Einige kommentierende Bemerkungen zu: „... ihr alle aber seid Brüder – eine geschichtliche Darstellung der „Brüderbewegung“

Lesezeit: 17 Min.

In seinem im Jahr 2004 veröffentlichten Buch – „... ihr alle aber seid Brüder – eine geschichtliche Darstellung der „Brüderbewegung“ [Fußnote 1] – unternimmt Andreas Steinmeister den Versuch, die letzten knapp 200 Jahre der sogenannten Brüderbewegung nachzuzeichnen. [Fußnote 2] Schon der Text auf dem Buchrücken macht deutlich, dass es ihm nicht darum geht, diesen Teil der gesamten Kirche (Versammlung, Gemeinde) nur unkommentiert zu betrachten. Steinmeister hofft, „dass wir vielleicht doch aus der Vergangenheit lernen könnten und uns vor falschen Wegen, d.h. vor solchen Wegen, die von der Schrift abweichen, bewahren lassen “ (S. 10). Er erhebt mehrfach den Anspruch, „die Tatsachen so objektiv wie möglich darzustellen“ (S. 10).

[Fußnote 1: Daniel Verlag, Retzow. Ende der Fußnote]

[Fußnote 2: Brüderbewegung nennt man die Strömung unter den Christen, die aus der Erweckungsbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist, die ihren Anfang in Dublin mit William Stokes, Francis Hutchinson, John Vesey Parnell (Lord Congleton), Edward Cronin, John Gifford Bellett usw. nahm, und die sehr stark von Brüdern wie John Nelson Darby, Georg Müller, William Kelly, Carl Brockhaus usw. geprägt war. „Brüderbewegung“ sagt man deshalb, weil sich die gläubigen Männer in Anlehnung an Matthäus 23,8 „Brüder“ nannten. Sie selbst haben aus Überzeugung jeden Namen abgelehnt, da die Schrift nur den „Namen“ Versammlung (Kirche, Gemeinde) kennt, zu der alle Gläubigen gehören. Eine Namensgebung ist aus Sicht der „Brüder“ spaltend und sektiererisch. Die „Brüder“ Anfang des 19. Jahrhunderts hatten das Ziel, wieder zu dem zurückzukehren, „was von Anfang an“ (vgl. 1. Joh 1,1) gelehrt worden war. So haben sie gewissermaßen die biblische Wahrheit wieder neu belebt, besonders die Wahrheit über den einen Leib, die himmlische Berufung und die herrliche Hoffnung des Christen, die kein geistlicher Besitz der Christen mehr gewesen war, erkannt und neu belebt zu haben. Über alles ging es ihnen um Christus – die personifizierte Wahrheit. Ende der Fußnote]

Der Inhalt des Buches

Das Buch, das knapp 300 Seiten umfasst, gliedert sich in vier Kapitel:

1. Zunächst wird die Anfangszeit unter dem Stichwort „geistliche Erweckung“ beleuchtet. Diese Überschrift wird für die Zeit von 1825 bis 1845 gewählt. Hier geht der Autor auf die Anfänge der Brüderbewegung ein, in denen sich manche Gläubige aus den Staatskirchen trennten und dann schlicht in Wohnungen etc. zusammenkamen, um das Abendmahl einzunehmen. Besonders die Geschichte John Nelson Darbys (1800–1882), der die Brüderbewegung sehr beeinflusste, wird beleuchtet (S. 12–62).

2. Im zweiten Abschnitt wendet sich Steinmeister den Trennungen inmitten der „Brüder“ zu. Betrachtet wird die Zeit von 1845 bis 1937. Er geht besonders auf folgende Trennungen ein: 1848 (Plymouth, Bethesda), die u.a. J. N. Darby und Georg Müller voneinander trennte; 1879–1881 (Ryde-Ramsgate), die J. N. Darby und William Kelly voneinander trennte; 1909 (Tunbridge-Wells) (S. 63–142).

