Das Neue Testament – ein göttlich vollkommenes Werk

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Als Erlöste danken wir Gott regelmäßig, dass Er uns seine ewigen Gedanken in einer für uns Menschen fassbaren Form geschenkt hat. Wir haben das Wort Gottes in Händen, und Gott hat darüber gewacht, dass wir es in einer unverfälschten Form bis heute lesen können, auch in einer sehr guten deutschen Übersetzung.

Wir sind es gewohnt, in erster Linie über den Inhalt des Wortes Gottes nachzudenken. Und es ist richtig, die inhaltliche Aussage der Bibel zum Mittelpunkt unserer Betrachtung zu machen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass dieser Inhalt über eine „Form", über Buchstaben, Wörter, Ausdrücke, Sätze und Satzverbindungen übermittelt wird. Gott benutzt dazu die konkreten Fähigkeiten und persönlichen Merkmale jedes Schreibers, den Er inspiriert hat, einen Brief oder ein anderes Bibelbuch zu schreiben. Auch sie treten im Schreibstil der einzelnen Teile des Wortes Gottes deutlich hervor.

Wir staunen daher nicht nur über den gewaltigen Inhalt als Ganzes und über jede einzelne inhaltliche Botschaft, sondern bewundern auch, in was für einer Form Gott uns sein Wort gegeben hat. Vielleicht erscheint manchen das Achten auf formale Punkte im Wort Gottes etwas fremdartig, weil wir es wenig gewohnt sind, über Wörter und Stilarten nachzudenken. Dennoch lohnt es sich, die Vollkommenheit dieses göttlichen Werks auch einmal unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Dabei vergessen wir nicht: Die Wörter und Sätze sind das Vehikel, mit dem uns Gott seine göttlichen Gedenken mitteilt. Sie sind gewissermaßen Diener des Inhalts und diesem damit grundsätzlich untergeordnet. Dennoch bleibt wahr: Bei Gott gehen Inhalt und Form Hand in Hand. Wenn schon die Form vollkommen ist - wie göttlich groß ist dann die Botschaft, die uns Gott mit diesen Wörtern mitteilt.

Wir wollen uns im Folgenden anhand von drei Beispielen anschauen, wie Form und Inhalt wunderbar zusammenpassen.

1. Die Sprache des Neuen Testaments

Der Inhalt der Botschaft Gottes war bis zu dem Zeitpunkt, als Er sich durch die Offenbarung seines Wortes mitteilte, für den Menschen verborgen. Diese Botschaft Gottes ist göttlicher Natur und in diesem Sinn nicht in menschlichen Dimensionen fassbar. Gott hätte, um das deutlich zu machen, einen Sprachstil wählen können, der das Erhabenste des Erhabenen an menschlicher Literatur übertrifft. Während aber die Literatur in der Zeit des 1. Jahrhunderts von der Oberschicht für die Oberschicht gemacht wurde, hatte Gott offensichtlich ein anderes Anliegen. Er hat seine ewigen Heilsgedanken in eine Form gebracht, die auch für den „einfachen" Menschen verständlich und fassbar ist. Dazu hat Er Menschen benutzt, die mitten im Leben standen, dabei aber ein Gott geweihtes Leben führten (vgl. 2. Pet 1,21). Sie sprachen in ihrer Zeit die gängige Sprache ihrer Gesellschaft und haben in dieser Weise das Wort Gottes, unter der absoluten Führung des Geistes Gottes, geschrieben. Dass Gott diesen Weg gewählt hat, macht das göttliche Werk der Inspiration und des Aufschreibens des Wortes Gottes umso gewaltiger.

