Gott ist mehr als genug (von Jim Berg) – eine Buchbesprechung

Lesezeit: 13 Min.

Inzwischen kennen auch manche Christen in Deutschland Jim Berg. Er war viele Jahre Dekan an der Bob Jones Universität (BJU) in South Carolina, einer konservativen theologischen Ausbildungsstätte in den USA. Im Deutschen wird außer dem Buch „Gott ist mehr als genug" besonders das Arbeitsbuch „Verändert in sein Ebenbild" beworben. Dazu liegt ebenfalls eine Buchbesprechung vor (siehe unten unter weiterführenden Links).

Ziel des Buches „Gott ist mehr als genug" ist es, bei Gläubigen ein Bewusstsein zu bewirken, ob und welche Störgefühle in seiner Seele vorhanden sind. Der Christ soll diesen auf den Grund gehen und bei dem, was störend ist, ein Bekenntnis im Selbstgericht ablegen, um sich neu Gott zu öffnen. Darum behandelt Jim Berg im zweiten Teil Eigenschaften Gottes: Treue, Liebe, Barmherzigkeit, Weisheit. Dadurch möchte er ermutigen, in allem Gott zu sehen als den, der für alle Lebensumstände mehr als genug ist.

Positive Aspekte

  • Gott soll uns mehr erfüllen: Das große Anliegen Jim Bergs besteht darin, dass wir uns nicht durch Umstände, nicht durch Probleme, nicht durch Menschen, nicht durch eigene Unzulänglichkeiten davor verschließen, dass Gott für alle unsere Fragen und Probleme genügt. Er hat für alles eine Antwort. Das heißt nicht, dass wir nicht unsere Glaubensgeschwister nötig haben. Aber letztlich kommt es auf Gott und unsere Beziehung zu Ihm an.
  • Gottes Wort als Grundlage von Überzeugungen: Jim Berg ist es immer wieder ein Anliegen, nicht Menschenmeinungen vorzustellen, sondern Gottes Wort als Grundlage seiner Belehrungen und biblischer Seelsorge zu benutzen. Letztlich kann eine Seele nur innerlich zu Ruhe kommen, wenn sie sich auf Gottes Wort stützt.
  • Tägliche Bibellese: Dazu gehört auch, dass Berg dafür wirbt, täglich die Bibel zu lesen, um den richtigen Kompass für den Tag zu haben. Wir vergessen das so leicht und wundern uns dann, dass wir im täglichen Leben kein Gleichgewicht finden. Genauso ermutigt der Autor des Buches dazu, regelmäßig die christlichen Zusammenkünfte aufzusuchen - ein aktueller Appell, der für uns alle wichtig ist.
  • Gedanken müssen die Gefühle bestimmen, nicht umgekehrt: Jim Berg weist mit Recht daraufhin, dass es sehr gefährlich ist für unser Glaubensleben, wenn Gefühle unsere Gedanken und Meinungen und unsere Einstellung zum Leben und zu anderen Menschen bestimmen. Wie in dem biblischen „Konzept" des Menschen die Reihenfolge lautet: Geist - Seele - Körper, so muss es auch in unserer Lebenspraxis sein. Wir lassen uns leicht durch unsere Gefühle prägen, statt die Gefühle durch Gottes Wort zu beurteilen und dann durch feste Überzeugungen unsere „Stimmung" neu auszurichten. Gerade in der Arbeit des Hirtendienstes ist dieser Aspekt sehr wichtig.
  • Unzufriedenheit: Auf den Seiten 60 ff. beschreibt Berg sehr anschaulich die Gedanken unserer Unzufriedenheit. Es mag nur eine der verschiedenen Ursachen dieser Haltung sein, die er anführt. Aber die Beispiele sind sehr eingängig und offenbaren, wie schnell wir uns in einer solchen Haltung verfangen und dann auch falsche Gedanken die Folge sind, statt diese Unzufriedenheit mit richtigen Gedanken gewissermaßen „auszuhebeln".
  • Erfahrungen prägen oft unser Urteil: Auf S. 102 zeigt der Autor anschaulich, dass wir uns oft durch unsere Erfahrungen im Urteil prägen lassen. Wenn wir Gott nicht so „erfahren", wie wir uns das vorstellen, haben wir leicht ein negatives Bild von Gott. Stattdessen sollten wir uns auf Gottes Wort stützen und dadurch ein gesundes Verständnis von der Liebe und Fürsorge Gottes bekommen.