3. Im dritten Abschnitt geht der Autor auf die Entwicklungen in der Zeit von 1937 bis 1950 ein, also auf die Folgen des Verbotes der Zusammenkünfte der so genanten „geschlossenen Brüder“ in Deutschland. Hier geht es um den Weg vieler „Brüder“ in den „Bund freikirchlicher Christen“ (BFC), der zusammen mit den offenen Brüdern beschritten wurde, und dann um den Zusammenschluss des BFC mit den Baptisten im „Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden“. Im Anschluss an den zweiten Weltkrieg beleuchtet Steinmeister das Nebeneinander von sogenannten „bundesfreien“ Versammlungen und „alten“ Versammlungen (S. 143–190).

4. Im vierten und umfangreichsten Kapitel betrachtet der Schreiber die Zeit von 1950 bis heute. In einem kurzen, historischen Abriss geht er auf einige Einzelheiten unter den sogenannten „geschlossenen Brüdern“ ein, um dann für die heutige Zeit eine Gliederung der Brüderbewegung in vier „Versammlungsgruppen“ vorzunehmen: Bundesgemeinden, bundesfreie Gemeinden, geschlossene Versammlungen, blockfreie Gemeinden. Steinmeister gibt an, sich den Geschwistern eng verbunden zu fühlen, „die zu der (wie manche Außenstehende es zu nennen pflegen) ‚alten Versammlung‘ oder der ‚geschlossenen Versammlung‘ gehören (obwohl ich diese Ausdrücke völlig verwerfe)“ (S. 191), allerdings mit einer Reihe von kritischen Überlegungen, was ihre Praxis und Lehre betrifft, die er in diesem Kapitel ausführt (S. 191–283).

An den Schluss des Buches stellt Steinmeister eine Art eigenes „Glaubens- und Gemeindebekenntnis“, das er in 13 Punkten zusammenfasst.

Brüdergeschichte – warum?

In der Beurteilung dieses Werkes von Andreas Steinmeister stellt sich zunächst die Frage, ob es überhaupt opportun ist, eine „Brüdergeschichte“ vorzulegen. Ein häufig dagegen vorgebrachtes Argument ist, dass man in der Regel entweder zu einer Art Verehrung oder zu einer vernichtenden Kritik kommt. Beiden Gefahren erliegt der Autor des vorliegenden Buches nicht. Auch müssen wir bedenken, dass die Bibel selbst – hier natürlich inspiriert – zwei Kirchengeschichten vorlegt: die Apostelgeschichte, die uns die ersten Jahre der Kirche auf der Erde vorstellt (nebenbei bemerkt zusammen mit dem Lukasevangelium das längste Buch des Neuen Testaments), und in der Offenbarung die Kapitel 2 und 3, die die Kirchengeschichte vom Ende des 1. Jahrhunderts an bis in die Zeit nach der Entrückung darstellen.

Auch im Alten Testament stellen die Propheten den Juden und Israeliten immer wieder ihre eigene Geschichte und das Handeln Gottes vor, um sie auf den Weg zu ihrem HERRN zurückzubringen. Natürlich lernen wir nicht aus der Geschichte als solcher. Für uns bedeutet „lernen“, dass wir die (vergangenen) eigenen Wege oder die der geistlichen „Väter“ anhand des ganzen Wortes Gottes zu prüfen haben – das ist der alleinige Maßstab für jede Beurteilung, um daraus die richtige Konsequenz für die Zukunft zu ziehen. Insofern bedarf „eine geschichtliche Darstellung der ‚Brüderbewegung‘“ der „Kommentierung“ der Schrift selbst, wenn sie zum Nutzen sein soll. Übrigens hat schon im 19. Jahrhundert einer der „Brüder“, Andrew Miller, eine sehr umfangreiche, kirchengeschichtliche Abhandlung vorgelegt.

Eine dritte Gefahr beim Verfassen einer geschichtlichen Darstellung ist die subjektive Position des „Historikers“. Im kirchlichen Bereich kenne ich kein Werk, das nicht mehr oder weniger dieser Gefahr erlegen ist. Das muss beim Lesen solcher Werke berücksichtigt werden. –

Im Folgenden möchte ich – mehr skizzenhaft – einige kritische Bemerkungen zu dem Buch machen. Wenn dabei die (vermeintlichen) Schwachpunkte überwiegen, muss das nicht heißen, dass das Buch eher schwächer ist. Es ist in der Regel leichter, in einem Buch von nahezu 300 Seiten Mängel im Einzelnen zu behandeln, als ausführlich seine Vorzüge darzulegen.

