Risse in der Mauer (Teil 1)

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Jesaja 22, 5-14:

"5 Denn es ist ein Tag der Bestürzung und der Zertretung und der Verwirrung vom Herrn, Jehova der Heerscharen, im Tal der Gesichte, ein Tag, der Mauern zertrümmert; und Wehgeschrei hallt nach dem Gebirge hin.
6 Und Elam trägt den Köcher, mit bemannten Wagen und mit Reitern; und Kir entblößt den Schild.
7 Und es wird geschehen, deine auserlesenen Täler werden voll Wagen sein, und die Reiter nehmen Stellung gegen das Tor. -
8 Und er deckt den Schleier auf von Juda, und du blickst an jenem Tage nach den Waffen des Waldhauses.
9 Und ihr sehet die Risse der Stadt Davids, daß ihrer viele sind; und ihr sammelt die Wasser des unteren Teiches;
10 und ihr zählet die Häuser von Jerusalem und brechet die Häuser ab, um die Mauer zu befestigen;
11 und ihr machet einen Behälter zwischen den beiden Mauern für die Wasser des alten Teiches. Aber ihr blicket nicht auf den, der es getan, und sehet den nicht an, der von fernher es gebildet hat. -
12 Und es ruft der Herr, Jehova der Heerscharen, an jenem Tage zum Weinen und zur Wehklage, und zum Haarscheren und zur Sackumgürtung.
13 Aber siehe, Wonne und Freude, Rinderwürgen und Schafeschlachten, Fleischessen und Weintrinken: "Laßt uns essen und trinken, denn morgen sterben wir!
14 Und Jehova der Heerscharen hat sich meinen Ohren geoffenbart: Wenn euch diese Missetat vergeben wird, bis ihr sterbet! spricht der Herr, Jehova der Heerscharen."

Dieser Abschnitt enthüllt einen dunklen Tag in der Geschichte Jerusalems. Es war ein „Tag der Bestürzung“ und der „Verwirrung“. Die Mauern der Stadt waren niedergerissen und der Feind war an dem Tor. Die Bewohner von Jerusalem sahen ihre besten Täler gefüllt mit Wagen, und die Reiter ihrer Feinde nahmen Stellung gegen das Tor. Um sich selbst zu verteidigen blickten sie „nach den Waffen des Waldhauses“. Sie sahen auch die „Risse der Stadt Davids“, und unternahmen verzweifelte Anstrengungen, das Entstehen der Risse zu stoppen, indem sie sogar die Häuser abbrachen, um die Mauern zu befestigen.

Ach, an dem Tag ihrer Bestürzung verfehlten sie die Gedanken des Herrn, und das auf eine dreifache Weise.

Den Blick vom Herrn abgewandt

Erstens hatten sie überhaupt nicht bemerkt, dass die Bestürzung und die Verwirrung - der Feind an dem Tor und die Risse in der Mauer - “durch” und “von dem Herrn, dem Herrn den Herrscharen” waren. Sie übersahen den Hauptgrund all ihrer Drangsal und, da sie lediglich auf die vordergründigen Ursachen schauten, erkannten sie nur, dass ein Feind die Risse verursacht hatte. Sie sahen nicht den Herrn hinter allem, sahen nicht, dass er in seinem gerechten Urteil den Feinden Israels erlaubt hatte, wegen ihrer Sünde und Torheit die Risse in den Mauern zu verursachen.

Zweitens schauten sie in ihrer Bestürzung und Verwirrung noch immer nicht auf den Herrn, obgleich sie unermüdliche Anstrengungen unternahmen, die Risse zu reparieren. Der Herr musste sagen: „du blickst an jenem Tag nach den Waffen“ … „aber ihr blickt nicht auf den, der es getan hat, und seht nicht den an, der es von fern her gebildet hat.“

Drittens rief der Herr auf “zum Weinen und zur Wehklage”, aber stattdessen gaben sie sich dem Essen und Trinken hin, denn sie sagten: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir.“ Sie folgten ihrem Weg, als ob alles gut wäre und mit völliger Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen und ohne einen Gedanken an die Zukunft.

