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Trostlose Aussichten

Die beiden Jünger, die so redeten, schauten auf einen früheren Teil dieses Tages zurück. Sie waren mit schweren Herzen und traurigen Gesichtern von Jerusalem weggegangen. Um sie herum waren die Vororte, durch die sie wanderten, heiter und froh, in der Schönheit und dem frischen Leben der beginnenden Erntezeit. In der Stadt hinter ihnen drängte sich eine große Menge von Anbetern durch die Vorhöfe des Tempels mit Opfergaben von den “Erstlingen aller Frucht des Erdbodens” (3.Mose 23,10 und 5. Mose 26).

Aber die beiden Jünger hatten sich mit gebrochenem Herzen von all dem abgewandt. Sie hatten keinen Korb mit Erstlingsfrüchten dem Herrn darzubringen. Sie waren mit dem Dunkel der Verzweiflung erfüllt. ...

Ihre Herzen waren mit der Asche toter Hoffnungen erfüllt. Sie hatten an Jesus von Nazareth geglaubt, aber nun war es schon der dritte Tag nach seiner Kreuzigung, und sie kannten Ihn nicht als Christus, die “Erstlingsgarbe”, als den Erstgeborenen einer neuen Schöpfung.

Genau dann wird das Hirtenherz von Christus tätig

Da, in diesem Augenblick ihrer tiefen Verzweiflung, hörten sie die Stimme eines Fremden, der sich ihnen genähert und scheinbar Jerusalem so verlassen hatte, wie sie. In ihrem tiefen Kummer und im Beschäftigtsein mit ihren eigenen Gedanken waren ihre Augen gehalten, und sie erkannten Ihn nicht.

Sie hatten die Türen ihrer Herzen “aus Furcht vor den Juden” fest verschlossen. Aber bald fanden die guten Worte des Meisters Eingang bei ihnen, trotz ihrer Reserve und ihrem Misstrauen. ...

Die Diagnose

Mit der vollkommenen Kenntnis des großen Arztes fand Er die richtige Diagnose ihrer Krankheit, und schon mit dem ersten Wort stellte Er deren Ursache fest: “o ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben!” Ihr Herz war träge zu glauben, träge, den ganzen Inhalt der Schriften aufzunehmen.

“O gnädiger und geduldiger Herr, Du hast an jenem Tag zu einer Zuhörerschaft von nur zweien geredet, aber Deine Worte berühren jetzt auch uns. Wie oft waren unsere Herzen in ihrer Trägheit voll von Zweifeln... Wie oft sahen wir uns - nach einer Zeit tiefer Mutlosigkeit - zurechtgewiesen, als wir beim Lesen Deines Wortes ... den Schlüssel zu dem uns verwirrenden Rätsel fanden. Wie manche schmerzliche Erfahrung hätten wir uns ersparen können, wenn wir vermehrt bereit gewesen wären, jedes Schriftwort und alles, was darin gesagt wird, zu glauben.

Auf die Diagnose folgt die Therapie!

Dann ging der unbekannte Fremde dazu über, ihnen in allen Schriften das zu erklären, was den Christus Israels betraf. Er lehrte sie mit Gewalt und Autorität, nicht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer. Seine Worte waren nicht eine frostige Darlegung des Gesetzes, sondern herzerforschend, wobei Herz und Nieren geprüft wurden. Er zeigte den beiden, wie Mose und alle Propheten vorausgesagt hatten, dass der Christus leiden und in seine Herrlichkeit der Gerechtigkeit und des Friedens eingehen würde, die darauf folgen sollte. So brachte Er aus dem Schatzhaus der Wahrheit für sie Altes und Neues hervor - alte Weissagungen und deren neue, in Christus geschehene Erfüllung.

Später an diesem Abend dachten die zwei Jünger über die Unterredung auf dem Wege nach, und die eindringlichen Worte, die sie gehört und zuerst nur schwach erfasst hatten, verbanden sich jetzt mit ihren Seelen. Nun sagten sie zueinander: “Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Wege zu uns redete, und als er uns die Schriften öffnete?”

Christus facht in unseren Herzen ein Feuer an

Das Feuer brannte schon eine Weile in ihnen, bevor sie das Angesicht ihres geliebten Meisters erkannten. Er kam zu ihnen, als ihre Augen verdunkelt, ihre Ohren verstopft und ihre Füße bleiern waren und von den andern Jüngern weggingen. Aber durch den geheimnisvollen Hauch des Geistes des Lebens in Ihm war in ihren Herzen der glimmende Docht der Liebe und der Hingabe zu einer lebhaften Flamme entfacht worden. ... Ihr Herr war tatsächlich auferstanden!

Sie wussten nun, dass der Verurteilte und Gekreuzigte wirklich der Erlöser Israels war, wie sie es zuvor gehofft hatten. Obwohl sie drei Tage und Nächte gezweifelt hatten, waren sie jetzt durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten “wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung” (1.Petr. 1,3). ...

Bist auch Du mutlos?

Was diese beiden Jünger von sich selbst bezeugten, ist heute oft auch wahr bei denen, die nur an einen gestorbenen Christus denken und den Christus vergessen, der jetzt lebt. Mutlos, abirrend vom Weg, abgekühlt im Herzen, gibt es manche solcher Wanderer, für die das Leben eine Last ist, obwohl sie auf dem Himmelspfad sind. Aber hier kann man die Ursache und die Heilung solch religiöser Melancholie erkennen.

Wer Christus und die Kraft seiner Auferstehung zu wenig kennt, dem fehlt die Kraft und Freude der Jüngerschaft, was immer er sonst besitzen mag. ... Er brauchten den, welchen sie verloren hatten.

“Oh, wenn ich Ihn doch fände!”, ruft heute mancher aus, der sich zwar im Glauben auf das Werk von Golgatha stützt, aber nicht mit dem auferstandenen Christus wandelt, in den Straßen, an der Arbeitsstätte, im Familienkreis. ...

Es gibt ein Heilmittel!

Das Heilmittel, das von geistlicher Trostlosigkeit befreit, ist heute das gleiche wie jenes, das auf dem Weg nach Emmaus gefunden wurde. Lassen wir doch den unsichtbaren und verherrlichten Herrn und Heiland als Begleiter zu uns Wanderern reden! Seine Worte sollen in uns bleiben, bis wir ihre Wärme fühlen. ...

Ist in irgendeinem Herzen Lauheit? Allein das Wort des Lebendigen kann im Innern die lebendige Flamme entzünden. Ist da jemand weder kalt noch warm? Möge der Herr durch die Schriften zu einem solchen reden; dann wird sein laues Herz in ihm brennend werden. ...

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Entnommen aus: Halte Fest Jg 1985 - Seite: 197
Mit freundlicher Genehmigung des Beröa-Verlages

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