Positive Anmerkungen

* Dieses Buch ist für jemanden, der die Brüderbewegung selbst nicht kennt oder über keine familiären Informationen verfügt, was die Anfänge betrifft, ein guter Einstieg. Die wesentlichen Etappen der Brüderbewegung werden genannt und dargestellt.

* In einer Zeit, in der sich (junge) Menschen weniger denn je mit der (eigenen) Geschichte auseinandersetzen, ist dieses Buch ein nützlicher Anstoß.

* Für diejenigen, die über das eine oder andere „geschichtliche“ Buch über die „Brüder“ verfügen, stellt dieses Werk eine interessante Abrundung und Ergänzung dar.

* Wer gerne die kirchliche Positionierung der Autors kennenlernen möchte, wird in diesem Buch fündig; nicht nur mit Hilfe des am Ende stehenden Glaubensbekenntnisses, sondern auch durch die immer wieder eingestreuten Kommentierungen.

* Wer will bestreiten, dass es manche gefährlichen Entwicklungen innerhalb der Brüderbewegung gab und gibt? Es ist nützlich, die eigene kirchliche Position von Zeit zu Zeit neu beleuchten zu lassen, um dann anhand des Wortes Gottes zu einer gefestigten, aber bibel-fundierten Überzeugung zu gelangen. Für einen solchen Prozess bietet das vorliegende Buch eine gute Hilfe, denn es benennt manchen Punkt zum Nachdenken. Dabei geht es natürlich nicht darum, sich einen Platz innerhalb der sogenannten Brüderbewegung zu suchen, denn diese finden wir nicht in der Bibel.

* Gerade über die Zeit nach 1950 findet sich unter den „Brüdern“ nicht viel Literatur. Dieses Buch bietet einen anerkennenswerten Versuch, diese Zeit einmal unter die Lupe zu nehmen. Einen solchen Diskussionsbeitrag kann und sollte man ernst nehmen.

* Das Buch liest sich sehr flüssig und ist interessant geschrieben, vielleicht bis auf den etwas zähen Einstieg mit unnötigen, geschichtlichen Fachbegriffen (S. 15), die nicht wirklich weiterhelfen. Aber insgesamt liest man dieses ja nicht ganz kurze Werk gerne und freut sich auf die „Weiter-Lektüre“.

Welche Probleme fallen beim Lesen des Buches auf?

* Kann man in knapp 300 Seiten eine wirklich ausgewogene, abgerundete Beleuchtung von rund 200 sehr ereignisreichen Jahren unterbringen, ohne der Gefahr zu erliegen, in subjektiver Weise zeitlich und thematisch zu selektieren?

* Der mehrfach erhobene Anspruch, „möglichst objektiv“ zu schreiben, wird der Realität des Buches nicht gerecht. Allein die teilweise nicht nachvollziehbare enge Auswahl von Dokumenten, Lebensläufen und Ereignissen (insbesondere in den Kapiteln 1, 2 und 4) lässt Zweifel aufkommen.

* Dem Leser erschließt sich nicht, warum bestimmte Lebensläufe (z.B. J. N. Darby) sehr ausführlich behandelt werden, andere dagegen nur gestreift werden (Carl Brockhaus, Rudolf Brockhaus, aber auch W. Kelly), obwohl diese für den deutschen Leser und die deutsche Brüderbewegung teilweise von besonderer Bedeutung waren und sind. Gleiches gilt für die beschriebenen Trennungen.

* In einer „geschichtlichen Darstellung“ in deutscher Sprache erwartet man, auch die ersten Jahrzehnte der deutschen Brüdergeschichte beleuchtet zu finden. Diese Hoffnung wird enttäuscht.

* Man stellt sich daher die Frage: Warum findet eine solche Selektion statt? Offenbar, weil das Ziel nicht so sehr die (analytische) Darstellung der Ereignisse ist, sondern die Konsequenz für die heutige Zeit für einen bestimmten Teil der Brüderbewegung im Vordergrund steht. Kann man eine solche Konsequenz „möglichst objektiv“ ziehen, wenn man dem Leser nicht die Breite des zur Verfügung stehenden (oder zu suchenden) Materials offeriert? An dieser Stelle hätte der Autor gerade für die deutschen Leser einen Mehrwert schaffen können.