Der von Martin Luther überlieferte Spruch, man müsse dem Volk „aufs Maul schauen", betrifft die Übersetzung des Bibeltextes als solche, aber auch sein Anliegen, die Bibel für jeden Menschen lesbar zu machen, indem man ihm eine Übersetzung in seiner Muttersprache gibt. Damit trifft er tatsächlich den Kern des Werkes Gottes in der Bibel. So ist ein Großteil des biblischen Textes des Neuen Testaments der damals üblichen, „allgemeinen, gemeinsamen Sprache", der sogenannten Koiné, sehr ähnlich. Gott hat den Bibeltext nicht in der gehobenen Literatursprache, dem klassischen Griechisch, sondern in der für die meisten Menschen damals verständlichen gesprochenen Sprache notieren lassen.

Dass Gott auch anders gekonnt hätte - wenn man das in Ehrfurcht sagen darf - leuchtet gelegentlich aus einzelnen Passagen hervor. Beispielsweise ist die Einleitung des Lukasevangeliums in einer besonderen Form 1 verfasst worden. Auch die ersten 18 Verse des Johannesevangeliums tragen einen ganz besonderen Charakter. Obwohl Johannes der Schreiber ist, der mit dem geringsten Vokabular arbeit (Anzahl verschiedener Wörter), sind diese Verse in ihrer Aussagedichte und in ihrer Gestaltung kunstvoll. Die Wortstellung ist dabei „sehr griechisch", nicht semitisch. Als drittes Beispiel sei das sogenannte „Hohelied der Liebe" genannt, 1. Korinther 13, das von vielen Sprachkennern als textlich hochwertig bezeichnet wird.

Das alles zeigt, dass es Gott wichtig war, dass der Mensch die göttlichen Gedenken wirklich verstehen kann. Beispielsweise sind auch bei Lukas, der alles in allem den erhabensten Stil der neutestamentlichen Autoren aufweist, keine über das normale Maß hinausgehenden Fachbegriffe der Medizin zu finden, obwohl wir wissen, dass er Arzt war (vgl. Kol 4,14). Gott hat nicht die gebildeten Menschen besonders bedenken wollen, sondern für die Unedlen geschrieben. Genau das passt auch zu der inhaltlichen Botschaft, die der gelehrte Apostel Paulus in schlichtem Stil weitergibt: „Das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, damit er das Starke zuschanden mache; und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt und das, was nicht ist, damit er das, was ist, zunichte mache, damit sich vor Gott kein Fleisch rühme. Aus ihm aber seid ihr in Christus Jesus ..." (1. Kor 1,27-31).

Die hohen Literaten verachteten den biblischen Text als Nicht-Literatur. Gott nimmt diesen Spott hin. „Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber ,die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft. Denn es steht geschrieben: ‚Ich will die Weisheit der Weisen vernichten, und den Verstand der Verständigen will ich wegtun ... Denn weil ja in der Weisheit Gottes die Welt durch die Weisheit Gott nicht erkannte, so gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt die Glaubenden zu erretten ... denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schache Gottes ist stärker als die Menschen" (1. Kor 1,18-25). Wie wichtig ist es daher auch heute noch, bei aller Sorgfalt im Blick auf jedes einzelne Wort eine Übersetzung der Bibel in einer für den einfachen Menschen verständlichen Sprache anzubieten. So hat Gott seine Bibel geschrieben.

2. Sprachwechsel in der Apostelgeschichte

Wenn das Neue Testament eine „literarische" Nähe zu einem Werk aufweist, dann zur Septuaginta. Natürlich muss man bei einer literarischen Einordnung des göttlichen Textes immer vorsichtig sein. Denn göttliches Wirken entzieht sich menschlicher Bewertung. Da, wo ich anfange, Gott zu beurteilen, hat Gott aufgehört, mich zu beurteilen. Damit habe ich die Bibel als Maßstab meines Lebens verloren. So geht jeder Versuch, Vorbilder von Stilformen in der allgemeinen Literatur zu finden, auf die wir in der Bibel treffen - und das wird heute in theologischen Werken oftmals hauptsächlich betrieben - in die Irre. Denn Gott braucht keine Vorbilder, keine von Menschen verwendeten Stilfiguren und -formen.