  • Gott ist Liebe: Überhaupt ist das siebte Kapitel (Der Gott der Liebe) sehr hilfreich. Wir haben eine viel zu geringe Wertschätzung davon, dass Gott Liebe ist. Dass Er - wie der Titel aussagt - alle unsere Bedürfnisse kennt und in göttlicher Weisheit und Liebe diesen Bedürfnissen vollkommen entspricht. Ein stärkeres Bewusstsein davon, wer Gott ist und wie Er handelt, würde uns nicht nur demütiger machen, sondern auch innerlich mehr zur Ruhe kommen lassen.
  • Weg von den Warum-Fragen: Wir alle neigen dazu, Gott nach dem „warum" bestimmter schwieriger Lebenssituationen zu fragen. Jim Berg fordert uns stattdessen auf, das „Wer" hinter den Prüfungen anzugehen. Hiob wurden die Leiden nicht erklärt. Aber er lernte Gott in seiner Größe, Weisheit und auch allmächtigen Fürsorge kennen. Das brachte die Wende in seinem Leben.

Negative Aspekte

  • Unglaube als Hauptursache der Probleme eines Gläubigen (S. 26.35.53-60.91.92.197.206): Jim Berg diagnostiziert als Grundwurzel aller Probleme den Unglauben im Leben eines Menschen/Gläubigen. Er nennt ihn „die große Störung des Herzens" (S. 57). Er sieht ihn als Ursache der Unzufriedenheit, auch der Angst und des Zorns (S. 54), die Berg auf eine Ebene stellt. Aus beidem komme wiederum die Verzweiflung hervor. Später nennt der Autor den Unglauben „die Muttersünde" (S. 56). Nicht die Panikattacke, die Verbitterung über erfahrene Misshandlung, erlebten Missbrauch, die Furcht vor unberechenbaren Autoritäten oder die Magersucht seien das Problem, sondern nur Symptome. „Der Ursprung all dieser Sünden - und vieler anderer - ist der Unglaube" (S. 56).
    Gottes Wort thematisiert verschiedentlich Unglauben, nennt aber auch andere Ursachen von Tatsünden. Bei Jim Berg hat man den Eindruck, dass er die meisten der Probleme im Leben eines Gläubigen als Folge von Sünde und damit als Unglaube ansieht. „Die meisten psychiatrischen Störungen unserer Zeit haben ihren Ursprung in der ‚großen Störung' des Unglaubens im Herzen." Selbst eine Panikattacke führt Berg (jedenfalls teilweise) auf Sünde zurück.
  • Entweder Glaube oder Unglaube: Dazu passt auch, dass Berg keine Differenzierung zwischen Unglaube, Kleinglaube und Schwachheit vornimmt. Man hat den Eindruck, dass er unter Unglaube das fasst, was nicht geistlich ist (S. 56-59). Der Herr unterscheidet verschiedene Defizite und unterschiedliches Ausmaß von mangelndem Glauben.
  • Charakter = Sünde: Gott hat den Menschen mit unterschiedlichen Charakterausprägungen geschaffen. Es gibt Menschen, die aus verschiedenartigen Gründen den Charakter eines Perfektionisten entwickelt haben. Ein solcher Lebenswandel scheint von Berg als sündig angesehen zu werden. Er schreibt zunächst, Unglaube sei Grundursache allen Versagens. Aus der Sünde des Unglaubens folgert er die Unzufriedenheit, die zur Angst führe. Angst mache den Menschen zu einem Bedenkenträger. Und Perfektionisten „sind im Innersten oft große Bedenkenträger": Unglaube = Muttersünde < Unzufriedenheit < Angst < Bedenkenträger, z.B. Perfektionist. Der Autor unterstreicht das, indem er das Beispiel von Barbara ausführt (S.74ff.). Sie war verzweifelt, depressiv und hatte Angst. „Aufgrund ihrer Lebenseinstellung musste sie perfekt sein und alles unter Kontrolle haben (S. 79, also eine Perfektionistin). Sie hat versucht, „Gott zu spielen" (S.78). In der Rückschau schreibt diese Frau später: „Gott ist immer noch dabei, mich grundlegend zu ändern und mein Leben von der Sünde zu reinigen."