* Das Buch besticht nicht dadurch, dass es eine Faktensammlung vornimmt, die dann in gesonderten Kapiteln begutachtet wird. Vielmehr werden immer wieder zwischendurch persönliche Kommentare des Autors eingefügt, die den Schluss nahe legen, dass dieses Buch einen anderen Zweck als die „geschichtliche Darstellung der ‚Brüderbewegung‘“ verfolgt. Auch findet dadurch eine Art Bevormundung des Lesers statt, dem offenbar nicht zugetraut wird, sich ein selbstständiges Urteil zu bilden (was nicht nur ein Schwachpunkt dieses Buches ist!).

* Wirklich neues Material kann man auf den ersten Blick in diesem Buch kaum erkennen, selbst für die Zeit nach 1950 nicht. Ein solcher Anspruch wird zwar nicht gestellt. Aber erwartet man nicht, wenn eine neue historische Darstellung angeboten wir, dass sie über die Zusammenfassung existierender Quellen auch neue anbietet?

* Insbesondere erwartet man Material über die neuere Zeit in allen „Richtungen“ der Brüderbewegung. Ein großer Teil des letzten Kapitels berichtet ausschließlich über den kirchlichen Bereich, in dem sich Andreas Steinmeister aufhält. Für eine ausgewogene geschichtliche Darstellung der Brüderbewegung müssten auch die anderen Strömungen weiter verfolgt werden, es sei denn dass man das Thema von vornherein auf einen Teil der Brüderbewegung konzentrieren wollte.

* Durch die am ausführlichsten geratene Darstellung des vierten Kapitels kommt der Leser zu dem Schluss, dass darin offenbar das Ziel der Arbeit liegt. Diese Aufgabenstellung, so sie denn aus Sicht des Autors vorliegt, sollte deutlicher herausgearbeitet werden, zum Beispiel im Titel und im Vorwort.

* Die Umschlagseite 1 erweckt den Anschein, dass das vorliegende Werk gewissen wissenschaftlichen (nicht überzogenen) Ansprüchen genügt. Wenn man dann die Fußnoten betrachtet, stellt man fest, dass die einzelnen Kapitel oftmals nichts anderes sind als Zusammenfassungen und die Auswahl von jeweils einem Werk (einer Quelle), in Kapitel 3 von zweien. Beispielsweise wird in Kapitel 2 ständig auf die in holländischer Sprache vorliegende Brüdergeschichte von W. J. Ouweneel (im Deutschen existiert ein Übersetzungsmanuskript) verwiesen. Das führt zu der Frage, ob man sich dann nicht besser diese Originalquellen anschaut, um zu einem umfassenderen (und möglicherweise ausgewogeneren) Einblick zu kommen. Natürlich kann man sich auf gute Quellen beziehen. Aber ein häufiger Verweis auf einzelne Quellen stellt den Mehrwert eines neues Werkes in Frage.

* Was das Kapitel 4 betrifft, so mag man als Leser die Auffassung von Andreas Steinmeister teilen (oder auch nicht). Allerdings ist es nahezu unmöglich, auf Basis der im Buch vorgelegten dünnen „Aktenlage“ zu einem fundierten Urteil zu kommen. Auch die Tatsache, dass manche Ereignisse ohne Namensnennung und/oder ohne jegliche Begründung (S. 197.211) erwähnt werden und dem Leser eine Meinung vorgestellt wird, die er überhaupt nicht einordnen und prüfen kann, wirft manche Fragen zur Vorgehensweise und zum Ziel auf.