Dennoch wird man feststellen, dass - wenn man ein gewisses Vorbild für die Sprache des im Neuen Testament verwendeten Textes sucht - man in der Septuaginta fündig wird. Die Septuaginta ist die griechische Übersetzung des hebräischen Alten Testaments. Sie wurde von jüdischen Gelehrten zu einem großen Teil in Alexandria angefertigt und trägt somit von den Vokabeln und dem Sprachstil jüdischen Charakter. Das trifft auch auf den größeren Teil des griechischen Neuen Testaments zu. Das zeigt sich an der Bedeutung einzelner Wörter, die im klassischen Griechisch anders oder praktisch nicht verwendet werden (z.B. Schriftgelehrter statt Sekretär, Schreiber; Sünde statt Fehler; Sünder, Prophet) bzw. an Redewendungen („Wehen des Todes": Apg 2,24; 2. Sam 22,6; Ps 18,5; 116,3; „Denn bei Gott wird kein Ding unmöglich sein: Lk 1,37; 1. Mo 18,14).

Dass Lukas das Handwerkszeug des Schreibens beherrschte, haben verschiedene Kommentatoren herausgehoben. Eine Beurteilung, die ursprünglich einem herausragenden weltlichen Werk galt, hat ein Textkritiker 2 ausdrücklich auf Lukas bezogen: Er „erzählt nicht, um zu unterhalten, sondern er erzählt unterhaltsam, weil er das als historisch erkannte Geschehen verdeutlichen und das Einmalige, oft Bewundernswerte der menschlichen Erinnerung erhalten will."

Nun fällt in der Apostelgeschichte auf, dass der zweite Teil merklich geringere jüdische Färbungen an Sprachstil etc. aufweist als der erste. Passt diese Veränderung nicht in wunderbarer Weise zur Botschaft dieses Bibelbuches? Das Evangelium sollte von den Aposteln „sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an die Enden der Erde" (Apg 1,9) bezeugt werden. Je weiter wir beim Lesen dieses Buches kommen, umso mehr entfernt sich der regionale Mittelpunkt von Jerusalem. Genau das wird für den Leser des Grundtextes durch die Sprache, die sich von semitischen Formen der Septuaginta entfernt, unterstützt.

Um an dieser Stelle die Beziehung von Form und Inhalt noch einmal zu vertiefen: Der Leser der deutschen Übersetzung wird diese Änderung inhaltlich bemerken. Zunächst geht alles von Jerusalem aus; am Ende befindet sich der Apostel Paulus in Rom. Das ist eine der Botschaften des Bibelbuchs. Wir verstehen sie, ohne auf die Form der Niederschrift zu achten. Wenn wir nun jedoch erkennen, dass diese Veränderung auch schon im Sprachstil angelegt ist, erhöht das unsere Bewunderung Gottes, der sein Bibelwerk wirklich in vollkommener Harmonie von Inhalt und Form gestaltet hat. Wir konzentrieren uns nicht auf die Form. Aber sie unterstreicht das, was Gott inhaltlich ausdrückt.

3. „Sogleich" in Markus

Vielen Bibellesern ist aufgefallen, dass der Ausdruck „sogleich" oder „alsbald" häufig im Markusevangelium vorkommt. Das ist einer der eher seltenen Hinweise, die öfter einmal in der Auslegung aus dem sprachlich-formalen Bereich von uns aufgegriffen wird. Wenn man diesen Ausdruck einmal „mechanisch" zählt, so findet man ihn 40 Mal im Markusevangelium. 3 Von 103 Vorkommen in der Bibel finden sich in diesem relativ kurzen Evangelium also alleine schon 40 (zum Vergleich: Matthäus: 20 Mal, im längsten Evangelium, dem Lukasevangelium: 14 Mal; Johannes: 6 Mal).