Schwere Zeiten für das Volk Gottes

Zum Ende der christlichen Haushaltung findet sich das Volk Gottes auch in einem „Tag der Bestürzung“ und der „Verwirrung“ wieder, gemäß dem Wort, dass „in den letzten Tagen schwere Zeiten da sein werden“ (2. Tim 3,1). Wir können wahrhaftig sagen, dass der Feind an dem Tor ist und ständig versucht, einzubrechen und das Volk Gottes auseinander zu treiben. Unsere Hände sind wegen der Risse in den Mauern geschwächt, um dem Feind Widerstand zu leisten. Daher sind die Worte des Propheten weiterhin Warnung und Rat für die, die in ähnlichen Umständen sind und Ohren haben zu hören, dass „alles, was zuvor geschrieben ist, zu unserer Belehrung geschrieben ist, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.“ (Rö 15,4)

Bevor wir jedoch versuchen, die Lehren aus Jesaja 22 anzuwenden, mag es gut sein, einen allgemeinen Blick auf den Zustand zu werfen, in dem das Volk Gottes heute ist, und auf das verschiedene Wirken des Heiligen Geistes während der letzten vier Jahrhunderte. In dieser Zeitperiode gab es, so meinen wir

DREI GROßE ERWECKUNGEN GEWIRKT DURCH DEN GEIST GOTTES

Die Reformation

Zuerst wird kein wahrer Gläubiger jemals aufhören, Gott zu danken für das mächtige Werk des Geistes, dass er in den frühen Jahren des 16. Jahrhunderts wirkte, durch das wir das Wort Gottes in einer verständlichen Sprache und eine allgemeine Kenntnis der Wahrheiten des Evangeliums erhalten haben, durch welches die Seele gerettet und eingeführt wird in eine persönliche Beziehung mit Gott. Den Frieden und die Glaubensfreiheit, die wir heute genießen dürfen, verdanken wir dieser edlen Schar von Reformern, die unter der guten Hand Gottes und angesichts eines todeswütigen Widerstandes die Wahrheit verkündeten, was ihnen in vielen Fällen Leiden, Verfolgung und den Märtyrertod kostete.

Wir sollten die Reformation dennoch nicht zum Maßstab der göttlichen Wahrheit machen. Die Erweckung nahm, in den Händen der Menschen, im Wesentlichen einen reformierenden Charakter an. Sie verband die Gläubigen in einer reformierten Kirche, aber versuchte keineswegs, die Gläubigen gemäß dem Vorbild der Kirche nach den Gedanken Gottes zu versammeln. Tatsächlich wurde die Frage der wahren Beschaffenheit und des Charakters der Kirche nie direkt von den Reformern aufgeworfen. Die Kirche war in keinster Weise abgesondert von der Welt, im Gegenteil: die Reformation stellte die Kirche im Allgemeinen in die Abhängigkeit vom Staat, um sie aus der Abhängigkeit vom Papst zu lösen. Die Erweckung gab Christus nicht den Platz als das verherrlichte Haupt der Versammlung im Himmel, die sein Leib ist, noch gab sie dem Heiligen Geist eine Wohnstätte auf der Erde, um in und mit den Gläubigen das Haus Gottes zu bilden. Nationale Kirchen wurden gegründet, und es ist richtig gesagt worden, dass das Wort Gottes nicht die geringste Andeutung in Bezug auf Kirchen macht, die ihre Beschränkung finden in dem Umfang des Landes, durch dessen Einwohner sie gebildet werden. Solche Kirchen können weder in der Realität noch aus Liebe die Braut Christi sein. Sie stehen notwendigerweise in Beziehung zu dem Land, in welchen sie gebildet wurden. Die Einheit des Leibes des Christus ist ihnen verloren gegangen.“