  • Angst = geistliches Problem: Natürlich gibt es eine Dimension von „Angst", die Sünde ist. Aber nicht jede Angst ist automatisch ein geistliches Problem. „Angst ist die Furcht, nicht zu bekommen, was ich brauche oder haben möchte. Sie ist von Unglauben und Unzufriedenheit getrieben. Deshalb wird Angst in der Bibel immer als ein geistliches Problem dargestellt: ‚Gott kümmert sich nicht genug um mich; Gott alleine reicht mir nicht. Ich brauche mehr und habe Angst, es nicht zu bekommen'" (S. 72). Berg geht nicht darauf ein, dass Gott uns die Angst als eine natürliche Eigenschaft gegeben hat. Sie ist ein Geschenk, ohne das keiner von uns mehr am Leben wäre. Angst hat oftmals nichts damit zu tun, dass wir etwas haben wollen, was wir nicht bekommen können. Sie kann auch auf besonderen Erfahrungen beruhen, die wir als Kinder erlebt haben (Menschen, die im Krieg furchtbare Dinge erlebt haben, können das leidvoll bestätigen), sie kann krankhaft sein, ohne dass sie notwendigerweise auf ein geistliches Problem zurückgeht. Es gibt allerdings durchaus eine Angst, die durch Sünde und unbereinigte Schuld ausgelöst worden ist - das darf man nicht übersehen.
  • Keine klare Zielgruppe: Wie beim Buch „Verändert in sein Ebenbild" spricht Jim Berg auch in diesem Buch verschiedentlich sowohl Gläubige als auch Ungläubige an. Das fängt schon am Anfang des Buches an, wo der Autor Beispiele aus unserer aktuellen Zeit bringt und fragt: „Wie gehen Menschen mit diesen ‚schweren Zeiten' um?" Mit den Beispielen, die er nennt (Selbstmord, Alkohol, Drogen, Psychopharmaka, Gewalt, Schießerei, Amoklauf), will er wohl eher Ungläubige ansprechen. „Dieses Buch will seinen Lesern helfen, der Rastlosigkeit zu begegnen, um in dieser unsicheren Welt als Licht und Salz nützlich zu sein für Christus" (S.1f.). Ist das jetzt das Evangelium für Ungläubige, oder eine Botschaft für Gläubige?
    Sollen also auch weiter Ungläubige angesprochen sein? Gerade, wenn es dann zum Beispiel auf S.31 heißt: „Er [Gott] wird mir immer gnädig sein - immer!", trifft dies ausschließlich auf Gläubige zu. Das kann zu Verwirrung und falschen Schlussfolgerungen führen. Denn beispielsweise führt der Autor auf S. 43 Bibelstellen an (Jes 55,6.7; 59,1.2; vgl. S. 55), die wieder deutlich Ungläubige betreffen ... Und auf S. 48 werden wir aufgefordert, ein Zeugnis abzulegen, dass wir „einen erneuerten Geist haben - einen Geist, der glaubt, was Gott gesagt hat, und ein Herz, das in Gemeinschaft mit Gott selbst ist. Ich bete dafür, dass du bald ein solches Zeugnis ablegen kannst, nachdem du Gott erlaubt hast, Sein Wort in deiner laut gewordenen Seele wirken zu lassen." Ein bekehrter Mensch hat einen erneuerten Geist. Nach Römer10 und anderen Stellen sollte so jemand ein Zeugnis abgelegt haben. Das gehört zu dem Heil dazu. Geht es also jetzt um eine neue Bekehrung? Das Buch bleibt auch weiter in dieser Hinsicht verwirrend. Auf S. 55 zitiert Berg dann Römer 1,23 und Jesaja 55,7 ff., was erneut Bibelstellen sind, die Ungläubige im Blick haben. Auch auf S. 56 wechselt Berg zwischen Hinweisen über Ungläubige (Röm 1) und denn im Blick auf Gläubige.