* Ein Beispiel für die selektive Vorgehensweise: Um eine bestimmte Problematik und Schwäche in der Praxis zu untermauern, werden zwei Briefe von Otto Müller sehr ausführlich zitiert. Wie glaubwürdig ist dieser Bruder? In welcher Weise hat dieser Bruder integrierend und helfend inmitten der Geschwister gedient? Welchen genauen Einblick besaß dieser Bruder? Warum wird genau ein Antwortbrief, und zwar aus dem Ausland, als Antwort zitiert? Gab es keine anderen Reaktionen? War Hans Gschwind in der Schweiz wirklich am besten in der Lage, die von Otto Müller identifizierten Schwachstellen in Deutschland zu bestätigen? Wurden – aus welchem Grund auch immer – keine weiteren Nachforschungen angestellt? Warum kommen keine anderen Zeitzeugen zur Sprache?

* Erstaunlicherweise übergeht Steinmeister bei der Identifizierung der verschiedenen Strömungen unter den Brüdern (S. 225) ein Gruppe von „extrem geschlossenen Versammlungen“ (Gemeinden, Kirchen), die wie die sogenannten „blockfreien Gemeinden“ von den sogenannten „geschlossenen Versammlungen“ getrennt sind. Die entsprechende Trennung wird zwar erwähnt (S. 223 f.), auch der zumindest zeitweise Ton angebende Ort (Den Helder). Aber als „Versammlungsgruppe“ wird sie übergangen, obwohl sie in Europa (Deutschland, Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, usw.) bis heute eine Rolle spielt.

Theologische Standpunkte

An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, alle Standpunkte im Einzelnen zu untersuchen. Es werden hier nur drei wichtige Aspekte diskutiert:

1. Verbundenheit von Versammlungen (S. 247.262)

Steinmeister schreibt auf S. 244: „Den Ausdruck ‚Einheit des Leibes‘ gibt es so in der Bibel nicht. Das wollen wir als Erstes beachten.“ Eine Seite später heißt es dann zu „unabhängige Versammlungen“: „Auch diesen Ausdruck gibt es nicht in der Schrift. Es gibt dort weder ‚abhängige‘ noch ‚unabhängige‘ Versammlungen.“ Man ist dann allerdings überrascht, auf einmal auf den Begriff „geistliche Verbundenheit von Versammlungen“ (S. 247.261) zu stoßen – ein Ausdruck, den man ebenfalls nicht im Neuen Testament findet (S. 266).

Die Frage ist: Welche(r) Begriff(e) gibt (geben) die biblische Wahrheit am besten wieder? Es geht nicht um Haarspalterei! Aber die in diesem Buch eingeführte Begriffsdifferenzierung gibt Anlass zu diesem kurzen Diskurs.

a) Einheit des Leibes: In Epheser 4,4 lesen wir: „Da ist ein Leib“. Im Neuen Testament wird immer wieder betont, dass es (nur) einen Leib gibt (Eph 4,4; 1. Kor 10,17; 12,12.13; Röm 12,5; usw.). Das Kennzeichen der von Gott gebildeten Versammlung (Kirche, Gemeinde) ist also Einheit. Genau das wird mit diesem Begriff ausgedrückt.

b) Abhängige und unabhängige Versammlungen: Wenn von Versammlungen in der Mehrzahl gesprochen wird, können nur örtliche Versammlungen gemeint sein. Was ist das Wesen der örtlichen Versammlung? Es unterscheidet sich nicht von dem Wesen der Versammlung weltweit bzw. nach dem Ratschluss Gottes. Das machen Stellen wie 1. Korinther 12 sehr deutlich: In Vers 28 ist von „der Versammlung“ die Rede – hier geht es um den weltweiten Aspekt. In Vers 27 heißt es: „Ihr aber seid Christi Leib“ – ihr, die Korinther; das ist der örtliche Aspekt. Aber für den örtlichen Aspekt wird derselbe Ausdruck (Leib) benutzt, wie er an anderer Stelle für den weltweiten Aspekt verwandt wird (Eph 4,4). Umgekehrt wird der Ausdruck Versammlung, der in 1. Korinther 12,28 den weltweiten Aspekt zeigt, ebenfalls für den örtlichen benutzt (Mt 18,17). Dadurch wird deutlich: Die örtliche Versammlung ist nichts anderes als die weltweite, reduziert auf den jeweiligen Ort. Sie ist damit die Vergegenwärtigung, Repräsentation des Ganzen an einem bestimmten Ort. Das trifft auf alle örtlichen Versammlungen (Gemeinden, Kirchen) zu, die sich in Übereinstimmung mit der neutestamentlichen Lehre der Versammlung Gottes aus reinem Herzen (vgl. 2. Tim 2,22) versammeln. Damit ist deutlich, dass sie nicht voneinander unabhängig sein können, denn sie sind der örtliche Ausdruck desselben Organismus. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie direkt voneinander abhängig sind (indem man zum Beispiel jedwedes Urteil unausweichlich und endgültig mittragen muss), wohl aber über Christus als dem Haupt, der göttliche Entscheidungen am Ort herbeiführt – mit verbindlichem Charakter für die ganze(n) Versammlung(en) Gottes auf der Erde.

