Name unseren Herzen mehr wert ist als Gottes Ehre. Wir haben Redner und Schriftsteller, aber ist auch dieser Dienst zu finden? Ist er verstummt aus Menschenfurcht? Der Herr erhört Gebet. Daher rufe jedes aufrichtige Herz, dem die Ehre des Herrn nahe geht, zu dem Herrn, dass Er diesen fehlenden Dienst in unserer Mitte aufrichte, in einer das Gewissen schärfenden Kraft!
Ich denke nicht daran zu empfehlen, dass man von jetzt an einseitig in den Heiligen Schriften die Prophetie des Alten und Neuen Testaments behandeln sollte. In „den letzten Tagen" aber werden wir gewiss jene Teile der Schrift besonders zu beachten haben, die von seinem Kommen und von seiner Erscheinung reden, auch von dem Weg der Treue für den Einzelnen sowie für die Gesamtheit und auch von der Stunde unserer Offenbarwerdens vor Ihm. Je mehr ich Ihn erwarte, desto mehr werde ich mich seinen damit in Beziehung stehenden Ansprüchen mit Interesse zuwenden.
In dieser Hinsicht gibt es, wie mir scheint, manches zu verbessern. Etwas von jener bequemen und oft ungehörigen Denkweise liegt uns nahe, sich nur mit dem Erbaulichen und Schönen im Wort zu beschäftigen, das jedoch zu meiden, was etwas Mühe des Erforschens und Übungen für Herz, Gewissen und Verstand bedeutet.
EuE 1957, S. 136
Quelle: bibelpraxis.de/a1812.html