  • Selbstlob: Es ist schön für einen Seelsorger, wenn seine Arbeit Früchte trägt. Gott lässt das auch manchmal zu, schenkt es so. Aber ist es an uns, diese Früchte in die Öffentlichkeit zu stellen? Wir haben nicht die Aufgabe, davon zu reden, wie gerade unser Werk (nicht das Werk Gottes) anderen weitergeholfen hat. Jim Berg tut das verschiedene Male, wobei wir als Deutsche in Rechnung stellen wollen, dass das in den USA vielleicht üblicher ist als in Deutschland. Mehrfach zitiert Berg aus Briefen und Berichten, die Nutzer seiner Kurse ihm persönlich geschrieben haben. Diese Briefe sollen deutlich machen, dass seine Seelsorgekurse, -bücher und -arbeit Menschen dazu gebracht haben, ihre Probleme zu überwinden (z.B. S. 48-52). Seltsamerweise ist darin immer wieder von den Seelsorgekursen Bergs die Rede, kaum aber von Gottes Wort. In anderen Teilen des Buches betont der Autor verschiedentlich den Wert des Wortes Gottes. Aber wenn es um Menschen geht, die Hilfe bekommen haben, stehen sein eigenes Buch und sein Seelsorgekurs im Vordergrund.
    Später schreibt Berg von einer Unterhaltung mit seiner Tochter: „Dann fragte ich sie, ob ihre Mutter oder ich ihr je einen falschen Rat erteilt hätten. Sie verneinte." Das könnte ich von mir nicht sagen. Der Autor zitiert den Brief einer Person, der er helfen konnte. Darin heißt es (S.199): „Ein Dankeschön ist nicht genug. Aber wie kann ich mich bei dir für die einzig wahre Heilung, auf die du mich hingewiesen hast, bedanken? Und wie dir danken für ... und für ... Die Worte reichen nicht, um dir dafür zu danken ..."
    Bemerkenswert ist auch, dass Berg in seinem Nachwort (S. 181) für Gläubige mit seelischen Problemen sein Buch und sein Seelsorgeprogramm empfiehlt. Man hätte sich gewünscht, er würde hier in erster Linie das Beschäftigen mit Gottes Wort empfehlen, nicht nur an anderen Stellen. Gerade im Zusammenhang mit der Empfehlung seiner eigenen Werke vermisst man, dass er zunächst auf Gottes Wort hinweist als die Quelle jeder Hilfe. „Falls es in deinem Leben aktuelle Probleme gibt, wird das Lesen dieses Buches allein nicht ausreichen, um in dir dauerhafte Veränderungen zu bewirken. Ich empfehle dir das ganze ‚Quieting a Noisy Soul' Seelsorgeprogramm durchzugehen" (S. 182).
  • Das Bild von Gott: Berg betont mit Recht die Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Leider wird in diesem Buch kaum erwähnt, dass Gott auch Licht ist (was er in anderen Publikationen allerdings durchaus vorstellt). An einer Stelle schreibt Jim Berg über die Entwicklung einer seiner Patientinnen, Liz (S. 50.51): „Der Gott, den ich früher kannte, war streng und jederzeit bereit zuzuschlagen. Der Gott, den ich jetzt kennenlerne, liebt mich, ist gütig zu mir und zeigt mir ständig neue Dinge." Zweifellos ist es falsch, sich einen Gott vorzustellen, der „jederzeit bereit (ist) zuzuschlagen." Ja, Gott liebt mich und ist gütig zu mir. Berg benutzt in dem obengenannten Zitat aber ein überspitztes Bild der Heiligkeit Gottes, „streng und jederzeit zuzuschlagen", das nicht Gottes Wesen beschreibt. So wird Heiligkeit dort in ein sehr negatives Licht gestellt und als Gegensatz zur Liebe und Güte Gottes gestellt. Beides aber gehört zusammen.
  • Keine medizinische Behandlung: Am Schluss komme ich auf einen Punkt, der aus meiner Sicht von besonderer Bedeutung ist. Berg führt in dem (deutschen) Buch Beispiele von Personen an, die durch seine Seelsorge bzw. durch seine Bücher von seelischen Krankheiten bzw. Nöten geheilt worden sind. Die von Berg angeführten Beispiele zeigen, dass er im Allgemeinen (bis auf spezielle Ausnahmen) der Meinung zu sein scheint, dass seelische Nöte/Krankheiten „geistlich" zu behandeln sind. Selbst wenn man den Eindruck hat, dass eine medizinische Behandlung angesagt wäre, sucht der Autor geistliche Ursachen bei einer Person, die mit Angstzuständen zu kämpfen hat (z.B. S. 56). Er empfiehlt daher eine geistliche Behandlung. Er ruft in diesem Zusammenhang zu einem Bekenntnis, zu Buße und Umkehr auf. Das kann Gläubige bis zur Verzweiflung führen, weil sie medizinische Hilfe nötig haben, ihnen stattdessen aber „geistliche Ratschläge" erteilt werden.