c) Verbundenheit: Damit sind wir bei dem von Steinmeister eingeführten Begriff: Beschreibt er in zutreffender Weise die Beziehung zwischen zwei örtlichen Versammlungen? Wenn zwei Versammlungen nichts anderes sind als der Ausdruck der weltweiten Versammlung, sind sie nicht nur miteinander verbunden. Dann haben sie dasselbe Wesen, sie haben dieselben Ziele, sie haben denselben Inhalt. Solange sie also „Versammlung“ sind, weil sie die Kennzeichen der weltweiten Versammlung tragen, sind sie untrennbar miteinander verbunden, verwoben. Sie stellen eine Einheit dar, natürlich über das Haupt, Jesus Christus, und im Rahmen der Versammlung, so wie Er sie gegeben hat. Kommt dieser Gedanke in dem Wort „Verbundenheit“ zum Ausdruck? Natürlich sind Eheleute miteinander „verbunden“. Aber es ist mehr als das! Sie sind (an und für sich) untrennbar, sie bilden eine Einheit; und das ist mehr als eine mehr oder weniger feste oder lose, geistliche Verbundenheit.

2. „Wann können Versammlungen sich von Versammlungen trennen?“ (S. 267).

Andreas Steinmeister nimmt offensichtlich die Art und Weise, wie in den letzten Jahren unter den sogenannten „geschlossenen Versammlungen“ Trennungen vorgenommen wurden, zum Anlass, an dieser Stelle seine eigenen Überzeugungen weiterzugeben. Er sieht für den Fall, dass eine örtliche Versammlung (Gemeinde, Kirche) nicht mehr biblischen Ansprüchen genügt, die Verantwortung bei den überörtlichen Gaben des Herrn – Lehrern und Hirten – und vor allem beim Herrn (S. 268), die bzw. der sich um dieses Problem kümmern mögen (mag). Steinmeister verweist zu Recht darauf, dass es eine Trennung nur bei dem „Sauerteig falscher Lehre“ oder dem „Sauerteig von moralisch Bösem“ erfolgen darf (so, wie die Schrift diese Begriffe gebraucht). Eine Trennung ist dann nötig, wenn eine örtliche Versammlung auch nach intensiven Bemühungen die biblischen Gedanken der Versammlung Gottes nicht mehr verwirklicht. Der Autor fügt dann an: „Eine solche Trennung kann auch nicht allen anderen Versammlungen verbindlich auferlegt oder diktiert werden“ (S. 269).

Die Ausführungen von Steinmeister lassen darauf schließen, dass er die Verbindung zwischen örtlichen Versammlungen allein unter dem Gesichtspunkt „geistliche Verbundenheit“ sieht. Denn dann sind örtliche Versammlungen in der Tat nicht (im positiven wie im negativen Sinn) füreinander verantwortlich. Wenn man dagegen den neutestamentlichen Gedanken, „da ist ein Leib“ (Eph 4,4), für diese Frage heranzieht, sieht man, dass die örtliche Versammlung A nichts anderes ist als die örtliche Versammlung B – nur an einem anderen Ort. Kann sich nun eine örtliche Versammlung aus der Verantwortung herausziehen, wenn sie an ihrem Nachbarort feststellt, dass dort unbiblische Lehre oder Praxis eingeführt wird? Natürlich nicht! Sie würde den Grundsatz von Epheser 4,4; 1. Korinther 10,17; 12,12.13 usw. verletzen. Dazu kommt die wichtige Verantwortung, die Paulus in Verbindung mit dem „Hinaustun“ in 1. Korinther 5,12 betont: „Ihr, richtet ihr nicht die, die drinnen sind?“ Natürlich geht es dort zunächst um einzelne Personen. Aber wenn Versammlung A eine Person Z nicht zum Brotbrechen aufnehmen kann, wie kann sie dann grundsätzlich Personen von einer Versammlung B aufnehmen, die eine solche Person aufnimmt? Bin ich dafür als örtliche Versammlung verantwortlich – oder sind es allein einzelne, überörtlich arbeitende Hirten und Lehrer? Wenn Versammlung A mit einer Versammlung B keine praktische Gemeinschaft mehr üben kann, kann dies auch Versammlung C nicht mehr tun – denn sie ist nichts anderes als Versammlung A, nur am Ort C.