Mit der Verstaatlichung der Kirchen stellte sich ein schneller Verfall der Lebenskraft ein. Der Name und die Lehren des Christentums wurden weiterhin festgehalten als ein Bekenntnis, dem sich der natürliche Mensch zurechnen konnte, aber nur ein paar wenige Namen waren im Buch des Lebens eingeschrieben. (Offb. 3,5). Das Ergebnis der großen Erweckung der Reformation war eine riesige Anzahl von bekennenden Christen mit vergleichsweise Wenigen, die wirklich Leben aus Gott hatten. Die Erweckung, die in der Kraft Gottes so strahlend begann, entartete bald unter der Hand der Menschen zu einem System eines orthodoxen Bekenntnisses, von dem der Herr sagen muss: „Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.“ (Offb. 3,1)

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erreichte dieses lebenslose Bekenntnis die tiefsten Tiefen von Finsternis und Verfall. „Natürliche Theologie ohne jede kennzeichnende Lehre des Christentums, kalte Moralität, oder unfruchtbare Orthodoxie, bildeten die grundlegende Lehrauslegung in den Kirchen und Kapellen. Predigten waren überall kaum besser als schlechte Moralaufsätze, denen absolut alles fehlte, was Seelen hätte aufrütteln, bekehren oder retten können.“ Aber als alles im schlechtesten Zustand war, gab es in den frühen Jahren des 18. Jahrhunderts unter dem englischsprachigen Volk eine zweite große Erweckung durch den Geist Gottes, der in gewaltiger, rettender Kraft wirkte.

Erweckung am Anfang des 18.Jahrhunderts

Evangelisten wurden erweckt, um die Gute Botschaft auszurufen. Whitfields, Wesley, Grimshaw, Berridge und viele andere aufrichtige und treue Diener des Herrn durchzogen das Land, indem sie die Sünder vor dem kommenden Gericht warnten, die Gewisse wachrüttelten und Tausenden Heil und Erlösung brachten durch die Predigt des gekreuzigten Christus. Wir sollten Gott wirklich danken für diese Schar von Predigern, ohne unsere Augen zu verschließen vor der Schwachheit dieser Erweckung in den Händen der Menschen. Es ist offenbar, dass diese Erweckung nicht über ein Evangelium hinausging, dass den Bedürfnissen des Menschen begegnete. Es reichte nicht an das vollständige Evangelium heran, das der Apostel Paulus verkündigte, welches den Menschen in seinem Fleisch vollständig beiseite setzte und den Gläubigen mit einem verherrlichen Christus verband, und so den Christ als einen himmlischen Menschen zu schaffen. Es brachte dem Sündern Segen, aber ließ ihn in der Welt mit der Idee, diese besser uns heller zu machen. Das Ergebnis war, dass die Weltlichkeit, kirchlich und politisch, die herausragende Charaktereigenschaft der evangelischen Bewegung wurde. In dem aufrichtigen Bestreben, die Massen zu erreichen, wurde jede Anstrengung unternommen, die Wahrheit zu popularisieren und sie für den natürlichen Geist mehr oder weniger attraktiv zu machen. Es wurde alle Mühe aufgewandt, um den natürlichen Menschen durch die Zugabe von Musik und anderen menschlichen Mitteln zu beeindrucken. Es ist also die Leichtfertigkeit, und oft Geschmacklosigkeit, die diese Bewegung in den heutigen Tagen größtenteils so sehr entartet. Darüber hinaus ist der Individualismus eine weitere große Schwäche dieser Bewegung. Ihr großes Ziel und ihr Zweck ist die Segnung von Einzelnen; sie zeigt keinen wirklichen Gedanken an die Kirche, weder in ihrer Gestaltung, noch in ihrer gegenwärtigen Verwaltung, noch in ihrer zukünftigen Herrlichkeit. Alle diese wesentlichen Wahrheiten des Christentums waren gänzlich außerhalb des Umfangs der evangelischen Bewegung. Seelen sind wahrhaftig umgekehrt, wofür wir Gott danken mögen, aber die Bewegung als solche ließ die bekehrten Seelen in den verschiedenen religiösen Systemen der Menschen.