Was kann man nun mit dieser sprachlichen Besonderheit anfangen? Zunächst kann man feststellen, dass dieses „sogleich" eine wunderbare Unterstützung des Hauptgedankens dieses Evangeliums ist, das den Herrn Jesus als den wahren Diener vorstellt. Als Knecht Gottes ist Er unentwegt im Dienst für seinen Gott tätig. Das, was Gott dem Herrn Jesus aufgetragen hat, tat dieser sofort, das heißt sogleich. Es war der Wille Jesu, jeden Auftrag seines Gottes „sogleich" auszuführen.

Über diese uns bekannte Bedeutung hinaus kann man sich aber auch die Verteilung dieser „sogleich" im Evangelium anschauen. Dabei wird man feststellen, dass nach einem äußerst häufigen Vorkommen der „sogleich" in den ersten Kapiteln deren Verwendung ab Kapitel 7 rapide abnimmt. Ist das nicht auch ein Hinweis darauf, dass Gott den Dienst des wahren Knechtes Jesus Christus in den ersten Monaten seines öffentlichen Dienstes wie in einem Weitwinkelobjektiv eines Fotoapparates schnell vorüberziehen lässt? Eine Tätigkeit nach der anderen wird „sogleich" gezeigt. Je näher das Leben des Herrn aber dem Höhepunkt seines Lebens kommt, umso weniger „sogleich" finden wir. Gott bleibt gewissermaßen stehen und zeigt uns - wie durch ein Teleobjektiv - in großer Ausführlichkeit jede Einzelheit der moralischen Herrlichkeit seines Dieners, der sich bis in den Tod am Fluchholz erniedrigt hat.

Tatsächlich haben die „sogleich" ab Kapitel 11 jeweils einen direkten Bezug zu anderen Menschen. So kann der Geist Gottes (durch die Feder des Evangelisten Markus) das Objektiv ganz nahe auf dem Herrn Jesus stehen lassen, dessen einzelne Taten geradezu minutiös berichtet werden. So wichtig ist Gott diese letzte Zeit bis zum und am Kreuz von Golgatha. Und uns geht es nicht anders. Wir können uns gar nicht genug gerade mit diesen wenigen Tagen und Stunden im Leben unseres Retters und Herrn beschäftigen.

Auch hier ist es der Inhalt des Berichtes, der unsere Herzen beeindruckt. Die Form unterstützt diesen Inhalt und lässt unsere Herzen zusätzlich in Bewunderung für unseren Gott und seinen Christus schlagen. Er war in allem „sogleich" tätig - für Gott, und auch für uns. Aber wenn es um das Werk am Kreuz geht, muss jedes „sogleich" weichen - die ewige Wirkung und Gültigkeit seiner Hingabe bleibt vor unseren Herzen stets gegenwärtig.


Fußnoten

  • 1 Man spricht hier von einer Periodenform, die dann vorliegt, wenn ein in sich vollständiger Gedanke in einem mehrgliedrigen, strukturell ausgewogenen und gewöhnlich zweiteiligen Satzgefüge formuliert wird. Der Nebensatz geht dabei dem Hauptsatz normalerweise voran.
  • 2 Textkritik ist deutlich von der Bibelkritik zu unterscheiden. Während sich die Bibelkritik zum Beispiel mit der für uns inakzeptablen Frage beschäftigt, ob die Briefe des Neuen Testaments oder Teile davon überhaupt inspiriert worden sind oder von den genannten Autoren verfasst wurden, beschäftigt sich die Textkritik damit, so genau wie möglich den Grundtext des Neuen oder Alten Testaments zu erfassen, wenn es beispielsweise mehrere verschiedene Lesarten eines Bibelverses gibt.
  • 3 11x in Kapitel 1; 2x in Kapitel 2; 1x in Kapitel 3; 5x in Kapitel 4; 4x in Kapitel 5; 5x in Kapitel 6; 2x in Kapitel 7; 1x in Kapitel 8; 3x in Kapitel 9; 1x in Kapitel 10; 1x in Kapitel 11; 3 x in Kapitel 14 und 1x in Kapitel 15.
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