3. „Glaubensbekenntnis“ (S. 270 ff.)

Man kennt solche Glaubensbekenntnisse von manchen Glaubensmännern und aus manchen Versammlungen (Gemeinden, Kirchen). Wenn man sie als Anregung verstanden wissen will (S. 270), zum rechten Verständnis der biblischen Wahrheit über die neutestamentliche Versammlung zu kommen, gut. Und eine Reihe von Punkten kann man nur unterstreichen. Aber in einem Buch, in dem es offenbar um die Zielfrage geht, mit wem kann man sich heute noch auf biblischer Basis „als Versammlung“ versammeln, entstehen bei einem solchen, in 13 Punkten zusammengefassten Credo sofort Fragen:

a) Welche Punkte sind Grundbedingung, um noch „als Versammlung“ zusammenzukommen? In Punkt 10 ist beispielsweise davon die Rede, dass etwas „mit aller Entschiedenheit“ zu tun ist. Und was, wenn nicht? Oder nicht ganz? Ist das dann eine neue Bedingung für die Aufnahme zum Brotbrechen?

b) Ist die Frage der sogenannten „Glaubenstaufe“ wirklich so grundlegend? Für solche Gläubigen, die der sogenannten Haustaufe nahe stehen, müssen an dieser Stelle Fragezeichen entstehen. Und wie sollen Geschwister dann, die die Glaubenstaufe für biblisch halten, mit Geschwistern umgehen, die die Haustaufe lehren und praktizieren?

c) Was geschieht, wenn jemand noch zwei weitere Punkte für wesentlich hält?

d) Den Leser interessiert natürlich auch, inwiefern sich dieses Glaubensbekenntnis mit demjenigen von Brüdern deckt (oder davon unterscheidet), die in dem Buch ausführlich zur Sprache kommen.

e) Passt ein solches persönliches Glaubensbekenntnis zu „eine(r) geschichtliche(n) Darstellung der ‚Brüderbewegung‘“?

f) Ein sehr heikler Punkt im Glaubensbekenntnis ist Punkt 8. Auf S. 277 heißt es dort in Bezug auf die Aufnahme eines Gläubigen, der bislang nicht bekannt ist: „Sollten schriftgemäße Einsprüche erhoben werden, können diese Gläubigen zunächst nicht am Brotbrechen teilnehmen.“ Richtig ist, dass diese Gläubigen aufgrund der schriftgemäßen Einsprüche gar nicht am Brotbrechen teilnehmen können, jedenfalls so lange nicht, bis diese Gründe nicht mehr vorliegen.

Im weiteren Verlauf verweist der Autor zu Recht darauf, dass sogenannte „Trennungsbriefe“ ausreichende, nämlich biblische, Gründe für die Notwendigkeit einer Trennung angeben müssen. „Andererseits können wir solche Briefe auch nicht einfach übergehen ...“ (S. 278). Hier findet erneut eine Aufweichung der biblischen Prinzipien statt. Richtig ist, dass man solche Briefe überhaupt nicht übergehen darf. Wenn Versammlung A in praktischer Gemeinschaft mit Versammlung B ist, geht sie grundsätzlich davon aus, dass Versammlung B die biblischen Gedanken über die Versammlung Gottes zu verwirklichen sucht. Täte sie das nicht, wäre sie nicht mit Versammlung B in Gemeinschaft. Gerade deshalb ist die Verantwortung von Nachbarversammlungen (der Versammlung B) so groß, da sich die anderen auf ihr Urteil stützen, so lange es keine anderen, nachweisbaren Tatsachen gibt.