Erweckung am Anfang des 19.Jahrhunderts

Indem wir jetzt zu den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts kommen, finden wir eine dritte Erweckung gewirkt durch den Geist Gottes. Zwischen 1829 und 1830 spalteten sich einige treue Christen in Dublin ab von der bestehenden Kirche und versammelten sich, zunächst im privaten Rahmen, um des Herrn zu gedenken durch das Brechen des Brotes, und um zu beten und das Wort zu betrachten. Nur kurze Zeit später sonderten sich Weitere aus verschiedenen Teilen des Vereinigten Königreichs ab von der National Church und unabhängigen Körperschaften, um sich in gleicher Weise zu versammeln im einfachen Vertrauen in Gott ohne eine menschliche Leitung. Indem sie die Schriften als ihre alleinige und genügenden Autorität anerkannten, und in Abhängigkeit des Heiligen Geistes waren, lernten sie schnell die großen Wahrheiten über „Christus und die Versammlung“, die dem Volk Gottes seit den Tagen der Apostel verloren gegangen waren. Ihnen wurde klar, das Christus das Haupt der Versammlung ist, und das alle wahren Gläubigen Glieder des einen Leibes auf der Erde sind, durch den Heiligen Geist verbunden mit dem Haupt im Himmel, und einer mit dem anderen. Indem sie auf diese Weise die große und zentrale Wahrheit über die verschiedenen Haushaltungen entdeckt hatten, erhielt jede andere Wahrheit eine völligere und tiefere Bedeutung. Das Evangelium wurde verstanden und gepredigt in seiner Ganzheit. Die prophetischen Schriften wurden weiter aufgeschlossen und das Kommen des Herrn wurde verstanden als unmittelbare Hoffnung der Versammlung. Das Wiederaufleben dieser Wahrheiten war verbunden mit einem entsprechenden Leben in „Guten Werken“ und Absonderung von jeder Art von Weltlichkeit.

Es ist jedoch von großer Wichtigkeit, die kennzeichnende Eigenschaft dieser Erweckung zu sehen. Es war im Wesentlichen eine absondernde Erweckung. Bis dahin wurde das wahre Volk Gottes in den großen religiösen Systemen der Menschen gefangen gehalten, im Papsttum, nationalen Kirchen oder nonkonformistischen Vereinigungen. Obwohl bekehrt, blieben sie in diesen religiösen Systemen. Nun wurde zum ersten Mal eine große Menge von den Fesseln der menschlichen Systeme freigemacht. Der Grund für dieses absondernde Wirken des Heiligen Geistes ist deutlich. Es war letztendlich der Moment gekommen, in dem Gott in seiner Barmherzigkeit im Begriff stand, die Wahrheit über Christus und seiner Versammlung wieder aufleben zu lassen. Jeder, der durch die Schriften unterwiesen war, musste auf einmal erkennen, dass er unmöglich mit den menschlichen Systemen in Verbindung bleiben und gleichzeitig die Wahrheiten über die Versammlung, gesehen als Leib Christi oder als Haus Gottes, festhalten und praktizieren konnte. Es war in der Tat wie mit Israel in früheren Zeiten; als der Moment gekommen war, dass das Haus Gottes wieder aufgebaut werden sollte, war es eine absolute Notwendigkeit, einen Überrest Israels von der großen Masse des Volkes in der Gefangenschaft abzusondern und in das Land zurückzubringen, welches das rechtmäßige Gebiet des Volkes Gottes in jener Zeit war.

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Fortsetzung folgt

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