    Im Beispiel von Cindy (S. 49.50) lesen wir, dass eine Frau gegen Angstzustände und Panikattacken kämpfte. Sie war (nämlich) als Kind neun Jahre lang sexuell missbraucht worden. Sie stellte dann fest, dass Therapien und Beratungen ihr nicht weitergeholfen haben, sondern die Wahrheit, dass Gedanken Gefühle antreiben und nicht umgekehrt. Medizin war also nach ihren Aussagen vergebliche Mühe. Im Beispiel von Kathy (S. 48.49) suchte eine Frau bei Depression ärztliche Hilfe. „Man diagnostizierte mir ein angeborenes, chemisches Ungleichgewicht, das nur mit einer lebenslangen medikamentösen Behandlung, vergleichbar mit der Insulineinnahme eines Diabetikers, ausgeglichen werden könne ... Heute kenne ich die Wahrheit über den Ursprung von Depression und Angst". Gemeint ist eine geistliche Ursache.
    Barbara (S. 74 ff.) wurde eine psychiatrische Behandlung nahegelegt; bei erfolgreicher Therapie wurde ein Aufenthalt in einer Nervenklinik als erforderlich angesehen. Aber dann kam sie in Kontakt mit dem Seelsorgeprogramm Bergs, und alles ging anscheinend ohne medizinische Betreuung. „Es widerstrebte ihr, die Diagnose und die medizinische Behandlung zu akzeptieren ... Sie stellte fest, dass die eigentliche Antwort in der konsequenten Ausrichtung auf das Wort Gottes liegt" (S. 80). Der letzte Punkt ist ja richtig. Aber Berg suggeriert mit diesen Aussagen und Beschreibungen, dass es ohne medizinische Hilfe geht. Und das ist nicht nur ein Irrweg, sondern zuweilen lebensgefährlich. Man mag dazu gläubige Mediziner befragen, die mit solchen Störungen zu tun haben.
    John (S. 79) bekam auf einmal Panikattacken. „Die Ärzte hatten keine andere Lösung für mich als Medikamente. Ich war jedoch davon überzeugt, dass die Waffen im Kampf gegen Angst nicht auf der körperlichen Ebene zu finden waren ... Das Seelsorgeprogramm Ruhe für die Seele ... war mein einziges bibelorientiertes Hilfsmittel. Ich fand darin die geistliche Lösung für mein Problem."
    Auf Seite 181 bietet Berg sein Seelsorgeprogramm an, um das zerstörerische Essverhalten bei Magersucht und Bulimie, Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen, Panikattacken sowie sonstige Angst-Problem, Depressionen, Schuld und Zorn in den Griff zu bekommen. Es gibt keinen Zweifel, dass eine begleitende Seelsorge auch und gerade bei diesen Problemen eine große Hilfe sein kann. Es ist aber fahrlässig, nicht zunächst zu betonen, dass es sich um medizinische (psychiatrische) Probleme handelt, bei denen in aller Regel von einer medizinischen Hilfestellung nicht abzusehen ist. Es ist beispielsweise auffallend, dass in Lukas 10,34 (beim barmherzigen Samariter), in Markus 6,13 (bei der Heilung von Kranken) und in Jakobus 5,14 (ein Kranker) jeweils Öl erwähnt wird, was dem damals üblichen medizinischen Stand entspricht. In keinem Fall beschränkte es sich auf die Anwendung von Öl, im Gegenteil. Aber in allen drei Fällen wurden diese „Verfahren" nicht ignoriert und beiseite gelassen.