Es heißt dann weiter: „Sollten solche Geschwister [die aufgrund einer Trennung, die von Nachbarversammlungen bzw. Brüdern dieser Versammlungen mitgeteilt wurden, nicht mehr in praktischer Gemeinschaft beim Brotbrechen mit einer Versammlung A sind] trotz Briefes aufgenommen werden, bedeutet das nicht automatisch, dass an ihre Heimatversammlung ebenfalls Empfehlungsbriefe ausgestellt würden, aber doch, dass man mit dem Inhalt des Briefes Probleme hat. Gegebenenfalls wird man das den Versammlungen auch per Brief mitteilen“ (S. 278.279). Folgendes ist hier anzumerken:

A) Natürlich kann es immer sein, dass in einer solchen Versammlung B, von der sich die anderen Versammlungen trennen mussten, Unwissende sind. Diese wird man in Liebe und Gnade, mit den entsprechenden Hinweisen über den Zustand der Versammlung B, aufnehmen. Denn solche Personen kommen mit einem reinen Herzen (2. Tim 2,22) und werden nicht aufgrund eines mangelhaften Verständnisses abgewiesen. Führer und solche Geschwister der Versammlung B, die sich bewusst für den eingeschlagenen Weg entschieden haben, gehören nicht zu dieser „Kategorie“.

B) Falls man andere als unwissende Gläubige aus der Versammlung B zulässt, sagt man damit nichts anderes als: Versammlungen A usw. irren, die mit Versammlung B keine Gemeinschaft mehr haben (wollen). Daher haben wir nicht nach ihrem Urteil zu handeln. Damit aber handelt man im Widerspruch zu der Ermahnung von Epheser 4,3, die Einheit des Geistes zu bewahren. Die Einheit wird mit einem solchen Handeln aufgegeben. „In jenen Tagen ... tat jeder, was recht war in seinen Augen“ (Ri 21,25).

C) Was ist der biblische Weg? Sich mit Versammlungen A usw. zu beschäftigen und sie auf ihr Irren hinzuweisen, falls dieses vorliegt (vgl. z. B. Apg 15; Eph 4, 1–4; 1. Kor 12,25 usw.). Falls Versammlungen A usw. nicht bereit sind, ihren Fehler zu korrigieren (so einer vorliegt), kann ich mit diesen Versammlungen keine Gemeinschaft mehr haben, möglicherweise dafür aber wieder mit Versammlung B. Gemeinschaft mit Versammlung A und („wissenden“) Gläubigen der Versammlung B zu haben bedeutet, die Einheit aufgegeben zu haben und in unabhängiger, das heißt selbstständiger Weise zu handeln. Das ist im Widerspruch zu Epheser 4.

D) „Gegebenenfalls ... mitteilen“: Es ist die heilige Pflicht, vor einem Handeln im Gegensatz zu einer Mitteilung, die von Versammlungen A usw. erfolgte, mit diesen intensiven Austausch gehabt zu haben. Alles andere weicht die biblische Wahrheit des „einen Leibes“ auf und führt zu Spaltungen.

Zum Schluss

In Vorträgen (vgl. S. 10) kann man, wenn man die Brüdergeschichte behandelt, selektiv, beispielhaft vorgehen. Ein Buch muss andere Anforderungen erfüllen, denen das vorliegende Werk leider nicht stand hält. Besonders die Vermischung von historischen Daten und persönlichen Überzeugungen erschweren ein unvoreingenommenes Weiterlesen. Auch die oben aufgeführten Punkte führen unweigerlich zu der Frage, wie der Autor zu der biblischen Wahrheit der Einheit steht. Das Buch gibt manche nützlichen Anregungen zum Nachdenken. Und wenn man die genannten Fragen im Hinterkopf hat, wird man nicht zu Fehlschlüssen kommen, zugleich jedoch in der Lage sein, Nutzen aus mancher (berechtigten) Kritik zu ziehen. Und sich dieser zu stellen, ist für jeden Gläubigen wichtig.

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