Wo immer ich wanderte ...

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"Denn ich habe nicht in einem Hause gewohnt von dem Tage an, da ich die Kinder Israel aus Ägypten heraufgeführt habe, bis auf diesen Tag; sondern ich wanderte umher in einem Zelte und in einer Wohnung" (V. 6). "Ich wanderte" - ist das nicht ein zu Herzen gehendes Zeugnis von der Gnade Gottes, der sich so tief zu seinem Volk herabneigte, dass Er es nicht aus weiter Ferne leitete, sondern an allen Umständen der Wüstenreise gleichsam persönlich teilnahm? Ja, es war "wegen Jehovas Liebe" zu ihnen (5. Mose 7,8).

Wenn wir an Gott denken als den Allmächtigen, den Schöpfer und Erhalter aller Dinge, "der da war und der da ist und der da kommt" - Gott im absoluten Sinne, wie man gelegentlich sagt -, dann ist und bleibt Er "der selige und alleinige Machthaber . . ., der ein unzugängliches Licht bewohnt", den "die Himmel und der Himmel Himmel nicht fassen" können (1. Timotheus 6,15.16; 1. Könige 8,27). Sehen wir Gott aber in der Macht seines Wirkens, wie Er sein Volk "aus Ägypten heraufführte", dann finden wir Ihn in der Mitte dieses Volkes. Noch bevor Er im Allerheiligsten des Zeltes der Zusammenkunft Wohnung nahm, führte Er das Volk durch die Feuer- und Wolkensäule. Von hier aus vernichtete Er den Feind im Roten Meer, bewirkte Er die Errettung und völlige Befreiung des Volkes: "Und es geschah in der Morgenwache, da schaute Jehova in der Feuer- und Wolkensäule auf das Heer der Ägypter. . .", und selbst die Ägypter erkannten: Jehova streitet für sie" (2. Mo 14,24.25).

Gott will inmitten seines Volkes wohnen

Aber Gott wollte seinem Volk noch näher sein: "Sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich in ihrer Mitte wohne" (2. Mose 25,8). Bedeutete die Wolkensäule Machtentfaltung und Regierung Gottes (vgl. auch 2. Mose 16,912), so war das Heiligtum der Ort seiner Gegenwart. Dort konnte man Ihm nahen; dort geschah am großen Versöhnungstag Sühnung für die Sünden des Volkes als Grundlage geordneter Beziehungen zu Ihm; dort nahm Er die Opfer eines willigen Volkes entgegen. Es war der Ort, von dem der Duft des beständigen Brandopfers unablässig emporstieg, das davon Kunde gab, dass hier ein Volk Gott diente, auf dem sein Wohlgefallen ruhte (2. Mose 29,45.46).

Nachdem Mose die Wohnung aufgerichtet hatte, wurde sie von der Herrlichkeit Gottes erfüllt, und die Wolke bedeckte das Zelt der Zusammenkunft (2. Mose 40, 17.34-38). Von da an war also die Wolke das weithin sichtbare äußere Zeichen dafür, dass die Herrlichkeit Gottes im Innern der Wohnung weilte.

Gott will an den Mühen der Seinen teilnehmen

Und nun sagt Gott: "Ich wanderte in einem Zelte und in einer Wohnung." Der große Gott wollte in diesem Zelt nicht nur den priesterlichen Dienst seines Volkes entgegennehmen, sondern auch von hier aus teilnehmen an den Mühen der Reise durch die Wüste, hin zu dem verheißenen Ziel, dem Land, das Er "für sie erspäht hatte" (Hesekiel 20,6). jedes Mal, wenn die Wolke sich erhob, wurden die Geräte des Heiligtums durch die Priester bedeckt und für die Reise bereit gemacht. Was muss es für das Auge Gottes gewesen sein, wenn Er "vom Himmel, der Stätte seiner Wohnung" sah, wie die Söhne Kehaths die Bundeslade, das Symbol seiner Gegenwart inmitten des Volkes, auf die Schultern nahmen und auf weglosem Pfad, gewiss manchmal schwankenden Fußes, dem neuen Ort entgegentrugen! Und wenn dann das Heiligtum wieder aufgerichtet war und die Bundeslade unverhüllt an ihrem Platz stand, wohnte die Herrlichkeit Gottes, "der zwischen den Cherubim thront", darin wie zuvor.