    Im Beispiel von Jenny (S. 191 ff.) warnt Berg durch sein Buch sogar vor der Behandlung mit Antidepressiva und Psychopharmaka. „Einem depressiven Menschen fehlt es nicht an Fluctin!" Auf S. 196 liest man, dass Jenny die verschriebenen Medikamente ohne Kontakt mit dem Arzt absetzt. Das ist lebensgefährlich (was vier Seiten später auch gesagt wird; dass das bei Jenny als Krankenschwester anders handhabbar sein soll, wirft Fragen auf und erscheint als Beispiel gefährlich, weil man immer einen begleitenden Arzt nötig hat; man selbst befindet sich z.B. bei einer akuten Depression gar nicht in der Lage, als „Fachmann" die Dinge von außen zu beurteilen). Auch die Schlussfolgerung von Jenny ist bemerkenswert: „Aufgrund der Medikamente konnte ich in 17 Jahren keine reale Beziehung zu Christus aufbauen, wie ein Baby im Glauben" (S. 196.197). „Wenn es mir möglich ist, ohne Medikamente zurechtzukommen und Freude und Frieden zu erfahren, dann ist es jedem möglich" (S. 197) - das ist wohl kaum aufrechtzuerhalten. Gerade durch solche Bemerkungen besteht die Gefahr, dass man Christen (mit Recht) vorwirft, sie würden sich von einer Person oder einem Seelsorgebuch/-programm abhängig machen (lassen). Zudem wird in Jennys Fall ein Zusammenhang von Antidepressiva und Tablettenabhängigkeit suggeriert (S. 192), der medizinisch widerlegt ist. Natürlich heilen Antidepressiva keine Depression (S. 192). Aber ohne diese ist für viele Betroffene - auch Christen - ein selbständiges tägliches Leben nicht möglich. Bei Jim Berg dagegen heißt es im Buch: „Die nächsten zwei Jahre verbrachte ich [Jenny] fast 24 Stunden am Tag damit, mir die Lektionen anzuhören [des Seelsorgeprogramms], so lange, bis ich jedes dieser zehn Medikamente abgesetzt hatte. Jeden Tag wurde ich körperlich und geistlich stärker ... Dein Problem ist geistlicher Art" (S. 196). Mit anderen Worten: Seelsorge ersetzt Medizin. Auf Seite 198 wird unterstellt, es sei bei einem depressiv kranken Gläubigen Sünde, „in meinem Elend zu verweilen und darüber nachzugrübeln, was andere über mich denken."
    „Wenn es mir möglich ist, ohne Medikamente zurechtzukommen und Freude und Frieden zu erfahren, dann ist es jedem möglich" (S. 197). Medikamente und Gottvertrauen werden als Gegensätze dargestellt (S. 198), statt zu ermutigen, beides im Aufblick zu Gott ins Auge zu fassen.
    Auch das Beispiel von Anne (S. 202 ff.) gibt vor, dass man Angst und Depressionen nicht mit Medizin, sondern mit Seelsorge behandeln solle, das helfe. Sie hatte die ersten körperlichen Symptome von übermäßigem Schmerzempfinden mit acht (8!) Jahren. Daraus entwickelte sich eine längere Krankheitsgeschichte. Und dann liest man, dass sie sich nach Eheschließung, Nachwuchs und zehn Jahren Medikamenteneinnahme „entschied, trotz schlimmer Entzugserscheinungen meine Medikamente abzusetzen" (S. 204). Ihr half das Seelsorgeprogramm von Jim Berg über ihre Probleme (S. 205) ... Wieder werden Medikamente gegen Seelsorge gestellt, statt beides miteinander zu verbinden. „Ruhe für die Seele bietet einen biblisch ausgerichteten, effektiven Ansatz, um mit den sehr realen und sehr lähmenden Auswirkungen von Angst und Depression umzugehen" (S. 209).
  • Christus: Ein aus meiner Sicht gravierendes Problem dieses Buches ist auch, dass zwar vieles über Gott gesagt wird, aber der Herr Jesus nur wenig erwähnt wird. Gott lenkt den Blick der Gläubigen durch den Heiligen Geist immer wieder auf den Herrn Jesus. Christus ist es, der uns glücklich macht. In Ihm besitzen wir nicht nur Vergebung und Rettung, sondern Rechtfertigung, Hoffnung und himmlische Herrlichkeit. Diese Blickrichtung vermisst man in diesem Buch.

Stand: Januar 2016

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