Ja, Gottesdienst und Wüstenwanderung liegen viel näher beieinander, als uns oft bewusst ist. So wahr die Augenblicke der Anbetung in Gottes Gegenwart für uns ein Vorgeschmack des Himmels sind, so werden wir deshalb doch nicht den Umständen des Lebens enthoben. Das Heiligtum hatte keinen Teppich und keine Sitzgelegenheit. Die Priester standen mit den Füßen im Sand. So will Gott auch bei uns keinen Priesterdienst, der gleichsam auf Wolken schwebt, sondern Er sucht das Echte, das Bewährte. Wir mögen meinen, unsere Anbetung könnte höher sein, ungestörter und erhabener, wenn wir nur ein wenig den Umständen entrückt wären. Doch das einzige, was uns über die Umstände erhebt, ist der Glaube, der in den Umständen in uns wirksam ist.

Gottesdienst und Wüstenwanderung liegen nah beieinander

Erst recht aber ist der Levitendienst ein Dienst der Wüste. Die Dinge des Heiligtums zu tragen, bedeutet das für uns nicht, dass wir ein tiefes Bewusstsein von den Herrlichkeiten des Herrn Jesus in uns tragen? Ja, wenn das, was wir im Heiligtum anbetend betrachten, sich in unsere Herzen prägt und in den Umständen des Alltagslebens bei uns bleibt, dann sind wir "neutestamentliche Kehathiter", wie einmal jemand den Apostel Johannes genannt hat. "Das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist", das war das tiefe Anliegen des Apostels, und mit allen Auswirkungen, in seiner ganzen Tragweite, war es der große Gegenstand seines Dienstes.

Dürfen wir es in diesem Sinne nicht auch als Gottes himmlisches Volk für uns in Anspruch nehmen, dass Er in unserer Mitte bei uns ist, wie Er einst "wanderte unter allen Kindern Israel"? Wie viel Ermunterung könnten wir daraus gewinnen, wenn wir mehr daran dächten! Was für eine Weihe verleiht dieser Gedanke unserem Alltag mit seinen Problemen und Nöten, die uns oft so niedrig und nutzlos erscheinen wollen! ja, Der, dessen Name "Emmanuel" heißt, ist bei uns: "Gott mit uns"!

Gott wandert auch „bei Umwegen“ mit

Und noch eines: Weniger als zwei Jahre Aufenthalt in der Wüste waren nach Gottes Absicht genug. Schon im Herbst des zweiten Jahres seit jener denkwürdigen Passahnacht, in den jagen der ersten Trauben" (4. Mose 13,20), gelangten die Kundschafter in das Land, und für den Glauben wäre der Weg frei gewesen, es in Besitz zu nehmen. Aber es herrschte Unglaube, und sie verschmähten das Land. Achtunddreißig Jahre mussten sie in der Folge in der Wüste umherziehen, bis die ganze Generation außer Josua und Kaleb gestorben war. Aber wich deshalb Gott aus ihrer Mitte? Nein, auch den selbstverschuldeten Umweg von achtunddreißig Jahren ist Er in ihrer Mitte "gewandert". Was für ein Gedanke!

Ganz gewiss kann Gott niemals Böses hinnehmen; deshalb das Gericht über die ganze Generation. Niemals kann Er mitgehen auf den Wegen des Fleisches; deshalb die Niederlage vor dem Feind auf dem Gebirge (4. Mose 14, 43). Aber wenn seine Regierung uns Wege führen muss, die für uns nötig sind, obwohl die Gnade sie uns gern erspart hätte, dann lässt Er uns doch nicht allein weiterziehen!

Der Herr bleibt in der Mitte der Seinen

Für jeden, der auch in seinem Leben selbstverschuldete Umwege kennt - vielleicht weil es an Einfalt fehlte, den Willen Gottes zu erkennen, weil es an Glauben fehlte, ihn zu tun -, und auch für uns alle als Volk Gottes kann der Gedanke ein überwältigender Trost sein, dass der Herr in der Mitte der Seinen bleibt, bis sein Volk am Ziel ist. Lasst uns Ihm unser Versagen bekennen, damit wir das Bewusstsein seiner Nähe wiedergewinnen! Lasst uns nicht schwermütig trauern um die vertane Zeit, um die versäumten Gelegenheiten, so tragisch das alles ist, sondern unsere Herzen in Aufrichtigkeit vor Ihm ausschütten, damit sein Friede uns erfüllt und wir die verbliebene Zeit in Glaubens-Zuversicht mit Ihm gehen können!

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